Plaudern Sie sich gesund

September 2008 | Gesellschaft & Familie

So wichtig ist das persönliche Gespräch
 
Sie kennen doch bestimmt das wohltuende Gefühl nach einem persönlichen Gespräch mit einem netten und aufmerksamen Menschen? Man konnte sich selbst einiges von der Seele reden, fand interessant, was das Gegenüber zu erzählen hatte und freut sich auf das nächste Mal. Positive soziale Kontakte, Zuwendung, Nähe und Wertschätzung sind aber nicht nur höchst angenehm, sondern schützen auf interessanten Umwegen auch vor Krankheiten und verbessern die Heilungschancen. Das bestätigen neue wissenschaftliche Erkenntnisse, und Frauen haben es ohnehin immer schon geahnt: Ergiebiges Plaudern ist gesund – allerdings in erster Linie in seiner leider sehr selten gewordenen Urform von Angesicht zu Angesicht…
 
Von Heimo Revnea

Tag für Tag werden Millionen von E-Mails und SMS verschickt, unzählige Telefonate per Handy und im Festnetz geführt sowie viele Stunden in Internet-Communities verbracht. In Anbetracht all dessen steht eindeutig fest, dass in der heutigen Zeit so viel kommuniziert wird wie noch nie zuvor. Mittlerweile mehren sich allerdings die Zweifel an der Qualität dieser boomenden neuen Formen zwischenmenschlicher Verständigung. Genährt werden diese Zweifel von immer mehr Hinweisen darauf, dass schnöder und von diversen technischen Hilfsmitteln getragener Austausch von Informationshappen den menschlichen Grundbedürfnissen nach Nähe und Bindung einfach nicht genügen kann. Mehr noch: Die solcherart entstehenden Mangelerscheinungen schaffen häufig schweren Stress für Körper und Seele.

Stresskiller: Nähe und Zuwendung
Mit einem viel zitierten Satz liefert der deutsche Neurowissenschafter und Erfolgsautor Joachim Bauer („Prinzip Menschlichkeit“ etc.) den entscheidenden Hinweis zum brisanten Thema. Er meint: „Die beste Droge ist der andere Mensch“. Den Fortschritten der Neurobiologie und dem solcherart frei gewordenen Blick auf die Chemie des Körpers verdanken wir, dass die Wirkungen dieser „Droge“ bis ins Detail nachvollziehbar geworden sind.

Zentrale Bedeutung haben Botenstoffe, deren Quelle einfach gelingende Beziehungen von Mensch zu Mensch sind. So lassen positive soziale Kontakte, Nähe und natürlich vor allem Liebe das Bindungshormon Oxytocin förmlich sprudeln. Dieses wirkt wie eine Wunderwaffe, wenn es darum geht, Stress und Ängste zu besiegen sowie das Immunsystem zu stärken. Oder es entstehen die endogenen (im Körper erzeugten) Opioide, die nicht nur die Lebenslust sondern auch wieder das Immunsystem beflügeln können. Und schließlich wird auch Dopamin produziert, das unter anderem für Antrieb, Motivation und kognitive Leistungsbereitschaft verantwortlich zeichnet. Andererseits hilft Zuwendung auch dabei, dass gefährliche Stresshormone – wie etwa Cortisol – abgebaut werden.

Entscheidend für die Wirkung der „Droge Mensch“ ist natürlich ihre Dosis und dazu die Frage, auf welchen Wegen sie verabreicht wird. Reichen ein paar nette Sätze, die über E-Mails, SMS oder Telefonate versendet werden? Fachleute sehen da nur ein ziemlich eingeschränktes Potenzial an therapeutischen Kräften. Der Grund dafür ist nicht allein das solcherart zumeist kärgliche Maß der kommunikativen Zuwendung, sondern auch das Phänomen der so genannten „Kanal-Reduktion“. Der Mensch verständigt sich von Natur aus auf mehreren Kanälen. Zum gesprochenen Wort kommen der Tonfall der Stimme und das, was man als Körpersprache bezeichnet – nämlich Mimik und Gestik. Wobei bemerkenswerterweise Tonfall und Körpersprache mit großem Abstand die wichtigste Rolle spielen.

Der US-Psychologe Albert Mehrabian hat schon vor über drei Jahrzehnten in seinem Buch „Nonverbal Communication“ die Bedeutung der Worte entzaubert. Nach seinen Untersuchungen, die mittlerweile vielfach bestätigt sind, beziehen wir die klare Mehrheit unserer Informationen, nämlich 55 Prozent, aus der Körpersprache. Weitere 38 Prozent liefert die Stimme eines Menschen. Für die Wirkung der verbalen Inhalte bleiben bescheidene sieben (!) Prozent.
Damit wird klar, wie dürr die Beziehungskraft schriftlicher Verständigung (SMS, E-Mail, etc.) ist. Sie wird eben nur auf dem schmalspurigen und bedeutungsarmen Inhaltskanal gesendet, beim Telefonieren ist immerhin schon zusätzlich der Tonfall, die Stimme an Bord. Aber ein viel sagender Blick am anderen Ende der Leitung schaut beispielsweise ins Leere.

Vergessene Kunst: Zuhören
Zu einem im wahrsten Sinne des Wortes gesunden Gespräch gehört natürlich auch die Fähigkeit, zuhören zu können. Eine alte Weisheit besagt, dass nur jener Mensch offene Ohren findet, der auch selbst die Kunst der auditiven Aufmerksamkeit beherrscht. Und genau diese Zeitgenossen werden, stellte die „ARGE Zuhören in Österreich“ (www.zuhoeren.at) in diversen Studien zuletzt fest, rasant weniger. Ihre Aktivisten nennen diese aus der Mode gekommene Tugend „die vergessene Hälfte der Kommunikation“ und belegen diese Behauptung mit einem Blick in die Regale von Buchläden und auf Seminarangebote. Redekunst hat überall Hochsaison, Zuhören wird erst langsam wieder zum Thema.
Was das (Zu-)Hören aus der Sicht von Josef Zollneritsch, dem Vorsitzenden der ARGE, so ungemein kostbar macht: Es handelt sich um den sozialen Sinn des Menschen. Wo er verkümmert, wächst die Einsamkeit. Über deren Auswirkungen auf die Gesundheit weiß man inzwischen sehr gut Bescheid. So konnte der US-Forscher James Lynch nachweisen, dass bei Singles viele Krankheiten doppelt bis viermal so oft vorkommen wie bei Menschen, die in (positiven) Beziehungen leben. Und wie wertvoll es ist, in seiner Umgebung offene Ohren zu finden, hat auch James Pennebaker, Professor für Psychologie an der Universität von Dallas, gezeigt. Ihm gelang der Nachweis, dass unterdrückte Gefühle und verschwiegene Konflikte zu einer körperlichen Belastung werden. Es stimmt also ganz genau, wenn es im Volksmund heißt, dass man „sich etwas von der Seele reden“ kann.

Wieder entdeckt: das persönliche Gespräch
Auf der enormen Bedeutung des persönlichen Gesprächs und neuesten Erkenntnissen der Zuhörforschung baut auch ein neues Modell von Redekunst auf, das Experten der ARGE entwickelt haben – sie sprechen von Highway-Rhetorik. Es geht dabei um regen Informationsverkehr auf mehreren Spuren und in beide „Fahrtrichtungen“ sowie um einen spannenden Nebeneffekt – nämlich die Überwindung der so weit verbreiteten Redeängste.
Von Seiten der ARGE Zuhören entdeckt man auch allerlei Hoffnungsschimmer zum eigenen Anliegen. Einer der stärksten leuchtet, wie man meint, jährlich beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Man bedenke, dass dort über 2000 bedeutsame Top-Manager aus aller Herren Länder sehr viel Zeit und Geld dafür opfern, dass sie fünf Tage lang kostbare persönliche Gespräche führen können. Dieser Verzicht auf Videokonferenzen etc. dient durchwegs auch dem ökonomischen Wohlbefinden ihrer Unternehmen, denn in den Chefetagen dieser Welt geht längst die Erkenntnis um, dass man einander bei wichtigen Kontaktgesprächen oder Verhandlungen in die realen Augen schauen muss – und dass man im entscheidenden Augenblick bei seinem Gegenüber auch noch so kleine Zeichen der Körpersprache nicht übersehen darf. Auf sie kommt es, wie schon gesagt, in der zwischenmenschlichen Kommunikation in erster Linie an. Und sie kann auch die beste Technik nicht übertragen.

Gespräche machen sich bezahlt
Auch für Univ. Prof. Dr. Michael Kunze, Vorstand des Instituts für Sozialmedizin an der Universität Wien, ist die gesundheitliche Bedeutung von menschlicher Zuwendung und positiven Kontakten ein, wie er sagt, sehr wichtiges Thema geworden. Besonders wenn es um die Qualität des ärztlichen Gespräches mit den Patientinnen und Patienten geht. In diesem Sinne übt er als Universitätslehrer auch Selbstkritik: „Der Patient von heute will einerseits Computertomografie und andererseits aber auch genügend Zuwendung. Und diesbezüglich schulen wir unsere Studenten eindeutig zu wenig.“
Der engagierte Sozialmediziner sieht auch Hoffnungsschimmer – und zwar in so mancher Chefetage: „Im Management entdeckt man mehr und mehr die Bedeutung von menschlicher Zuwendung und ich höre immer öfter von Chefs, die bereits einen erheblichen Teil ihrer Zeit dafür verwenden, um mit ihren Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen, ihnen zuzuhören.“ Nachsatz: „Ich bin sicher, dass sich das für sie auch bezahlt macht.“

BUCHTIPP:

Chibici: Alle reden – keiner hört zu.
Wie es heute gelingt, Aufmerksamkeit zu erobern,
4. Auflage erscheint im Oktober 2008

160 Seiten, € 14,90 ISBN 978-3-902552-36-5
Verlagshaus der Ärzte
    

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