Altersgeißel Arthrose

Oktober 2012 | Medizin & Trends

Wie die Gelenke gelenkig bleiben
 
Wie Forscher jetzt herausfanden, machte der Gelenksverschleiss schon vor 150 Millionen Jahren alten Sauriern zu schaffen. Ein schwacher Trost für die aktuell mehr als 600.000 betroffenen Männer und Frauen in Österreich. Doch sie profitieren von anderen neuen Erkenntnissen über die Altersgeißel Arthrose.
Lesen Sie, wie die Gelenke gelenkig bleiben.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Das Meeressaurierweibchen, dessen versteinertes Skelett nun von britischen Forschern untersucht wurde, erhielt dieselbe Diagnose wie aktuell mehr als 600.000 Männer und Frauen in Österreich: Arthrose. Die Verschleißerscheinung war vor etwa 150 Millionen Jahren am größten Gelenk des Pliosauriers  aufgetreten und wohl durch die jahrelange starke Belastung beim Zerreißen der Beute entstanden, die u. a. aus anderen Meeresreptilien bestand. Was für den Pliosaurier der Kiefer war, sind für uns Menschen die Knie: Auch bei uns tritt die Arthrose an diesen unseren größten und am stärksten belasteten Gelenken am häufigsten auf, am zweithäufigsten in den Hüften, seltener in den Sprunggelenken, Schultern und Fingern.
Zu den Ursachen für die Krankheit zählen die Belastung durch Übergewicht oder Sport genauso wie Bewegungsmangel und Gene. Doch hauptsächlich ist Arthrose eine Alterserscheinung, vielmehr eine Altersgeißel. „Zwei Drittel aller Menschen über 65 sind davon betroffen“, weiß Dr. Thomas Schwingenschlögl, Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie in Wiener Neudorf. Je älter wir werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass unsere Gelenke verschleißen. Und irgendwann trifft es wohl jeden, was aber nicht heißt, dass jeder Schmerzen hat, denn Schmerzen sind nicht das erste Symptom.

Steif und kraftlos

Im Frühstadium haben Betroffene andere Beschwerden. Schwingenschlögl: „Bei Arthrose fühlen sich zunächst zum Beispiel die Knie-, Hüft- oder Sprunggelenke steif an, wenn man nach längerem Sitzen oder Liegen aufsteht, was aber nach einigen Schritten wieder vergeht.“ Ebenfalls typisch für eine beginnende Arthrose ist Kraftlosigkeit. Schwingenschlögl: „Betroffene berichten beispielsweise, dass ihre Knie beim Gehen nachgeben oder dass ihnen beim Frühstück manchmal etwas aus der Hand fällt.“ Auch wenn es in den Fingern oder Knien öfter knackst oder man nicht mehr beweglich genug ist, um schnell in einen Mantel zu schlüpfen, sollte man sich untersuchen lassen.
Die Diagnose von Arthrose tut nicht weh. Ein Röntgen und eine Blutuntersuchung reichen, um eine gezielte Therapie möglich zu machen. Und neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen immer deutlicher, wie sinnvoll es ist, der Arthrose früh gegenzusteuern. „Wer den Gelenksverschleiß schon im Ansatz bekämpft, hat gute Chancen, viele Jahre schmerzfrei zu bleiben“, sagt der Arzt.

Bewegung bringt’s

Bewegung ist dabei das Um und Auf. Wer sich bewegt, festigt die Muskeln, die das Gelenk entlasten, und stabilisiert die Knochen. Zudem kurbelt Bewegung die Produktion von Gelenkschmiere an, die den Knorpel umspült, was dazu beiträgt, den Gelenksverschleiß aufzuhalten. Schließlich aktiviert Bewegung noch die Energiekraftwerke der Körperzellen, die sogenannten Mitochondrien, die sich u. a. im Knorpel und in den Knochen befinden. So wird nicht nur der Status quo aufrechterhalten, es werden sogar Schäden repariert. Dem Pliosaurier mit der Kiefergelenksarthrose hat zwar nicht geholfen, dass er beim Fressen der Beute im Meer schwamm. Doch menschliche Arthrosepatienten sind gut damit beraten, sich zu bewegen, ohne sich zu belasten. „Beim Schwimmen oder bei der Unterwassergymnastik ist das sehr gut möglich“, sagt Schwingenschlögl. Radfahren ist die ideale Therapie bei Arthrose im Knie, bei Arthrose in der Schulter eignet sich ein Arm-Ergometer. Für Hüften, Schultergelenke und Finger gibt es Übungen aus der Physiotherapie.  

Schmerzpflaster und Hyaluronsäure

Wenn ein Gelenk bei Belastung häufig schmerzt, zudem manchmal anschwillt und warm wird, deutet das auf eine bereits fortgeschrittene Arthrose hin. Der Gelenkknorpel ist dann schon zu beschädigt, um seine Funktion als Puffer zwischen den Knochen noch ausreichend zu erfüllen. So reiben die Knochen aufeinander, werden rau und entzünden sich. Um die Entzündungen zu bekämpfen, schüttet der Körper Gelenksflüssigkeit aus. So kann es zu Ergüssen kommen, die die Schmerzen weiter verschlimmern. „Wenn es Arthrosepatienten in diesem Stadium noch möglich ist, sollten sie sich und das Gelenk ebenfalls so viel wie möglich bewegen“, rät der Arzt. Denn dadurch wird noch etwas erreicht, was gegen den Verschleiß hilft: Das Immunsystem schüttet entzündungshemmende Substanzen aus, und mit den abklingenden Entzündungen lassen die Schmerzen nach.
Die Bewegung kann mit Medikamenten erleichtert werden. Dazu gibt es neuerdings auch Hautpflaster, die auf die betroffenen Stellen geklebt werden und schmerzstillende Substanzen über die Haut in das Gelenk einbringen. „Die Pflaster funktionieren wie antirheumatische oder andere entzündungshemmende Salben, die auch gut gegen Arthrose helfen“, erläutert Schwingenschlögl. Parallel können Tabletten genommen werden, die schmerzstillend und entzündungshemmend wirken. „Wie sich jüngst gezeigt hat, zahlen sich für viele Patienten, die wiederholt Schmerzen haben, Hyaluronsäureinjektionen in das Gelenk aus“, sagt Schwingenschlögl. Wissenschaftlich bewiesen sei die Wirkung dieser Therapie zwar nicht, doch die Säure führe offensichtlich dazu, dass sich der Knorpel regeneriert und kaum noch Schmerzen auftreten.

Impulse und Bestrahlungen

Hilfreich sind oft auch die Elektrotherapie, bei der Impulse den Aufbau von Muskel- und Knochenzellen anregen, und die Ultraschalltherapie, die dieselbe Wirkung hat. Vielfach tun auch Bestrahlungen mit Röntgenstrahlen gut. Und schließlich bieten einige Mediziner neuerdings eine alternativmedizinische Methode an, die einem Teil der Arthrosepatienten helfen kann: eine Therapie, bei der Kernspinfelder auf die Gelenke einwirken (siehe „Mit Kernspin gegen Schmerzen“ unten).
Nur für die wenigen jüngeren Betroffenen eignet sich ein ebenfalls noch neues Verfahren, die Knorpelzelltransplantation. Schwingenschlögl: „Dabei werden gezüchtete Knorpelzellen auf den Knorpel geklebt.“ So wird dieser wieder funktionstüchtig und das Gelenk gesund.  
Künstliches Gelenk als letzter Ausweg

Je weiter die Arthrose fortgeschritten ist, desto schwieriger wird es, gegen die Schmerzen vorzugehen. Sie treten dann nicht mehr nur bei Belastungen auf, sondern auch bei einem Wetterumschwung oder nachts im Bett. Die Schmerzen kommen von der chronischen Entzündung, die im Lauf der Zeit auch das Gelenk verformt und dessen Beweglichkeit einschränkt. Menschen mit Fingerarthrose, die oft fälschlich für ein Symptom der Gicht gehalten wird, tun sich zunehmend schwer, nach Gegenständen zu greifen. Für Schulterpatienten wird es immer schwieriger, sich anzuziehen. Sind Hüften, Knie oder Sprunggelenke betroffen, wird man zunehmend immobil. Spätes­tens dann ist es ratsam, so Schwingenschlögl, die letzte Option zu wählen und sich ein künstliches Gelenk einsetzen zu lassen. „Diese gibt es bereits für Knie, Hüften und Schultern.“ Und die Prothesen von heute halten, so der Experte, immerhin etwa 20 Jahre.

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Mit Kernspin gegen Schmerzen

Auf die sogenannte Kernspin-Resonanz-Therapie (MBST), eine alternativmedizinische Methode gegen Arthrose, setzt Univ. Prof. Dr. Reinhard Weinstabl, Facharzt für Sporttraumatologie und Unfallchirurgie in Wien: „Bei sieben von zehn Patienten lindert die Behandlung mit Kernspinfeldern die Schmerzen so deutlich, dass sie ohne Schmerzmittel auskommen.“ Durch MBST gehen die Entzündungen zurück, und es kommt weniger oft zu Ergüssen in den Gelenken. Der Therapieerfolg kann über mehrere Jahre hinweg anhalten. Dann erfolgt eine Auffrischungsbehandlung, und die Patienten sind über einen langen Zeitraum wieder schmerzfrei. Weinstabl: „So bleibt vielen zumindest bis auf Weiteres das Einsetzen eines künstlichen Gelenks erspart.“
Die Kernspin-Resonanz-Therapie spricht gezielt die Zellen im Körper an, aktiviert den Zellstoffwechsel und kann so die Ursache von Arthrose, den Knorpelschwund, bekämpfen. Entdeckt wurde die Methode zufällig: Arthrose-Patienten, die sich einer Magnetresonanzuntersuchung unterziehen mussten, berichteten, dass sie nach dem Liegen in der Röhre weniger Schmerzen hatten.

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Buchtipp:
Dorotka, Gesunde Gelenke Hilfe bei Knorpelschäden & Arthrosen.
ISBN 978-3-902552-87-7, 124 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte

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