Ernährung & Genuss

Slow Food: Langsam essen im Trend

Warum Essen am gesündesten ist, wenn man es zelebriert
 
Immer mehr Menschen in unseren Breiten haben Probleme mit dem Essen. Wir essen zu viel und werden zu dick und/oder wir essen das Falsche und leiden unter Verdauungsstörungen. Dabei wäre es ganz einfach, sich gesund zu ernähren. Wie es gehen kann, zeigt die „Slow Food-Bewegung“ vor.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Wie schön waren die Samstagabende als Au-pair-Mädchen in Frankreich: Die ganze Familie rund um einen riesengroßen Tisch versammelt, Mutter und Vater, Tochter und Sohn, Oma und Opa, Onkel und Tante, Neffen und Nichten, Freunde und der alleinstehende Nachbar von vis-a-vis. Es wurde unentwegt geredet, Wasser und Wein getrunken – und gegessen, andauernd gegessen. Gang für Gang. Zuerst gab es Salate und Suppen, dazu knuspriges Baguette, dann etwas Gemüse, anschließend ein wenig Lasagne, und nach einer Pause Fisch oder Hendl, Rinderfiletsteak oder Schweinsmedaillons. Zum Abschluss wurden mehrere Käsesorten kredenzt, und wer dann noch Platz für mehr hatte, bekam ein Eis, einen Pudding oder einen Kuchen, dazu einen Espresso. Am Ende des Mahles schlug die Uhr Mitternacht, und alle gingen schlafen.
Aber nicht nur samstags speiste die Familie festlich. Auch wenn keine Gäste da waren, ging es opulent zu. Das Erstaunliche daran: Kein einziges Mitglied der Familie hatte Übergewicht. Niemand klagte über ernährungsbedingte Beschwerden wie Sodbrennen oder Verdauungsstörungen. Und auch aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis war nichts von derlei Dingen zu hören. Wie machen das die Franzosen?
„Die Franzosen haben genauso wie die Südländer selten Probleme und Krankheiten, die sich aus dem Essen ergeben, weil sie schlicht und einfach eine andere Esskultur haben als zum Beispiel wir Österreicher“, sagt Dr. Paul Sungler, Chirurg an der Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg. Der Mediziner ist Mitglied der so genannten Slow Food-Bewegung, die 1986 in Italien gegründet wurde und heute weltweit 80.000 Mitglieder zählt. Er und die übrigen „Slow-Foodianer“ haben sich einiges zum Ziel gesetzt. „Wir wollen die gepflegte Esskultur erhalten, wo sie noch vorhanden ist, sie wiedererwecken, wo es notwendig ist, und uns in dem Wissen nach der Slow Food-Philosophie ernähren, dass sie für körperliche und seelische Gesundheit sorgt, also das allgemeine Wohlbefinden fördert.“

Was macht das Essen zum Slow Food?

1. Wahl der Lebensmittel                                                                           
Dabei wird darauf geachtet, dass vor allem Produkte aus der Region, in der man lebt, auf den Tisch kommen. Dr. Sungler: „Wer hier bei uns einen Apfel isst, der aus der Steiermark stammt, isst nicht nur geschmackvoller, sondern auch vitaminreicher und gesünder als jemand, der zur Kiwi greift, die Tausende Kilometer weit von uns entfernt unreif geerntet wurde und immer noch unreif hier in den Supermarktregalen landet.“ Gleiches gilt für die frisch gefangene heimische Gebirgsforelle im Gegensatz zum gezüchteten Lachs aus Alaska, oder für den guten Tropfen aus der Wachau im Gegensatz zum Wein aus einem Gebiet, von dem wir nicht einmal wissen, was nach der dort geltenden Rechtslage alles an Zusatzstoffen beigemischt werden darf und wird.

2. Art und Weise der Zubereitung
Die Slow Food-Bewegung setzt hierbei auf heimische Tradition und unterstützt Wirte, die nach überlieferten Rezepten kochen. Diesen Teil der Vereinsphilosophie setzt Dr. Sungler auch in seinem privaten Bereich um: „Ich stelle mich gern am Wochenende an den Herd und probiere aus, Gerichte für meine Familie und Freunde zu kochen, die ich noch von meiner Großmutter kenne. Das macht mir und auch den Gästen große Freude.“

3. Der langsame Genuss
Steht das Essen auf dem Tisch, so lautet die Empfehlung der Slow-Foodianer: Iss langsam! Genießen, bewusst und quasi im Zeitlupentempo essen, heißt die Devise. Dr. Sungler: „Wenn man sich bei der Nahrungsaufnahme Zeit lässt, tritt das Sättigungsgefühl schneller ein, so isst man automatisch weniger und wird nicht dick. In Folge dessen hat man auch nicht mit der ganzen Reihe an Beschwerden und Erkrankungen zu kämpfen, die Übergewicht mit sich bringt, wie Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes und andere.“
Dass langsames, bewusstes Essen auch Verdauungsprobleme verhindert oder bereits vorhandene Beschwerden lindert, besagt nicht nur das alte geflügelte Wort „Gut gekaut ist halb verdaut“. Das belegen mittlerweile auch mehrere wissenschaftliche Studien. Wer gut kaut, sorgt dafür, dass das Essen gut eingespeichelt wird und ohne Widerstand durch die Speiseröhre in den Magen gelangt.
Dort werden die Teile durch die Magensäure zerkleinert, Keime werden abgetötet, was ebenfalls umso besser funktioniert, je gründlicher das Essen bereits im Mund „vorbehandelt“ wurde. Nach einiger Zeit öffnet sich der Magen und gibt den Nahrungsbrei an den Dünndarm weiter.
Für die restlichen Verdauungsschritte gilt: Je höher die Qualität, der Vitamin- und Nährstoffanteil der Nahrungsmittel, die aufgenommen wurden, desto besser funktionieren diese Schritte und desto gesünder ist und bleibt der Essende.

Zauberwort: Zelebrieren!
Doch wir leben in einer hektischen Zeit. Für die meisten ist es berufsbedingt unmöglich, abends so früh daheim zu sein, dass noch mehrere Stunden in Zubereitung und Verzehr des Essens investiert werden können. Und mittags können wir unseren Hunger aus Zeitmangel sowieso oft nur mit irgendeinem Happen für zwischendurch stillen. Was tun?
„Kein Problem“, sagt Dr. Sungler: „Diesbezüglich heißt das Zauberwort: Zelebrieren! Und das können Sie auch dann tun, wenn Sie ,nur‘ einen Müsliriegel oder ein Weckerl essen.“ Der konkrete Rat des Mediziners: Man zerschneide den Snack, drapiere ihn auf einem Teller und genieße Stück für Stück. Schon is(s)t man (wie) ein Slow-Foodianer.

 

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Slow Food versus Fast Food:
Wie das Essen entschleunigt wurde
Die „Slow Food-Bewegung“ wurde im Jahr 1986 von dem Italiener Carlo Petrini gegründet, um der Fast Food-Bewegung Kontra zu geben, die sich damals rasch verbreitete. 1989 trafen in Paris die Slow Food-Delegationen aus aller Welt zusammen, um das so genannte Slow Food-Manifest zu unterzeichnen. Ein Abschnitt darin lautet: „Gegen diejenigen, die Effizienz mit Hektik verwechseln, setzen wir den Bazillus des sinnlichen Genusses, welcher sich in einer geruhsamen und anhaltenden Lebensfreude manifestiert. Wir beginnen sogleich mit dem Slow Food-Programm. Zu Tisch! Gegen die Verflachung des Fast Food setzen wir den Reichtum der Geschmäcker aller regionalen Küchen. Wenn das Fast Life im Namen der Produktivität unser Leben kastriert, Menschen und Umwelt bedroht, muss die Slow Food-Bewegung die entsprechende Antwort einer neuen Avantgarde sein.“
Heute, 21 Jahre nach der Gründung, zählt die Slow Food-Bewegung, deren „Wappentier“ die Schnecke ist, weltweit mehr als 80.000 Mitglieder in 50 Ländern. Die Mitglieder sind in lokalen Gruppen organisiert, „Convivien“ genannt, die regelmäßig themenbezogene Abendessen, Verkostungen von Lebensmitteln, aber auch von Wein und Bier organisieren und gemeinsame Ausflüge unternehmen.

 

Kontakttipps
www.slowfood.com
Dort erhalten Sie Informationen über die internationale Slow Food-Bewegung und die Stützpunkte des Vereins in Österreich.
www.arche-noah.at
Dort finden Sie Informationen über die österreichische Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und Bezugsquellen „ursprünglicher“, heimischer Lebensmittel.


     

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