Fitness & Entspannung

Training unter Strom

Was das Work-out mit elektrischen Impulsen bringt
Es findet immer mehr Anhänger in der Fitnessszene: das Training mit elektrischen Impulsen (EMS), das die Muskeln besonders schnell wachsen und Fett ebenso rasch schwinden lassen soll. Wie das Work-out funktioniert und was es tatsächlich bewirkt.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Mit Turnschuhen, Sporthose und Leiberl ist es dabei nicht getan. Wer ein elektrisches Muskelstimulationstraining (EMS) absolvieren will, muss in enge Funktionswäsche schlüpfen. Dann werden Manschetten mit Elektroden um Arme, Beine und das Gesäß gezurrt, eine Weste wird übergestreift und über Kabel mit einem Gerät verbunden, das aussieht wie ein Mischpult und der Regulierung von Stromzufuhr dient. Erst dann kann es losgehen: Der Trainer drückt einen Knopf, Lämpchen leuchten auf – Strom fließt.
Die elektrischen Impulse bewirken, dass die Muskeln in Beinen, Hintern, Bauch, Rücken und Armen kribbeln und sich zusammenziehen. Jetzt aktiviert man die Muskeln zusätzlich selbst, etwa indem man in die Hocke oder Liegestützposition geht. Nach vier Sekunden äußerster Anspannung wird vier Sekunden pausiert, dann geht es weiter mit vier Sekunden  Ausfallschritten, vier Sekunden Pause, vier Sekunden Bizeps-Übungen, Pause, Trizeps-Liegestütze, Pause, Sit-ups etc. – je nachdem, welche Muskelgruppen besonders trainiert werden sollen.
Solche Work-outs unter Strom werden in immer mehr Fitnessstudios angeboten; sie versprechen relativ raschen Trainingserfolg bei vergleichsweise geringem Zeitaufwand: Nur 20 Minuten dauert eine komplette Einheit; schon ein- bis zweimaliges Trainieren pro Woche soll genügen, um die Muskeln besonders schnell zum Wachsen und Fett ebenso rasch zum Schwinden zu bringen. Darüber hinaus könne EMS auch Beschwerden wie Rückenschmerzen beseitigen, heißt es. Bei solchen Aussichten ist es kaum noch verwunderlich, dass das Training trotz seiner frappanten Ähnlichkeit mit Foltermethoden immer mehr Anhänger findet. Doch hält es, was es verspricht?

Doppelte Anforderung

„Tatsächlich kann man durch ein EMS-Training, das in einem Zusammenspiel aus elektrischen Impulsen und Körperübungen besteht, vergleichsweise schnell Muskeln auftrainieren“, bestätigt Prim. Univ. Prof. DDr. Josef Niebauer, MBA, Vorstand des Universitätsinstituts für präventive und rehabilitative Sportmedizin der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg. Das beweisen die mittlerweile vielen Erfahrungswerte genauso wie die Ergebnisse verschiedener Studien, die an den Universitäten in Bayreuth und Nürnberg sowie an der Sporthochschule Köln durchgeführt wurden.
Warum genau gelangt man durch EMS-Training rascher ans Ziel als mit herkömmlichen Übungen? „Beim normalen Krafttraining mit Hanteln, an Geräten oder auch mit dem eigenen Körpergewicht wird immer nur ein Teil der Fasern eines Muskels angespannt“, liefert Niebauer die Erklärung. „Wenn man die Muskeln durch Stromimpulse und zusätzlich durch die körpereigene Anspannung reizt, werden aber fast alle Fasern zugleich aktiviert.“ Und so wachsen Bizeps, Trizeps & Co eben schneller und bauen sich bald zu spür- und sichtbaren Wölbungen auf.
Aufgebaute Muskeln wiederum erhöhen den Grundumsatz, also jene Kalorienanzahl, die der Körper in Ruhe verbraucht. Zumindest auf diese Art und Weise könne, so Niebauer, das EMS-Training durchaus Fett zum Verschwinden bringen, weniger durch die Anstrengung während der Übungseinheiten selbst: „Da die EMS-Trainings doch eher kurz sind und abgesehen von den Muskeln der gesamte Körper dabei nicht so sehr belastet wird, werden durch das Training selbst nicht so viele Kalorien verbraucht.“ Beschwerden wie Rückenschmerzen können durch den Zuwachs an Muskelmasse ebenfalls beseitigt werden, meint der Experte, freilich nur dann, wenn sie auf Muskelschwächen im Rücken zurückgehen.

Ideale „Einstiegsdroge“

Wie bei jeder anderen Sportart stellen sich die Erfolge bei EMS umso schneller ein, je niedriger das Einstiegsniveau des Trainierenden ist. „Wer vor Beginn mit dem Training gar keinen Sport gemacht oder sich kaum bewegt hat, wird trotz des geringen Zeitaufwands schon nach wenigen Wochen deutliche Veränderungen zum Positiven bemerken“, weiß Josef Niebauer. Durch den Muskelaufbau verbessert sich das Körperbewusstsein: „Die Trainierenden merken, wie gut ihnen Sport tut, und das spornt viele dazu an, noch mehr zu trainieren.“ Vor allem deswegen hält der Experte das Training unter Strom für eine „ideale Einstiegsdroge in ein sportliches Leben“. Dann aber dauerhaft nur EMS-Einheiten zu absolvieren, sei zwar immer noch besser, als sich gar nicht zu bewegen, räumt Niebauer ein: „Aber optimal ist die Beschränkung auf EMS nicht.“ So ist nach einiger Zeit keine wesentliche Intensivierung mehr möglich, und wie Erfahrungen zeigen, lässt der Kraftgewinn durch das Training bald nach. „Wer seine Kraft merkbar steigern will, ist daher mit herkömmlichem Krafttraining besser beraten“, so Niebauer. „Denn dabei beansprucht man die Muskeln länger, und die Belastung entspricht auch eher jener, die wir im Alltag haben und wofür wir überhaupt kräftigere Muskeln brauchen.“
Außerdem empfehle es sich laut Niebauer nicht, ausschließlich auf Krafttraining zu setzen, da dies zu einseitig sei: „Das Koordinations- und Gleichgewichtstraining kommt dabei ebenso zu kurz wie das Trainieren unseres wichtigsten Muskels, des Herzmuskels, beziehungsweise unseres Herz-Kreislaufsystems.“ Alles zugleich, also Koordination, Gleichgewicht und Ausdauer in einem zu verbessern, funktioniere am besten mit Ausdauersport. Sportmediziner Niebauer rät daher, das Krafttraining z. B. durch Laufen, Radfahren oder Schwimmen zu ergänzen; für das Ausdauertraining sollten auf mehrere Einheiten aufgeteilt insgesamt mindestens 150 Minuten pro Woche aufgewendet werden.  

Nette Abwechslung

Zurück zum Training unter Strom: Dass es vielen Couch-Potatos den Weg in ein sportliches Leben ebnet, ist nicht der einzige Grund dafür, dass EMS im Trend liegt. Die große Beliebtheit kommt auch daher, dass selbst jene, die viel und vielfältig Sport betreiben, davon profitieren können. Schließlich können die Trainer die Stromreize etwas stärker setzen, wodurch sich die Muskeln intensiver zusammenziehen. Und die Körperübungen lassen sich auch in anstrengenderen Varianten ausführen. „So erhalten selbst Muskeln, die bereits aufgebaut sind, durch die Kombination aus elektrischen Reizen von außen und willentlicher Anspannung besondere Impulse und wachsen noch“, informiert Niebauer. Abgesehen davon wird das Training unter Strom von Sportlern vielfach als nette Abwechslung zum gewohnten Krafttraining betrachtet. „Immer wieder einmal etwas Neues auszuprobieren, tut der Motivation immer gut“, weiß Niebauer.

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In der Medizin nichts Neues: EMS-Training

Erfunden wurde das EMS-(elektrisches Muskelstimulations-)Training bereits in den 1970er Jahren für die Rehabilitation nach bestimmten Verletzungen und für Patienten, die längere Zeit auf der Intensivstation liegen mussten. Die Muskeln der Intensiv- und Rehapatienten wurden unter Strom gesetzt, um zu verhindern, dass sie schwinden und dadurch Kraft abhandenkommt. Etwas später entdeckten Profisportler das Training für sich und setzten es nicht nur nach Verletzungen, sondern auch für den anschließenden Muskelaufbau ein. Einzug in die Freizeitsportlerszene nahm die elektrische Muskelstimulation erst vor einigen Jahren.  
Das EMS-Training kann fast allen empfohlen werden. Menschen mit Epilepsie und Trägern von Herzschrittmachern wird allerdings davon abgeraten: „Es kann sein, dass das Reizen mit elektrischen Impulsen bei Epileptikern zu Anfällen führt und dass bestimmte Herzschrittmacher durch die Impulse in ihrer Funktion beeinträchtigt werden“, gibt Sportmediziner Prim. Univ. Prof. DDr. Josef Niebauer zu bedenken. Betroffenen rät er, ihren Arzt zu fragen, ob das Training für sie geeignet ist.

 

Stand 11/2014

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