Hautprobleme belasten die Seele, und Seelenprobleme belasten die Haut: Dieses Wechselspiel rückt nun verstärkt ins Blickfeld der Medizin, verändert den Umgang mit bestimmten Hautkrankheiten und verbessert damit die Heilungschancen. MEDIZIN populär über jüngste Erkenntnisse.
Von Mag. Sabine Stehrer
Wir haben eine „dünne Haut“ oder ein „dickes Fell“, wir wollen im Zorn „aus der Haut fahren“, wenn uns etwas berührt, „geht es unter die Haut“ und manchmal fühlen wir uns „in unserer Haut nicht wohl“: Was gängige Redewendungen zeigen, rückt nun verstärkt ins Blickfeld der Medizin: das Wechselspiel von Haut und Seele. Wissenschaftliche Forschungen dazu stecken zwar noch in den Kinderschuhen, doch man beobachtet schon seit längerem, dass Hautprobleme die Seele belasten können – und Seelenprobleme die Haut. So stellten z. B. Forscher in Japan fest, dass sich nach dem großen Erdbeben von Kobe Mitte der 1990-er Jahre der Hautzustand von Neurodermitis- Patienten deutlich verschlechterte. Und Befragungen hierzulande ergaben, dass bei 70 Prozent der Patienten mit Neurodermitis, Psoriasis etc. die Krankheit ausbrach, als die Betroffenen unter großem Stress standen bzw. psychisch stark belastet waren.
Dazu schließlich kennt man auch den umgekehrten Effekt, dass nämlich Hautkrankheiten bei den Betroffenen zu schweren Belastungen führen. Patienten mit Akne oder Neurodermitis leiden meistens unter den sichtbaren Hautveränderungen im Gesicht oder an den Händen, verlieren an Selbstwertgefühl, meiden Freunde, ziehen sich zurück. Manche werden sogar antriebslos und depressiv.
Intensive Forschungen
Um das Wechselspiel von Haut und Seele in Zukunft intensiv zu untersuchen, gründete die Österreichische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie 2011 eine eigene Arbeitsgruppe. „Es wird immer deutlicher, dass es bei Hauterkrankungen besonders wichtig ist, den Menschen und sein Krankheitsbild auf der Grundlage biopsychosozialer Faktoren zu betrachten“, betont der Leiter dieser Arbeitsgruppe, Prim. Univ. Doz. Dr. Georg Klein von der Abteilung für Dermatologie am Krankenhaus der Elisabethinen in Linz. Denn es können körperliche, seelische und soziale Probleme für sich genommen oder in Kombination dazu führen, dass eine Hautkrankheit ausbricht – oder sich verschlimmert. Den bzw. die Übeltäter zu enttarnen, lohnt sich auf alle Fälle. „Denn nur eine ganzheitliche Diagnose ermöglicht auch eine ganzheitliche Therapie“, sagt Klein. Und eine solche erhöhe eindeutig die Heilungschancen. Dies gelte ganz besonders für Neurodermitis, Psoriasis (Schuppenflechte), Akne, Urtikaria (Nesselsucht) und häufig wiederkehrende Fieberblasen. Alle diese Hautkrankheiten werden deswegen als psychosomatische bezeichnet (siehe dazu auch Haut & Seele – Seele & Haut unten ).
Streit, Ärger, Stress
Wie man die neuen Erkenntnisse in die Praxis umsetzt, belegt Experte Klein am Beispiel von Neurodermitis-Patienten. „Die kommen zum Beispiel zu mir, weil sich die Krankheit plötzlich verschlimmert hat, also auf einmal mehr juckende Rötungen und nässende Stellen aufgetreten sind und sie sich das nicht erklären können“, so Klein. „Viele meinen, bei der Pflege der Haut etwas falsch gemacht zu haben, oder dass sie zusätzlich eine Allergie entwickelt hätten.“ Bei etwa jedem Dritten stellt sich im Gespräch heraus, dass die Haut vollkommen richtig gepflegt wurde und keinerlei Allergie besteht, sie aber kurz vor dem Schub einen Streit mit dem Partner hatten, sich über ihren Chef geärgert hatten oder in Stress geraten waren, weil sie etwas nicht schafften, was sie sich vorgenommen hatten.
Akne, Juckreiz, Fieberblasen
Aus solchen und ähnlichen Gründen werden freilich nicht nur Neurodermitis-Schübe ausgelöst, sondern auch Psoriasis- und Akne-Schübe, sagt Klein. Bei Psoriasis, also der Schuppenflechte, juckt und schuppt die Haut dann plötzlich wie verrückt, bei Akne sprießen auf einmal wie wild die Pusteln und Papeln. Juckreiz und die Bildung von Quaddeln kennzeichnen wiederum die Nesselsucht bzw. Urtikaria, ein Ausschlag, der bei einigen Menschen offenbar ebenfalls auf psychische Faktoren zurückgeht. So erinnert sich Klein an ein junges Paar, das zeitgleich daran erkrankte. „Beide haben geglaubt, sie hätten sich mit einem Hautpilz angesteckt.“ Im übertragenen Sinn war tatsächlich Ansteckung im Spiel, denn die beiden waren kurz vor dem Auftreten des Ausschlags in eine neue Wohnung gezogen, wo sie gleich einmal Ärger mit dem Nachbar hatten, der sich zu einem wahren Dauerterror entwickelte und bei beiden zu einer speziellen Art des Nesselausschlages führte. Und Erfahrungen mit der Fieberblase und psychischen Faktoren als Auslöser hat Klein selbst gemacht. „Früher habe ich immer, wenn ich großen Stress hatte, gleich danach, also in der Entspannungsphase, eine Fieberblase bekommen“, erinnert er sich. Ein Leiden, das bei ihm genauso verschwand, wie es gekommen war, plötzlich – aber möglicherweise nicht ganz ohne Behandlung.
Auslöser aufspüren
Denn ein wichtiger Bestandteil der Therapie von psychosomatischen Hauterkrankungen, ganz egal, ob es sich dabei um Fieberblasen, Urtikaria, Akne, Psoriasis oder Neurodermitis handelt, ist, dass der Patient selbst wahrnimmt, wie das Auftreten einer Hautkrankheit oder ein Schub mit dem Erleben von Stress & Co zusammenhängt und diese Erkenntnis auch zulässt. Urtikaria-, Akne-, Neurodermitis- und Psoriasis-Patienten neigen überdies dazu, sich bei Problemen im Beruf, in der Schule oder im privaten Umfeld vermehrt zu kratzen bzw. Pusteln und Papeln auszudrücken, was das Hautbild zusätzlich verschlechtert. „Werden sich die Betroffenen auch dessen bewusst und handeln sie danach, indem sie die Manipulationen unterlassen, ist schon einiges für die Besserung des Hautbilds und für die Heilung getan“, weiß Klein.
Entspannung und Psychotherapie
Abgesehen vom Sich-Bewusstmachen der genannten Mechanismen und einer Verhaltensänderung hilft vielen das Erlernen und Praktizieren von entspannenden Atem- oder Körperübungen – vorbeugend oder immer dann, wenn sie in Stress geraten oder Ärger empfinden. Da die genannten Zusammenhänge oft nicht klar auf der Hand liegen, das Erkennen und das Akzeptieren Zeit brauchen und nicht immer nur von den Betroffenen allein bewerkstelligt werden können, rät der Experte zu einer begleitenden, unterstützenden Gesprächs- oder Verhaltenstherapie beim Psychotherapeuten oder Psychiater. Dabei kann in Gesprächen erlernt werden, mit belastenden Situationen besser umzugehen, das seelische Gleichgewicht wiederzufinden und so zu psychosozialem Wohlbefinden zu gelangen. Und ist dieses Wohlbefinden einmal gegeben, so Klein, „dann verbessert sich sehr oft auch das Hautbild oder die Hautkrankheit verschwindet, ohne dass man andere Medikamente nimmt“.
Auf diese Weise startet das positive Wechselspiel: Die gesunde bzw. gesündere Haut spielt den Ball an die Seele weiter, und dem Menschen geht es insgesamt immer besser.
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Haut & Seele – Seele & Haut
- Verursacht das Hautproblem regelrechte Seelenqualen, so sprechen die Fachleute von somatopsychischen Hauterkrankungen: Betroffene bekommen wegen der Hauterkrankung z. B. deswegen psychische Probleme, weil das Leiden schwer ist, sie entstellt oder ihre Leben bedroht, wie das etwa beim schwarzen oder weißen Hautkrebs der Fall ist. Auch Fieberblasen, Akne, Psoriasis können somatopsychisch sein, die Diagnose bzw. Abgrenzung gelingt durch das Fragen nach den möglichen Auslösern der Krankheit oder der Schübe. Bei der Therapie dieser Hautkrankheiten steht die körperliche Behandlung im Vordergrund. Die psychischen Probleme bessern sich mit der Krankheit bzw. verschwinden mit ihr.
- Sind die Hautprobleme auf seelische Leiden zurückzuführen, so handelt es sich um primär psychische Hauterkrankungen. Betroffen davon sind etwa Menschen, die offene Lippen oder wunde Wangenschleimhäute haben, weil sie sich immer darauf beißen, wenn sie nervös sind; andere, die sich aus Nervosität so heftig an Armen und Beinen kratzen, dass sie sich dabei verletzen, sowie jene, die sich die Haut aufritzen, z. B. um nicht vorhandene Parasiten zu entfernen, sich Brandwunden zufügen oder Entzündungen provozieren, indem sie die Haut aufschneiden und die Wunde absichtlich verunreinigen.
Buchtipp:
Breier, Gruber, Fieberblasen, Herpes & Co
ISBN 978-3-99052-015-4, 144 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte 2012