Schwere Geburt

März 2012 | Medizin & Trends

Immer mehr übergewichtige Babys in Österreich
 
XL-Babys mit viereinhalb Kilo Geburtsgewicht und mehr – der Trend zeigt sich auch in Österreich. Weil die kleinen Schwergewichte einen denkbar schlechten Start ins Leben haben, sind rechtzeitige Maßnahmen gefordert. Denn Übergewicht im Babyalter birgt nicht nur kurzfristige, sondern auch dauerhafte Risiken für die Gesundheit.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Mit seinen fast fünf Kilo Geburtsgewicht hatte der kleine Julian einen wahrlich schweren Start ins Leben. Wegen seiner Größe blieb er außerdem mit den Schultern im Geburtskanal stecken, sodass vorübergehend die Versorgung über die Nabelschnur gefährdet war.
Und auch in Zukunft wird der junge Erdenbürger mit mehr gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben als andere: Als Sohn einer adipösen Mutter, ist Julians Risiko, selbst übergewichtig zu werden, massiv erhöht.

Gewichtiges Problem

Mit seinen Startschwierigkeiten ist der kleine Oberösterreicher nicht allein: Immer mehr Neugeborene kommen mit einem zu hohen Geburtsgewicht zur Welt, die Mediziner sprechen von fetaler Makrosomie. Österreichweit bringen derzeit mehr als acht Prozent aller Neugeborenen mehr als vier Kilo auf die Waage – das sind rund 6200 Kinder jährlich. Zukünftig könnte Makrosomie sogar ein noch viel gewichtigeres Problem werden. „Die wichtigsten Risikofaktoren sind Diabetes sowie starkes Übergewicht der Mutter“, berichtet die Wiener Gynäkologin Univ. Prof. Dr. Dagmar Bancher-Todesca. „Und beide Faktoren sind stark im Zunehmen begriffen.“

Diabetes lässt Babys wachsen

So fördert der mütterliche Diabetes bzw. Schwangerschaftsdiabetes – so bezeichnet man einen Diabetes, der erstmals in der Schwangerschaft auftritt – das exzessive Wachstum des Ungeborenen. „Die erhöhten Blutzuckerwerte im Blut der Mutter gehen über die Plazenta, den Mutterkuchen, auf das Kind über, das darauf mit Insulinausschüttung reagiert. Und Insulin im Körper des Babys wirkt anabol, also wachstumsfördernd“, verdeutlicht die Münchner Kinderärztin Dr. Regina Ensenauer. Um den Schwangerschaftsdiabetes in den Griff zu bekommen, hat man in Österreich vor zwei Jahren ein wichtiges Kontrollinstrument eingeführt: den Zuckerbelastungstest, der im Rahmen der Mutter-Kind-Passuntersuchungen zwischen der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird. Die Maßnahme ist für stark übergewichtige Frauen besonders wichtig – ihr Risiko, einen Schwangerschaftsdiabetes zu entwickeln, ist sehr hoch. Wird dem Diabetes rechtzeitig entgegengesteuert, dann vielfach mit gutem Erfolg: In den meisten Fällen kann die Mutter dann ein normalgewichtiges Kind entbinden. Bleibt der Diabetes jedoch unentdeckt bzw. unbehandelt, erhöht sich nicht nur das Risiko für Übergewicht beim Neugeborenen; es steigt außerdem die Gefahr, dass das Kind bereits im Schulalter adipös wird oder an einer Zuckerstoffwechselstörung erkrankt.

Folgenschweres Übergewicht

Auch Übergewicht und erst recht starkes Übergewicht der Mutter sind – selbst, wenn sich daraus kein Schwangerschaftsdiabetes entwickelt – äußerst ungünstig fürs Kind. Und wie beim Diabetes verzeichnet man auch hier einen enormen Anstieg: „In Deutschland ist etwa jede dritte Frau im gebärfähigen Alter übergewichtig oder adipös“, berichtet Regina Ensenauer. In Österreich dürfte die Situation ähnlich sein, vermutet Bancher-Todesca und verdeutlicht die Konsequenzen: „Eine Studie an 24.000 Nichtdiabetikerinnen hat gezeigt, dass Schwangere, die mehr als 80 Kilogramm wogen oder bereits mehr als zwei Geburten hinter sich hatten und sehr groß waren, ein doppelt so hohes Risiko hatten, ein Kind von mehr als vier Kilo zu bekommen.“ Der Einfluss des mütterlichen Gewichts geht sogar noch weiter: „Wir wissen, dass es auch einen Zusammenhang gibt zwischen dem Übergewicht der Mutter bei Beginn der Schwangerschaft und dem kindlichen Übergewicht später“, so Regina Ensenauer.

Übermäßige Gewichtszunahme

Damit nicht genug: Auch die mütterliche Gewichtszunahme während der Schwangerschaft hat einen Einfluss auf die Entwicklung der Babys – die Schwangere sollte darauf achten, wie viel sie während der neun Monate zunimmt. „Frauen mit einer Gewichtszunahme von rund 20 Kilogramm bekommen im Vergleich zu jenen, die nur zwischen zwölf und 15 Kilogramm zunehmen, dreimal häufiger makrosome Kinder“, weiß Bancher-Todesca. Übergewichtige Schwangere sollten ein besonders wachsames Auge auf die Waage haben: Laut einer offiziellen Empfehlung des Institutes of Medicine (IOM) sollte eine Frau umso weniger zunehmen, je mehr sie vor der Schwangerschaft gewogen hat. „Für eine normalgewichtige Frau sind bis zu 16 Kilogramm vorgesehen, bei einer adipösen Frau rund neun Kilo“, berichtet Ensenauer. „Schließlich haben Kinder von Frauen mit Übergewicht und einer starken Gewichtszunahme in der Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko, selbst übergewichtig zu werden.“

Kurz- und langfristige Folgen

Die kleinen Schwergewichte haben nicht nur lang- sondern auch kurzfristig mit verschiedenen Problemen zu kämpfen: Bei der Geburt eines XL-Babys von mehr als viereinhalb Kilo ist das Risiko für schwere Komplikationen (z. B. Nervenlähmungen des Armes) im Vergleich zu normalgewichtigen Neugeborenen um das 21-Fache erhöht. Ein häufiges und gefürchtetes Problem ist das Steckenbleiben der Schulter im Geburtskanal – die Schulterdystokie –, von der auch der kleine Julian betroffen war. „Weiters kommt es auch viel häufiger zu Brüchen des Schlüsselbeins“, sagt Bancher-Todesca. Bei der Mutter wiederum sind Wehenschwächen, starke Damm- oder Schleimhautrisse, Weichteilverletzungen und Blutungen häufiger.
Aufgrund dieser Risiken setzt man – wenn man ein erhöhtes Geburtsgewicht erwartetet –großzügiger einen Kaiserschnitt. „Die Kaiserschnittrate verdoppelt sich bei Kindern, die mehr als vier Kilo wiegen“, so die Gynäkologin. Mit der Zunahme von schwergewichtigen Babys wird diese Rate weiter ansteigen.
Auch der Zuckerstoffwechsel des übergewichtigen Neugeborenen ist häufig verändert – deshalb werden gleich nach der Geburt seine Blutzuckerwerte kontrolliert. „Schließlich musste das Kind im Mutterleib auf den hohen Zucker der Mutter mit Insulinausschüttung reagieren“, erklärt Ensenauer. „Dieser Mechanismus geht nach der Entbindung ohne den Zuckerzustrom der Mutter weiter, was zur Unterzuckerung führen kann.“ Ist dies der Fall, muss frühzeitig zugefüttert oder eine Glukoselösung gegeben werden. Parallel sollte der Milchfluss der Mutter gefördert werden, da Stillen als Schutzfaktor für Übergewicht gilt – und deshalb für die Entwicklung von XL-Babys wie den kleinen Julian ganz besonders wichtig ist.
Schließlich sind die Gewichtsprobleme makrosomer Kinder oft von Dauer, wie auch eine israelische Studie an 33.400 Jugendlichen zeigt. „Demnach sind jene Kinder, die bei der Geburt mehr als 4500 Gramm wogen, bedeutend häufiger übergewichtig geworden“, berichtet Bancher-Todesca.

„PEACHES“-Studie:
Beginnt kindliches Übergewicht bereits im Mutterleib?

Welche Langzeitfolgen haben die Bedingungen im Mutterleib auf das Gewicht der Kinder bis zum Schuleintritt? Das herauszufinden ist das Ziel des bayrischen Forschungsprogramms „PEACHES“ (Programming of Enhanced Adiposity Risk in Childhood – Early Screening), an dem sich 18 Geburtsklinken beteiligen: „Es geht darum, über das Nabelschnurblut jene Einflüsse, denen ein Kind schon im Mutterleib ausgesetzt war, abzubilden, zu messen und auszuwerten, ob sich daraus Prognosen für die weitere Entwicklung machen lassen“, betont die Initiatorin der Studie, die Münchner Kinderärztin Dr. Regina Ensenauer. Mittlerweile sind 240 adipöse Mütter und ihre Kinder im Programm, erste Ergebnisse werden voraussichtlich 2015 vorliegen.

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