Krebs: Wie Psychoonkologie hilft

Mai 2011 | Medizin & Trends

„Es ist, als ob einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird“, schildert ein Betroffener, wie er die bei ihm gestellte Diagnose Krebs erlebt hat. Tatsächlich geraten die meisten Patienten durch das Wissen um ihre Erkrankung in eine existenzielle Krise. Fachkundige Hilfe bietet ihnen die Psychoonkologie, ein Spezialgebiet der Onkologie, das vor allem jenen ein Stück Lebensqualität zurückbringen kann, die unter dem Krebs besonders leiden.
 
Von Dr Kurt Markaritzer

Krebs ist eine Erkrankung, die das Leben grundlegend verändert, nicht nur die Lebensumstände der Betroffenen selbst, sondern auch die ihrer Familie, Freunde und Bekannten. Nach der Diagnose suchen die meisten Informationen über Tumorerkrankungen, viele quälen sich auch mit Selbstvorwürfen, weil sie sich Schuld am Entstehen der Krankheit zuschreiben. Univ. Prof. Dr. Alexander Gaiger, Präsident der im September 2009 gegründeten Österreichischen Akademie für onkologische Rehabilitation und Psychoonkologie (ÖARP), hat diese Erfahrung im Gespräch mit Patienten immer wieder gemacht: „Die Krankheit bringt eine tiefe Verunsicherung und oft auch einen Vertrauensverlust in den eigenen Körper, wobei sich viele Patienten Unrecht tun. Die Entstehung von Krebs hat nichts mit schuldhaftem Verhalten zu tun und auch nichts mit psychischen Einflussfaktoren wie Stress, die man vermeiden hätte können. Es ist vielmehr so, dass eine Verkettung von zufällig auftretenden Ereignissen über einen langen Zeitraum am Ende zur Diagnose Krebs führt. Heute sehen wir Krebs als eine Naturkatastrophe, die unabhängig von Persönlichkeitsfaktoren entsteht, also keine Frage von Schuld oder Unschuld ist.“

Hektik und bohrende Fragen

Dieses Verständnis der Krankheit ist allerdings nicht leicht zu vermitteln, noch dazu, weil die erste Zeit nach der Diagnose von Hektik geprägt ist. Ein Arzttermin jagt den anderen, eine Untersuchung folgt der nächsten, nach der Blutprobe kommt das Röntgen, die Entnahme einer Gewebeprobe oder auch eine Computertomografie. Eine Fülle von Informationen muss verarbeitet werden, die für Laien oft widersprüchlich klingen. Und immer wieder die gleichen bohrenden Fragen: Was bedeutet diese Krankheit für mich? Werde ich wieder gesund? Ist es eine chronische Krebserkrankung, mit der ich noch viele Jahre leben kann, oder wird die Erkrankung rasch fortschreiten und meine Lebenszeit deutlich verkürzen? Wie wird diese Zeit aussehen, was ist mit meiner Lebensqualität?
Gaiger: „Gemeinsam mit den behandelnden Ärzten Antworten auf diese Fragen zu bieten, ist eine wesentliche Aufgabe der Psychoonkologen, die dafür speziell ausgebildet sind. Sie berücksichtigen dabei die individuelle Situation des Einzelnen, sein Umfeld, die Ressourcen, die Bereitschaft, Informationen anzunehmen und an der notwendigen Therapie mitzuwirken.“ Nach Schätzungen benötigt bis zu einem Drittel aller Patienten im Verlauf der Krebserkrankung eine intensive psychoonkologische Betreuung.

Wer arm ist, leidet mehr

Internationale Studien mit Zehntausenden Patienten haben nachgewiesen, dass Personen mit niedrigem Einkommen und Pflichtschulabschluss besonders zu Angst und Depressionen neigen, die von der Krebserkrankung ausgelöst werden. Salopp gesagt: Wer arm ist, leidet mehr! Das hat auch eine Untersuchung in Wien über die Lebensumstände von 6000 Patienten ergeben, die Krebs haben. Etwa 45 Prozent aller Betroffenen mit einem Einkommen von weniger als 800 Euro pro Monat zeigen erhöhte Depressivitätswerte; von den Patienten mit einem Einkommen über 2200 Euro sind hingegen nur 18 Prozent betroffen.
Gaiger ist von den Ergebnissen der Untersuchung nicht überrascht: „Es liegt in der Natur der Dinge, dass man sich bei größerem materiellen Wohlstand mehr Lebensqualität sichern kann. Um ein aktuelles Beispiel zu erwähnen: Es macht einen Unterschied, ob sich ein Filmstar wie Michael Douglas mit faktisch unbegrenzten finanziellen Ressourcen seine Krebsrehabilitation in Hawaii leisten kann, oder ob eine alleinerziehende Mutter in Wien mit Niedrigsteinkommen nicht mehr weiß, wie sie die Betreuung ihrer Kinder und ihr Leben mit der Krebserkrankung organisieren soll. Dass diese Frau mehr Ängste und Sorgen hat, wird jeder verstehen.“ Diese Sorgen werden im Zug der psychoonkologischen Therapie angesprochen, im Rahmen der Möglichkeiten wird versucht, den Patienten zu helfen, etwa durch finanzielle Förderungen seitens der Krebshilfe.
Neben der Armut ist ein niedriges Bildungsniveau der zweite entscheidende Faktor, der eine gezielte Behandlung durch Psychoonkologen erforderlich macht. Der Wiener Experte: „Es gibt nachgewiesene Zusammenhänge zwischen dem Bildungsgrad und der Anfälligkeit für Krankheiten. So leiden Menschen aus bildungsfernen Schichten öfter an mehreren Krankheiten, müssen aufgrund prekärer finanzieller Umstände auch unter Therapie weiter arbeiten, können ihre Bedürfnisse im Spitalsalltag schlechter ausdrücken und weisen eine erhöhte Sterblichkeit im Krankheitsfall auf. Es gilt“, so Gaiger „das soziale Gewicht der Krankheit in der Onkologie stärker zu berücksichtigen.“

Schmerzen und Ängste lindern

Auch darauf müssen Psychoonkologen eingehen, die aus den verschiedensten Fachrichtungen kommen: aus der Ärzteschaft, der Psychotherapie, ebenso wie aus der Psychologie, dem Pflegebereich oder aus dem Kreis der Sozialarbeiter. Sie müssen über jahrelange Erfahrung in einer onkologischen Schwerpunktklinik verfügen und spezielle Zusatzausbildungen absolviert haben. Gaiger: „Die Psychoonkologie ist ein eigenes, hoch spezialisiertes Fachgebiet der Onkologie, das durch die enge Verflechtung körperlicher, sozialer und psychischer Faktoren, Wirkungen und Nebenwirkungen der Krebstherapie nicht mit klinischer Psychologie oder Psychotherapie gleichgesetzt werden kann. Die Krankheit betrifft nicht nur den Patienten, sondern auch Partner, Kinder und Eltern. Psychoonkologie beschäftigt sich daher immer auch mit dem System Familie. So etablieren wir gerade ein onkologisches Schulungs- und Rehabilitationsprogramm für Patienten und ihre Angehörigen.“
Das Konzept bringt Erfolge, denn durch gezielte Maßnahmen wie beispielsweise eine spezielle Psychotherapie oder auch durch Verfahren wie Psychoedukation, Kurzzeitpsychotherapie, Entspannungstechniken und kunsttherapeutische Verfahren lässt sich der Leidensdruck durch Schmerzen, Trauer, Depressivität und Ängste reduzieren – und zwar so weit, dass die Patienten weniger Pflege brauchen. Das bedeutet für die Betroffenen einen enormen Gewinn an Lebensqualität und Autonomie, für die Angehörigen eine deutliche Entlastung und für das Gesundheitswesen insgesamt niedrigere Kosten. Durch das Engagement der Pensionsversicherungsanstalt wurde nun auch die Durchführung des Pilotprogramms onkologische Rehabilitation möglich. Und Wien wird im heurigen Dezember übrigens Schauplatz eines internationalen Kongresses zum Thema Psychoonkologie sein, bei dem die neuesten Erkenntnisse aus diesem Bereich der Krebstherapie präsentiert werden.

Buchtipp:
Fässler-Weibel, Gaiger (Hrsg.), Über den Schatten springen. Vom Entwirren einer Krankheit durch Begegnung, ISBN 978-3-7228-0721-8
Paulus Verlag, 2009

Webtipps
Hilfreiche Informationen für Krebspatienten und ihre Angehörigen finden sich unter www.krebs-patienten.info und www.krebsinfo.at

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