Ein Glas Bier da, ein Viertel Wein dort – Österreichs Senioren sind dem Alkohol sehr zugetan, mehr als ältere Frauen und Männer in anderen Ländern Europas. Doch die Kombination „Viele Lebensjahre – viel Alkohol“ ist höchst problematisch. Darüber wird freilich viel zu wenig geredet, kritisiert ein Arzt, der es wissen muss: Prim. Univ. Prof. Dr. Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien.
Von Dr. Kurt Markaritzer
Das Trinken von Alkohol im Alter ist ein Tabuthema, nicht nur, aber auch in jenen Fällen, in denen es bereits zur Sucht geworden ist. „Dabei ist der Alkoholkonsum bei Senioren auch bei geringeren Mengen oft besonders bedenklich. Ich appelliere an alle, die mit älteren Leuten zu tun haben, an ihre Familien, an Pflegepersonal und Betreuer, diesen Aspekt viel stärker zu beachten, als das derzeit geschieht!“ Temperamentvoll und engagiert tritt Prim. Univ. Prof. Dr. Michael Musalek für einen verantwortungsvollen Umgang mit allen promilleträchtigen Getränken ein – und das ganz besonders bei Menschen, die sich weit in der zweiten Lebenshälfte befinden.
Die Statistik zeigt, welche Brisanz das Thema „Alkohol im Alter“ im genussfreudigen Österreich hat. Es ist nur wenige Jahre her, dass die „Europäische Studie zum Wohlbefinden im Alter“, durchgeführt von den beiden Wiener Psychologen Univ. Prof. Dr. Germain Weber und Univ. Prof. Dr. Judith Glück, ein alarmierendes Faktum aufdeckte: Ältere Österreicher frönen wesentlich intensiver dem Alkoholkonsum als ihre Altersgenossen in anderen Ländern. Die Gesamtmenge an Alkohol, die sie zu sich nehmen, übertrifft das, was in den Vergleichsländern Niederlande, Luxemburg, Schweden, Großbritannien und Italien getrunken wird, deutlich!
Ab 70 Promilleträchtiger
Offensichtlich hat sich die Situation in unserem Land verschlechtert. Mitte der 1990er Jahre zeigte eine repräsentative Erhebung nämlich, dass ältere Menschen Alkohol durchschnittlich moderater konsumieren und häufiger abstinent sind als jüngere und dass sie deutlich weniger häufig alkoholbezogene Probleme haben. Allerdings war für die Wissenschafter schon damals erkennbar, dass die Promille-Begeisterung ab dem 70. Lebensjahr zunimmt.
Experten rechnen deshalb damit, dass es in Zukunft mehr Senioren mit alkoholbezogenen Störungen geben wird, schließlich nimmt die Lebenserwartung zu und damit auch die Zahl der Frauen und Männer, die zum Glas greifen. Und sich damit unter Umständen beträchtliche Schwierigkeiten einhandeln. Das Doppel-A „Alter & Alkohol“ löst bei Ärzten jedenfalls beträchtliche Besorgnis aus. Warum, was ist so schlimm daran?
Belastung für den Organismus
Alkohol belastet den Organismus, er mindert die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit. Das liegt unter anderem daran, dass die Nervenzellen zum Abbau des Alkohols rund 80 Prozent des gesamten Sauerstoffs verbrauchen, der den Zellen zugeführt wird. Das ist eine erhebliche Belastung, noch dazu, da die Fähigkeit des Körpers, Sauerstoff aufzunehmen, im Alter zurückgeht.
Alkohol führt zu Konzentrationsstörungen, und das ist im Alter besonders problematisch, weil viele Menschen mit zunehmenden Lebensjahren ohnehin kognitive Beeinträchtigungen in Kauf nehmen müssen.
Der alternde Organismus baut Alkohol langsamer ab als früher, dadurch steigt die Konzentration in der Leber. Der Körper behält das Gift – und Alkohol ist zumindest in größeren Mengen Gift für die Zellen – länger bei sich und das kann bei regelmäßigem Konsum zu Schädigungen von Herz, Leber, Niere, Magen und Darm führen.
Mit steigendem Alter sinkt zudem der Wasseranteil im Körper. Die Alkoholmenge verteilt sich deshalb bei älteren Menschen auf weniger Körperflüssigkeit als bei Jüngeren, das verursacht einen höheren Alkoholpegel.
Blut-Hirn-Schranke gestört
„Dazu kommt“, so Musalek, „dass im Alter oft die Blut-Hirn-Schranke gestört ist. Diese Schranke ist eine Barriere zwischen dem Zentralnervensystem und dem Blutkreislauf. Im Zusammenhang mit Alkohol verhindert sie, dass Wein, Bier, Schnaps und sonstige Alkoholika ihre volle Wirkung entfalten, weil ein Teil des Alkohols durch diese Schranke sozusagen weggefiltert wird. Wenn diese Schranke durchlässig wird – und das ist bei älteren Menschen häufig der Fall – können schon kleine Mengen an Alkohol, unter Umständen ein bis zwei Achtel Wein, betrunken machen, mit allen negativen Folgen für die gesamte körperliche Verfassung bis hin zu einer drastisch erhöhten Sturzgefahr.“
Gefahr bei Medikamenten
Besondere Vorsicht ist bei Medikamenten geboten. Im höheren Alter sind viele Menschen wegen Bluthochdruck, Osteoporose, Herzschwäche, Arteriosklerose oder anderer chronischer Erkrankungen auf die regelmäßige Einnahme von Arzneimitteln angewiesen. Unter Umständen kommt es dabei zwischen den Wirkstoffen vieler Medikamente und Alkohol zu gefährlichen Wechselwirkungen, die schwere gesundheitliche Schäden anrichten können.
Musalek: „Alkohol interagiert mit allen Substanzen, die in den Arzneimitteln enthalten sind. Besonders intensiv ist diese Wechselwirkung bei sedierenden Mitteln, bei Schlafpulvern oder schmerzstillenden Medikamenten, die gerade im Alter sehr häufig genommen werden. Es kommt dabei zu massiven verstärkenden Effekten!“
Depression und Euphorie
Regelmäßiger Alkoholkonsum führt zu Depressionen, das macht den Umgang mit Alkohol für die dafür besonders anfälligen Senioren noch schwieriger: Bei vielen von ihnen nehmen Depressionszustände zu, die oftmals nicht als Krankheit erkannt werden. Diese depressive Symptomatik wird durch den Alkohol verstärkt.
Über diesen Nachteil täuscht oft der Effekt hinweg, dass Alkohol in geringen Dosen euphorisierend wirkt. Die Laune wird besser, die Stimmung hellt sich auf. Das wird als positiv empfunden. Der Stimmungsaufschwung ist allerdings meist nur vorübergehend, denn krankhafte Depressionen lassen sich mit Alkohol nicht vertreiben. Musalek: „Die Euphorie ist nicht das Gegenteil der Depression, sie kann das bedrückende Gefühl der inneren Verzweiflung höchstens kurzzeitig überdecken, aber nicht beseitigen.“
Verlorene Lebensjahre
Bei Depressionen, körperlichen Beschwerden, Trauer, Einsamkeit, Langeweile und Angst ist für viele ältere Menschen Alkohol ein Seelentröster, von dem sie dann auch mehr oder weniger abhängig werden können. Vor dieser Alkoholabhängigkeit ist man auch im höheren Alter nicht gefeit – und sie kann lebensgefährlich sein: Die Lebenserwartung Alkoholabhängiger ist bei abhängigen Männern um 17 Jahre, bei abhängigen Frauen um 20 Jahre reduziert. Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Alkohol nach Nikotin und Bluthochdruck die dritthäufigste Ursache für verlorene Lebensjahre.
Gerade in diesem Bereich ist noch viel Aufklärungs- und Informationsarbeit nötig, sagt Prof. Musalek, der mit dem Anton-Proksch-Institut in Wien die größte Suchtklinik Europas leitet: „Diese drohende oder auch bereits bestehende Abhängigkeit wird vielfach nicht erkannt, weil viele Patienten körperlich krank oder auch dement oder depressiv sind – und das erschwert die Diagnose beträchtlich. Die Alkoholkrankheit wird dann in vielen Fällen nicht behandelt.“
Die Mär vom gesunden Alkohol
Wenn Alkohol so gefährlich ist: Was ist dann mit der angeblich positiven Wirkung eines guten Tropfens, von der man immer wieder hört? Prof. Musalek: „Die einzig positive Wirkung des Alkohols ist vielleicht, dass er Spannungszustände löst. Ein Heilmittel ist er aber sicher nicht: Die Mär vom gesunden Alkohol ist und bleibt eine Mär. Alkohol ist nie gesund – im besten Fall macht er nur nicht krank!“