Wer dauernd simst, surft und whatsappt, wie dies am Smartphone möglich ist, riskiert gesundheitliche Probleme. Welche „Phone-Krankheiten“ die häufigsten sind und was dagegen hilft.
Von Mag. Sabine Stehrer
Wir tun es im Durchschnitt achtundachtzigmal am Tag: Auf das Smartphone schauen. Dreiundfünfzigmal aktivieren wir es dann – vorrangig, um in sozialen Netzwerken wie Facebook aktiv zu werden, um Messenger-Dienste wie Whatsapp oder SMS zu nützen und Spiele zu spielen. Dafür unterbrechen wir alle achtzehn Minuten die Tätigkeit, mit der wir uns gerade befassen und sind täglich bis zu drei Stunden mit Tippen und Wischen beschäftigt: Je jünger, desto länger wird gewhatsappt, gesurft, werden Fotos gepostet etc., am meisten Zeit wenden 17- bis 25-Jährige dafür auf. Das fanden Forscher der Universität Bonn durch die Auswertung von Daten über die Handy-Nutzung von rund 60.000 Personen heraus. Zu den Ärzten, die diese Ergebnisse beziehungsweise das Handy-Nutzungsverhalten nicht so gut finden, zählt der Referent für Arbeitsmedizin der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), DDr. Karl Hochgatterer aus Perg im oberösterreichischen Mühlviertel. „Wer sich jeden Tag so lang mit dem Smartphone beschäftigt, also andauernd tippt, riskiert eine ganze Reihe an gesundheitlichen Problemen, die sich zu bleibenden, chronischen Beschwerden entwickeln können“, weiß er. Für MEDIZIN populär beschreibt Hochgatterer die vier häufigsten „Phone-Krankheiten“ und erklärt, was dagegen hilft.
Phone-Krankheit eins:
Daumenschmerzen
Die Daumen sind zwar die beweglichsten unserer fünf Finger und zugleich die stärksten, doch für das Dauertippen, für das sie viele Smartphone-Nutzer verwenden, sind sie nicht gedacht. Hochgatterer: „Die Gelenke und Sehnen des Daumens werden durch die einseitige, monotone und langandauernde Bewegung in hoher Frequenz, bei der auch noch Druck ausgeübt wird, übermäßig belastet.“ Durch die Überlastung reiben sich die Sehnen innen an den Sehnenscheiden. Das zieht oft eine Sehnenscheidenentzündung, die Tendovaginitis, nach sich – mit starken, stechenden Schmerzen bei jeder Bewegung und ziehenden Schmerzen in Ruhe. Wer täglich stundenlang mit den Daumen Nachrichten verfasst und verschickt, riskiert außerdem, dass nach einiger Zeit die Daumengelenke Schaden nehmen, sich entzünden und schmerzen: „SMS-Daumen“ oder „WhatsAppitis“ lautet dann die Diagnose.
- Das hilft
Die Heilmittel gegen WhatsAppitis, SMS-Daumen und Tendovaginits heißen laut Hochgatterer entzündungshemmende Salben und Schonung bzw. Phone-Enthaltsamkeit über einige Tage oder länger, wenn dies der behandelnde Arzt empfiehlt.
Smartphone Phone-Krankheit zwei:
Halswirbelsäulensyndrom
Die Halswirbelsäule reicht vom Kopf bis zu den Schultern, wobei der erste Wirbel besonders gelenkig mit dem zweiten Halswirbel verbunden ist. Dadurch können wir den Kopf bestmöglich bewegen. Den Kopf jedoch stundenlang in derselben Position nach unten zu halten, um dauertippend auf das Phone zu schauen, tut der Halswirbelsäule gar nicht gut. „Die Halswirbelsäule wird durch die anhaltend gekrümmte und starre Haltung falsch und zu sehr belastet“, warnt Hochgatterer. Die Fehlbelastung kann Muskelverspannungen bis hin zu Wirbelverschiebungen und Bandscheibenvorfällen mit sich bringen – Beschwerden, die als Halswirbelsäulensyndrom, HWS-Syndrom oder Zervikalsyndrom bezeichnet werden. Diese führen nicht nur zu Schmerzen im Nacken: Da durch das Syndrom auch verschiedene Nerven in Mitleidenschaft gezogen werden, führt es mitunter zudem zu Schmerzen und Missempfindungen. Kribbeln oder Taubheitsgefühle in den Armen, Schwindel oder Ohrgeräusche bzw. Tinnitus können auftreten.
- Das hilft
Hilfen gegen das Halswirbelsäulensyndrom sind neben der Phone-Enthaltsamkeit beziehungsweise dem Einnehmen einer möglichst geraden Haltung bei der Bedienung des Phones schmerzstillende Mittel, Wärmeanwendungen, Massagen, oder auch eine Physiotherapie.
Phone-Krankheit drei:
Kurzsichtigkeit
Die Linse unserer Augen ist elastisch. Durch die Augenmuskeln wird sie bewegt, verändert ihre Form von der gedehnten zur gewölbten Variante, damit wir von der Fernsicht in die Nahsicht wechseln können. Wird zu lang am Stück in die Nähe gesehen wie beim Dauertippen, führt dies dazu, dass die Dehnung nicht mehr ausreichend funktioniert. So kann nur noch schlecht in die Ferne gesehen werden, und Kurzsichtigkeit entsteht. Hochgatterer: „Zunächst besteht die Kurzsichtigkeit nur vorübergehend und verschwindet nach relativ kurzer Zeit, etwa nach zwanzig Minuten, wieder.“ Wird über die Jahre aber täglich viele Stunden lang in die Nähe geschaut, ist das Risiko groß, dauerhaft kurzsichtig zu werden. Dies bringt nicht nur mit sich, permanent auf Brillen oder Linsen angewiesen zu sein, sondern erhöht auch das Risiko für diverse Augenerkrankungen wie Netzhautabrisse und Netzhautabhebung, die das Sehvermögen gehörig beeinträchtigen können.
- Das hilft
Der Kurzsichtigkeit bedingt durch übermäßige Phone-Nutzung lässt sich durch die Beschränkung derselben vorbeugen. Während des Tippens und Wischens gilt: Zur Erholung der Augen immer wieder auf Objekte schauen, die mindestens fünf Meter weit entfernt sind und den Augen immer wieder längere Aufenthalte im Freien gönnen.
Phone-Krankheit vier:
Schlafstörungen
Schlaf dient uns nicht nur zur Erholung – im Schlaf läuft auch vieles ab, das unserer Gesundheit und Weiterentwicklung dient: So arbeitet etwa unser Immunsystem auf Hochtouren, um Krankheitserreger zu bekämpfen, Stoffwechselprodukte werden abgebaut. Unser Gehirn ordnet Informationen und speichert wichtige so ab, dass wir sie jederzeit wieder abrufen können. Ist der Schlaf gestört, fühlen wir uns am nächsten Tag schlecht. Halten Schlafstörungen über Monate und Jahre an, können sie sogar zu Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck führen. „Wer auch direkt vor dem Schlafengehen noch auf das Phone schaut, schaut in helles Licht mit einem hohen Blauanteil, ein Licht, das dem Tageslicht entspricht und ein Signal für uns ist, wach zu bleiben“, weiß Hochgatterer. Dann sind Schlafprobleme programmiert. Vor allem Jugendliche reagieren auch noch auf Signale des Phones, wenn sie bereits eingeschlafen waren: So wird die wichtige Nachtruhe unterbrochen.
- Das hilft
Das Heilmittel gegen phonebedingte Schlafstörungen: Einige Zeit lang vor dem Schlafengehen das Phone nicht mehr nützen und es kurz vor dem Schlafengehen ausschalten. Das Gerät idealerweise nicht im Schlafzimmer, zumindest aber nicht in der Nähe des Bettes aufbewahren.
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Smartphone
als Störfaktor
Egal, ob wir im privaten oder beruflichen Gespräch mit anderen das Smartphone zücken – etwa um eine Whatsapp-Nachricht zu beantworten –, oder das Phone auch nur neben uns auf dem Tisch liegen haben: Der Einsatz des Mobiltelefons während eines Gespräches ist nicht nur extrem unhöflich, er stört auch die inhaltliche Kommunikation mit dem gegenwärtigen Gegenüber. Dies belegen Forschungen der „Virginia Polytechnic Institute and State University“ in den USA, für die hundert Besprechungen und Gespräche untersucht wurden. Ist das Smartphone dabei, sind die Gesprächspartner weniger aufmerksam, fühlen sich mit den Anwesenden weniger verbunden, sich von ihnen weniger verstanden. Als Störfaktor betrachtet auch DDr. Karl Hochgatterer das Phone, wenn es während Gesprächen dabei ist. „Damit wird den Gesprächspartnern vermittelt, dass man auch während des Zusammenseins permanent auf Draht beziehungsweise jederzeit für andere erreichbar ist“, sagt er und ergänzt:
„Das macht berufliche Besprechungen ineffizient und ist für mein Dafürhalten bei privaten Gesprächen unhöflich.“
In Betrieben und in der Familie sowie zwischen Partnern sollte daher geregelt werden, dass Phones weder am Besprechungstisch noch am Esstisch genützt werden.
Würden Sie sich ohne Ihr Smartphone frustriert, gestresst oder traurig fühlen? Tragen Sie Ihr Smartphone ständig am Körper, auch in der Nacht? Erwarten Sie, dass Ihre Freunde und Ihre Familie stets binnen weniger Minuten auf Nachrichten reagieren, die sie ihnen über das Phone senden? Diese Fragen stellten das deutsche Marktforschungsinstitut „Facit Research“ und Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität in München für eine Studie 2600 Phone-Nutzern. Das Ergebnis: Auf Frage eins antwortete etwa ein Viertel mit „Ja“, Frage zwei bejahten 85 Prozent der Befragten, Frage drei 57 Prozent. Dies sind Risiken dafür, dass das Smartphone zum Suchtfaktor wird. Die Grenze von der normalen Nutzung zur Sucht sehen Suchtmediziner erst dann als überschritten an, wenn die Handy-Nutzung wichtiger als vieles andere geworden ist: beispielsweise wichtiger als etwa ein früher geliebtes Hobby, ein Treffen mit Freunden, das noch vor einiger Zeit Freude bereitete, oder das Zusammensein mit der Familie. Dass sie sich lieber von der Familie trennen oder Freunde aufgeben würden, als auch nur eine Woche auf ihr Smartphone zu verzichten, sagten nur wenige der Befragten. Nach Schätzungen – und medizinischer Definition – sind insgesamt auch nur etwa 0,9 Prozent aller Smartphone-Nutzer smartphonesüchtig. Hilfe wird laut DDr. Karl Hochgatterer in entsprechenden Spezialambulanzen diverser Krankenhäuser geboten.
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Tipp für Kinder und Jugendliche:
Phone-Pausen und ins Freie gehen
Immer mehr Kinder und Jugendliche sind kurzsichtig – das stellen Österreichs Augenärzte fest. Die Ursache für die verbreitete schlechte Sicht in die Ferne dürfte die häufige Nutzung von Smartphones, auch Tablets und Computern sein. Dr. Helga Azem, Augenärztin in Wien und Vorsitzende der Fachgruppe für Augenheilkunde und Optometrie der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) gibt daher den Tipp, „zur Vorbeugung vor Kurzsichtigkeit Kinder und Jugendliche dazu anzuhalten, die Phone-Nutzung auf 20 bis 30 Minuten zu beschränken, danach eine ein- bis zweistündige Bildschirmpause zu machen und für mindestens zwei Stunden am Tag bei Tageslicht ins Freie zu gehen“. Nur so können sich die Augen von der ständigen Nahsicht erholen.
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Krankheitsbild „WhatsAppitis“:
Wie es entstand
Der erste „WhatsAppitis“-Patient war eine junge Frau. Sie kam vor einigen Jahren kurz nach Weihnachten in die Sprechstunde einer spanischen Ärztin: mit höllischen Schmerzen in beiden Daumen. Schuld daran war ihre Schreibwut. Sie hatte mehr als sechs Stunden lang ununterbrochen auf dem Smartphone Weihnachtswünsche über den Nachrichtendienst „WhatsApp“ verschickt. Als die Ärztin erfuhr, wie die Schmerzen entstanden waren, entschied sie sich dafür, dem Krankheitsbild „Sehnenscheidenentzündung“ in diesem Fall den neuen Namen „WhatsAppitis“ zu geben. Der Frau verordnete sie neben Entzündungshemmern noch ein längeres Sendeverbot von Textnachrichten und berichtete in einer medizinischen Fachzeitschrift über ihre Diagnose – woraufhin sich der Begriff WhatsAppitis unter Ärzten verbreitete.
Webtipp:
Zehn medizinische Handyregeln um kostenfreien Download auf www.medizinpopulaer.at/downloads
Stand 12/2017