Stille Gefahr Bluthochdruck

Mai 2013 | Medizin & Trends

So erkennen Sie Ihr Risiko
 
An den Folgen von Bluthochdruck sterben weitaus mehr Menschen als an Krebs. Und doch unterschätzen die Österreicherinnen und Österreicher ihr eigenes Risiko. Ein Drittel der Betroffenen wird nur unzulänglich behandelt, ein weiteres Drittel weiß überhaupt nichts von seiner Erkrankung. Für MEDIZIN populär informieren Experten über die stille Gefahr.
 
von Mag. Sabine Stehrer & Mag. Karin Kirschbichler

Eins, zwei, drei – du bist dabei. Gäbe es einen Abzählreim für die Auswahl von Menschen mit Bluthochdruck, dann würde er genauso lauten. Denn 30 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher leiden nach Schätzungen von Experten an Hypertonie, wie Bluthochdruck von Medizinern genannt wird. Das heißt: Bei jedem Dritten wird das Blut mit erhöhtem Druck durch die Gefäße gepumpt. Damit ist Bluthochdruck hierzulande die Volkskrankheit Nummer eins. Laut Statistik sind die weitaus meisten in Österreich verschriebenen Medikamente, nämlich 38 Prozent, Mittel gegen Bluthochdruck. Zuletzt gab der Hauptverband der Sozialversicherungsträger dafür den Löwenanteil seines jährlichen Medikamentenbudgets aus, nämlich zehn Prozent oder 318,4 Millionen Euro.

Risiko grob unterschätzt

Dabei wird ein Drittel der Bluthochdruck-Patienten nur unzulänglich behandelt, weiß Univ. Prof. Dr. Otmar Pachinger, Direktor des Departments Innere Medizin an der Medizinischen Universität in Innsbruck. Vielen fehlt die nötige Therapietreue: Sie missachten mindestens eine Maßnahme und verweigern z. B. die Medikamenteneinnahme, wie eine Studie ergab. Bei einem weiteren Drittel der Betroffenen wird die Krankheit überhaupt nicht therapiert. Denn, so Pachinger: „Sie wissen gar nicht, dass sie einen hohen Blutdruck haben.“
Wie wenig die Österreicherinnen und Österreicher über Bluthochdruck wissen und wie sehr sie ihr eigenes Risiko unterschätzen, hat eine Untersuchung des Instituts für Sozialmedizin an der Medizinischen Universität Wien gezeigt. Von den mehr als 1000 Befragten hatten acht Prozent noch nie ihren Blutdruck gemessen. Nur ein Drittel konnte relativ aktuelle Angaben über die eigenen Werte machen. 61 Prozent vertraten die Meinung, dass sie es sofort oder zumindest nach einiger Zeit selber merken würden, wenn ihr Blutdruck erhöht wäre.
Das ist allerdings ein Irrtum, zählt doch gerade Bluthochdruck zu den stillen Gefahren für die Gesundheit: „Hypertonie kann lange Zeit bestehen, ohne Beschwerden zu verursachen“, warnt Pachinger. Erste Anzeichen wie anhaltende Müdigkeit, Schwindelgefühle, Kopfweh, Hitzewallungen, innere Unruhe, Ohrensausen oder Nasenbluten werden meist auf andere Ursachen als auf Bluthochdruck zurückgeführt, auf Stress etwa oder auf Wetterfühligkeit. Auch weitere Symptome wie zunehmendes Unwohlsein, Kreislaufschwächen und -zusammenbrüche oder Sehstörungen werden oft nicht ernst genug genommen oder nicht richtig zugeordnet.

Dramatische Folgen

Bleibt Bluthochdruck aber (weiterhin) unerkannt und unbehandelt, kann das dramatische Folgen haben: Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen, Hirnblutung, Lungenembolie – kaum eine schwere Krankheit, die nicht mit Bluthochdruck in Zusammenhang gebracht wird. Neuen Studien zufolge erhöht Hypertonie auch das Risiko für die Entstehung von Hautkrebs und die Gefahr für Hirnschäden, die frühzeitig dement machen.
Folgeerscheinungen von Bluthochdruck führen in vielen Fällen zu Pflegebedürftigkeit und Invalidität, meistens aber zum Tod: Herz- und Kreislauferkrankungen (40 Prozent) stehen in Österreich vor Krebs (26 Prozent) an der Spitze der Todesursachen.

Optimal: 130 zu 85

Bleibt die Frage, ab welcher Höhe Blutdruck als zu hoch gilt. Schließlich hat sich die Definition im Lauf der vergangenen Jahrzehnte auf Basis jeweils aktueller medizinischer Erkenntnisse einige Male geändert. Erst galt der Druck, den das Herz beim Pumpen des Bluts durch den Körper auf die Blutgefäße ausübt, nur dann als zu hoch, wenn der obere Wert über 100 plus Lebensalter lag und der untere über 90. Ein 48-Jähriger mit einem Blutdruck von 148 zu 90 lag demzufolge im Normalbereich. In den 1990-er Jahren wurde dieser 48-Jährige als behandlungsbedürftiger Hypertoniker eingestuft, denn damals galten alle Werte als zu hoch, die über 120 zu 80 lagen.
„Heute wissen wir, dass diese Werte zu niedrig angesetzt waren, heute gilt 130 zu 85 als optimal“, erklärt Pachinger. Und je älter der Mensch wird, desto höher darf auch jetzt wieder der Blutdruck sein. „Für einen 85-Jährigen ist ein Wert von 140 zu 90 normal, der würde sich krank fühlen, wenn man den Blutdruck senken würde“, so der Spezialist.
Das liegt daran, dass Bluthochdruck eigentlich eine programmierte Alterserscheinung ist – und zwar eine durchaus sinnvolle. Denn mit zunehmendem Alter werden die Gefäßwände steifer, oft sind sie auch aufgrund von Ablagerungen verengt. Das führt dazu, dass das Herz stärker pumpen muss, damit der Körper ausreichend durchblutet wird. So erhöht sich der Druck auf die Blutgefäße im Moment des Zusammenziehens des Herzens, was den systolischen, oberen Blutdruckwert steigen lässt. Und meist erhöht sich auch der untere, diastolische Wert, also der Druck, der in den Gefäßen herrscht, wenn sich der Herzmuskel entspannt und mit Blut füllt.

Mindestens 30 Messungen

Ob jemand Bluthochdruck hat bzw. haben könnte, wird meist nebenher im Zuge anderer Untersuchungen entdeckt. Eine einzige Messung sagt allerdings noch nicht viel aus. Die eindeutige Diagnose ermöglichen erst tägliche Messungen über mindestens 30 Tage (siehe ganz unten: „Blutdruck: So messen Sie richtig“). „Sind die Werte in diesem Zeitraum an sieben oder mehr Tagen erhöht, muss gegengesteuert werden“, so Pachinger. Wie, das hängt im Wesentlichen vom Ausmaß der Abweichung und von der Ursache für die Hypertonie ab. Auslöser kann z. B. eine Erkrankung sein, wie eine Nierenschwäche oder eine Schilddrüsenfunktionsstörung, die zu Störungen im Hormonhaushalt führt. „Dann müssen diese Erkrankungen behandelt werden, um den Hochdruck in den Griff zu bekommen“, erläutert Pachinger. Darüber hinaus kann sich der Blutdruck auch während einer Schwangerschaft erhöhen oder als Nebenwirkung von Medikamenten – was andere Maßnahmen nötig macht.

Mehrere Blutdrucksenker ausprobieren

Bei der überwiegenden Zahl der Betroffenen, nämlich bei 80 bis 90 Prozent, geht der Bluthochdruck aber auf andere Risikofaktoren zurück, die vielfach im Bündel auftreten: Genetisches Pech und Übergewicht, gepaart mit Bewegungsmangel, Rauchen, fortgeschrittenem Alter, schlechter Ernährung, übermäßigem Alkoholkonsum sowie Stress lassen die Werte in die Höhe schnellen.
Um sie zu senken, braucht es wiederum ein Bündel an Maßnahmen: „Zunächst wird meist mit Medikamenten geholfen“, so Pachinger: „Heute steht uns eine große Zahl an Blutdrucksenkern zur Verfügung, die auf Basis verschiedener Mechanismen sehr gut wirken, ohne nennenswerte Nebenwirkungen zu verursachen.“ Da sich nicht vorhersehen lässt, bei wem welches Mittel gut wirkt, „muss man sich ein wenig ,spielen‘ und mehrere Präparate ausprobieren“, erklärt Pachinger das wichtige Prozedere.
Die richtige Einstellung auf Blutdrucksenker kann ein paar Wochen oder noch länger dauern. Bei zehn bis 15 Prozent der Hypertoniker kann selbst dann noch kein Medikament gefunden werden, das die erwünschte Wirkung erzielt. Aber auch ihnen kann neuerdings geholfen werden, und zwar mit der sogenannten Renalen Denervierung: „Das ist ein kleiner Eingriff“, so Pachinger, „bei dem über die Schlüssellochchirurgie ein Teil der Nerven entlang der Nierenarterie deaktiviert werden, die bei Bluthochdruck eine Rolle spielen.“ Gleich nach der OP sinkt der Blutdruck zumindest so weit, dass er mit Blutdrucksenkern im Normalbereich gehalten werden kann. Um Medikamente kommt man also auch nach der Operation nicht herum.

Bestes Mittel: Besser leben

Ebenso unerlässlich für Hypertoniker sind Maßnahmen, die in ihrer eigenen Hand liegen. Denn es zeigt sich immer deutlicher: Bluthochdruck-Patienten geht es schneller wieder besser, wenn sie gesünder leben. „Die meisten Risikofaktoren für Bluthochdruck hängen mit dem Lebensstil zusammen und können daher positiv beeinflusst werden“, gibt Univ. Prof. Dr. Günter Steurer, Internist und Kardiologe am AKH in Wien, zu bedenken. Freilich ist das Verändern von Lebensgewohnheiten nicht immer einfach. „Doch die meisten Patienten sind zumindest dazu bereit, es zu versuchen“, weiß Steurer: „Es wirkt schon motivierend zu wissen, dass man dann mit niedriger dosierten Medikamenten auskommen oder bei nur gering erhöhten Werten eventuell ganz auf Medikamente verzichten könnte.“
Durch das Reduzieren von Übergewicht, durch regelmäßige körperliche Bewegung, verminderten Salzverzehr, vermehrte Aufnahme von Kalium, Umstellung der Ernährung auf einen hohen Anteil an Früchten und Gemüse und einen höchstens moderaten Alkoholkonsum kann eine Wirkung erzielt werden, die jener eines Medikaments entspricht.

Veränderungen zeigen Wirkung

„Wie groß der Erfolg dieser Maßnahmen im Einzelfall ist, hängt von individuellen Faktoren ab, etwa von der Salzempfindlichkeit“, erläutert Steurer. Deutsche Experten haben errechnet, wie sehr sich einzelne Lifestyle-Veränderungen als Hilfe gegen Bluthochdruck auswirken. Ihren Angaben nach wird der Blutdruck z. B. durch den Abbau von zehn Kilogramm Übergewicht um 20 Millimeter-Quecksilbersäule (mm/ HG) niedriger. Ein Bewegungsprogramm (dreimal 30 Minuten Ausdauertraining pro Woche, kombiniert mit Kraftsport) kann binnen vier bis sechs Wochen fünf bis acht mm/HG weniger bringen. Ähnliche Erfolge erzielt man mit einer Ernährungsumstellung: Fettarm, zuckeram und vor allem salzarm essen, heißt hier die Devise.
Die Beschränkung auf eine Menge von fünf Gramm Salz pro Tag sieht die Weltgesundheitsorganisation WHO auch als probates Mittel zur Vorbeugung vor Bluthochdruck an. Damit das für die Österreicher, die derzeit im Schnitt zehn Gramm Salz am Tag zu sich nehmen, leichter umsetzbar ist, wurde bereits ein wichtiger Schritt gesetzt: Bundesweit änderten mehr als 100 Bäcker ihre Rezepte und bieten salzreduziertes Brot an. In einem nächsten Schritt soll es um die Wurst gehen: Gesundheitsexperten wünschen sich Maßnahmen zur Reduktion von Salz in Fleischprodukten.
Wie wirksam solche Veränderungen sind, zeigt ein Blick in die Statistiken anderer Länder. In Finnland z. B. konnte die sehr hohe Salzaufnahme von durchschnittlich zwölf Gramm bereits im Jahr 1975 auf 9,3 Gramm bei Männern und 6,8 Gramm bei Frauen gesenkt werden. In Folge hat sich der durchschnittliche Blutdruck um zehn mm/Hg verringert, die Sterblichkeit an Herzinfarkten und Schlaganfällen ist drastisch zurückgegangen.

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Selbsttest zum Download:

Bluthochdruck – Testen Sie hier Ihr Risiko

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Blutdruck:
So messen Sie richtig

  • „Einzelmessungen sind sinnlos, die durchschnittliche Blutdruckbelastung der Gefäße kann man nur einschätzen, wenn man die Messwerte von mindestens 30 Tagen zur Verfügung hat“, schickt Univ. Prof. Dr. Dieter Magometschnigg, Leiter des Österreichischen Instituts für Hypertoniker in Wien, voraus. Dabei gilt unbedingt:
  • Selber messen – bei der Messung durch den Arzt tritt häufig der sogenannte Weißkittel-Effekt auf: Der Blutdruck steigt allein wegen der Anwesenheit des Doktors.
  • Die Manschette so anlegen, dass sie gut am Oberarm anliegt. Wird am Handgelenk gemessen, was besonders bei dicken Oberarmen empfehlenswert ist, muss das Gerät in Höhe der Oberarmmitte gehalten werden.
  • Sind sieben oder mehr der gemessenen 30 Werte erhöht, liegen sie also über 130 zu 85, sollte man Hilfe bei der Auswertung suchen. Diese bekommt man beim behandelnden Arzt oder über ein neu entwickeltes – kostenpflichtiges – SMS-Service des Österreichischen Instituts für Hypertoniker. „Betroffene können die gemessenen Werte an uns senden, und wenn die Werte aus dem Normalbereich gewandert sind, geben wir Tipps zur weiteren Vorgangsweise“, so Magometschnigg. Anmeldung unter www.blutdrucksms.at. Pro Monat kostet das Service 20 Euro, für ein halbes Jahr sind 100 Euro zu bezahlen.

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Buchtipp:
Brussee, Valentin, Bluthochdruck im Griff. Ohne Medikamente zu Normalwerten
ISBN 978-3-99052-039-0, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte Mai 2013

Stand 05/2013

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