Wie seelische Probleme das Herz krank machen

November 2009 | Medizin & Trends

Wenn das Herz erkrankt und es zu Rhythmusstörungen, Schmerzen, Infarkt & Co kommt, geht das nicht immer nur auf körperliche Ursachen zurück. Auch die Psyche und soziale Faktoren spielen eine Rolle. Und so weiß die Wissenschaft heute: Wer sich etwas zu sehr zu Herzen nimmt, kann seinem Herzen tatsächlich Schaden zufügen. Der Psychokardiologe Univ. Prof. Dr. Georg Titscher beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Herz und Seele und erläutert für MEDIZIN populär, wie man sich das Wissen um die „Herzensbrecher“ unserer Zeit in der Vorbeugung und Behandlung von Herzkrankheiten zunutze machen kann.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

2008 sind in Österreich nach Angaben der Statistik Austria 75.083 Menschen gestorben, und davon nicht weniger als 32.294 an Herz- und Kreislauferkrankungen. Damit sind Schlaganfälle, Herzinfarkte & Co die weitaus häufigste Todesursache. Das ist schon seit Jahrzehnten so. Nur wenn es um die Frage nach den Ursachen der vielen Herz- und Kreislauferkrankungen geht, hat sich etwas verändert. Zwar werden immer noch Bluthochdruck, schlechte Cholesterinwerte, Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und Diabetes mellitus als Wurzeln des Übels angeführt. Doch spätestens seit Wissenschaftler der Klinik für Psychokardiologie am Kerckhoff-Rehabilitationszentrum im deutschen Bad Nauheim in einer Studienreihe bis 2002 darauf hinwiesen, dass fast die Hälfte aller tödlich verlaufenden Herz- und Kreislauferkrankungen bei Patientinnen und Patienten auftrat, die keine der genannten Risikofaktoren hatten, wissen Mediziner, dass es auch noch andere „Herzensbrecher“ gibt.
Und diese spielen eine immer größere Rolle, weiß Dr. Georg Titscher, Facharzt für Innere Medizin, Kardiologe, Psychotherapeut und seit 20 Jahren Leiter der psychokardiologischen Ambulanz am Wiener Hanusch-Krankenhaus. „Herz- und Kreislauferkrankungen werden, so wie jede andere Erkrankung auch, von einem Bündel an Faktoren aus dem biologischen, psychischen und sozialen Bereich ausgelöst.“ Oft treten diese, so der Experte weiter, parallel auf und verstärken sich so in ihrer Wirkung gegenseitig. Titscher: „Aber auch für sich allein genommen können psychische Leiden wie Depressionen, die immer häufiger auftreten, und psychosoziale Probleme, die aus der immer weiter verbreiteten Arbeitslosigkeit und einem niedrigen Sozialstatus resultieren, das Herz krank machen.“ Und zum Infarkt führen.

Depressionen

sind nach Studienergebnissen, die bei einer Konferenz für Psychokardiologie in Bad Nauheim begutachtet und zusammengefasst wurden, der gefährlichste Herzensbrecher unserer Zeit. Sie wirken sogar genauso schädigend auf das Organ ein wie aktives Rauchen. Das heißt, sie erhöhen das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, um das Zweieinhalbfache. Titscher: „Das ist auf Veränderungen des Hormonhaushalts, aber auch auf Veränderungen auf der Verhaltensebene zurückzuführen.“ Bei Depressiven wird eine zu geringe Menge des so genannten Glückshormons Serotonin gebildet. Das trübt nicht nur das Gemüt, es führt u. a. auch dazu, dass sich zu viele Thrombozyten, also Blutplättchen bilden. Diese sind dazu da, bei Gefäßverletzungen die verletzten Stellen zu verpfropfen. Wird der Pfropf wegen des Plättchen-Überschusses zu groß, kann es überall im Körper zu Gefäßverengungen kommen und eben auch zur infarktauslösenden Verengung der Herzkranzgefäße. Abgesehen davon neigen Depressive zu einem Suchtverhalten, das ebenfalls gefäßverengend wirkt. „Sie trinken viel Alkohol und rauchen viel, um ihre Verstimmungen und Ängste besser ertragen zu können“, ergänzt Titscher.

Pessimistische Grundstimmung

und chronischer Ärger sind fast genauso gefährlich fürs Herz wie Depressionen. Das zeigen die Ergebnisse einer aktuellen, groß angelegten Studie von Forschern der US-amerikanischen Universität Pittsburgh. Sie untersuchten über einen Zeitraum von acht Jahren 97.000 Frauen im Alter von 50 bis 79 Jahren. Diejenigen, die mit einer pessimistischen Grundstimmung durchs Leben schritten, auf vieles mit Zynismus reagierten und sich oft ärgerten, hatten ein um neun Prozent höheres Risiko für eine Herzerkrankung als die Optimistinnen – und ein um 14 Prozent höheres Sterberisiko. Experte Titscher weiß, wie Pessimismus und Ärger das Herz schädigen: „Beides treibt den Blutdruck in die Höhe und verschlechtert die Herzfrequenzvariabilität. Das heißt, der Abstand zwischen den Herzschlägen variiert nicht so wie beim Gesunden, sondern bleibt weitgehend gleich, was sich ungünstig auf die Herzgesundheit auswirkt.“
Nahezu dieselben Effekte habe schließlich, so Titscher weiter, das so genannte Burnout-Syndrom. Aber auch chronische Erschöpfungszustände, häufig auftretende Angstgefühle, Nervosität, ein niedriges Selbstwertgefühl, Probleme, mit anderen in Kontakt zu treten, und die Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit, Gefühle auszudrücken, können das Herz gefährden.

Ganzheitliche Betrachtung

ist also nötig, denn das Wissen um diese Wechselwirkungen könnte auch zur Vorbeugung vor Herz- und Kreislauferkrankungen bzw. einem Herzinfarkt eingesetzt werden, meint Titscher. „Zum Beispiel, indem man Risikopatientinnen und -patienten, die vielleicht schon über Herzbeschwerden klagen, Hilfen anbietet, die nicht nur gut fürs Herz, sondern auch gut für die Psyche sind.“ Wie etwa eine Psychotherapie und/oder die Gabe von Psychopharmaka als Begleittherapie zur kardiologischen Behandlung.
Die Erfahrungen am Psychokardiologie-Schwerpunkt des Hanusch-Krankenhauses in Wien, der übrigens der einzige in Österreich ist, haben aber auch gezeigt, dass es nie zu spät für eine ganzheitliche Betrachtung der Probleme mit dem Herzen ist. Titscher: „Erfahrungsgemäß werden jene Patientinnen und Patienten, die bereits einen Herzinfarkt hinter sich haben, mit psychosomatischer Unterstützung schneller wieder gesund als Betroffene, die eine solche Hilfe ablehnen. Vor allem aber fühlen sie sich psychisch wohler.“
Am Anfang so einer Hilfe steht die Diagnose. Dabei machen sich die Psychokardiologen zunächst über ein Gespräch und einen Fragebogen, der von den Patienten ausgefüllt und anschließend ausgewertet wird, ein Bild von der Lebensgestaltung der Betroffenen. Darauf folgen psychotherapeutische Interviews, die dazu dienen, den Patienten mögliche körperliche und seelische Ursachen des Infarkts bewusst zu machen. Titscher: „Dann erarbeiten wir Lösungen, besprechen also etwa Strategien, die dabei helfen sollen, mit Belastungen zum Beispiel im Job oder in der Partnerschaft künftig besser umzugehen.“ Abgesehen von der Gesprächstherapie ebenfalls im Angebot der psychokardiologischen Ambulanz in Wien sind Bewegungstherapien und das Erlernen von Entspannungstechniken.    

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Depressionen nach Herzinfarkt

Wie die Seele das Herz krank machen kann, so können Herzprobleme zu psychischen Erkrankungen führen. So sind etwa zwei Drittel der Herzpatienten nach einem Infarkt depressiv. Die Depressionen äußern sich in dem Fall in Unruhezuständen und verschiedenen körperlichen Beschwerden, weiß Dr. Georg Titscher. Behandelt werden sie am besten mit einer Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten. Das Problem: Oft werden die Post-Herzinfarkt-Depressionen nicht als solche erkannt und daher auf kardiologischer Ebene falsch behandelt. Die Sterblichkeit der Betroffenen ist gegenüber den Infarkt-Patienten ohne Depressionen um das Zweieinhalbfache erhöht.

Herzinfarkt-Symptome nach Schockerlebnis

Psychische Faktoren können Herzinfarkt-Symptome auslösen, ohne vorher und währenddessen das Herz oder die Gefäße zu schädigen. Dr. Georg Titscher: „Das ist dann der Fall, wenn durch einen plötzlichen negativen, aber auch positiven Schock Stresshormone ausgeschüttet werden, die sich an den Herzmuskelzellen festsetzen und die Zellen lähmen.“ Dieses Syndrom wird Takotsubo-Syndrom genannt, weil das Herz der Betroffenen auf den Röntgenbildern so ähnlich aussieht wie die gleichnamige japanische Tintenfisch-Falle, aber auch Stressmyokardiopathie und Broken Heart (Gebrochenes Herz)-Syndrom. Das Phänomen kommt sehr selten vor, betroffen sind nach Schätzungen von Experten zwei bis zehn unter einer Million Menschen und ausschließlich Frauen nach den Wechseljahren. Warum letzteres der Fall ist, weiß man noch nicht. Die kurz­zeitige Herzverformung bildet sich in den meisten Fällen zurück, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen.

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