Leben & Arbeiten

Mobbing, Bossing und sexuelle Belästigung

Was tun gegen Übergriffe im Job?
 
Beim Mobbing liegen die Österreicher europaweit seit langem im Spitzenfeld: Wenigstens fünf Prozent der Beschäftigten leiden darunter. Besonders schwer wiegt Mobbing, wenn es als „Bossing“ vom Chef oder der Chefin ausgeht. Daneben sind auch sexuelle Übergriffe häufig, wie zuletzt die „#Me too“-Debatte verdeutlichte. Mit dem Terror im Job steigt das Risiko für Ängste, Depressionen und körperliche Krankheiten. MEDIZIN populär zeigt, wie man sich am besten wehrt.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Frieda K. ist am Ende. Obwohl seit zwei Jahren in Pension, kommt sie nicht zur Ruhe. Zu belastend war die letzte Zeit der Berufstätigkeit: Weil dem damals neuen Chef die leichte Gehbehinderung seiner Assistentin ein Dorn im Auge war, schikanierte er sie monatelang: Jeden Tag musste Frau K. vom fünften Stock in den Keller gehen, um irgendwelche Unterlagen zu holen. Regelmäßig rief er sie um 22 Uhr wegen eines dringenden Auftrags an. Die Kollegen wies er an, nicht mit ihr zu reden, bis sie völlig isoliert und verzweifelt war – und schließlich ihre Kündigung unterschrieb. Danach fand sie keine Arbeit mehr und muss jetzt mit einer niedrigen Pension über die Runden kommen. „Jeden Tag werde ich daran erinnert, dass ich mir nichts mehr leisten kann“, ist Frau K. verzweifelt.

Europaweit im Spitzenfeld

Die Pensionistin ist kein Einzelfall: Österreich liegt beim Mobbing in Europa seit Jahren im Spitzenfeld. Eine Studie über die Arbeitsbedingungen in 35 europäischen Ländern zeigt: „Fünf Prozent der Österreicher – deutlich mehr Frauen als Männer – sind von Mobbing, wiederkehrenden schikanösen Übergriffen, betroffen. Hinzu dürfte eine erhebliche Dunkelziffer kommen“, erklärt die Psychologin und Soziologin Prof. DDr. Mag. Christa Kolodej, die sich seit mehr als 25 Jahren mit dem Thema Mobbing beschäftigt. Sogar noch stärker betroffen sind die Schulkinder: Unter 27 Ländern ist laut aktuellem Report der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) die Mobbingrate in Österreich am höchsten: Jeder fünfte Bursche zwischen elf und 15 Jahren und jedes zehnte Mädchen wird gemobbt.

Schlafstörungen und Depressionen
Das hat nicht nur Folgen für das Wohlbefinden, Mobbing kann eine Vielzahl von Erkrankungen auslösen. „Aus psychiatrischer Sicht führt es am ehesten zu Schlafstörungen und Depressionen“, betont Prof. Dr. Edda Winkler-Pjrek, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutin. Sie können von Panikattacken begleitet sein und bis zum Suizid führen. „Wenn die Betreffenden sich jeden Tag in eine unangenehme Situation begeben müssen, belastet das massiv. Es gibt allerdings Menschen, die genetisch so gut ausgestattet sind, dass sie damit leichter fertig werden als die übrigen“, erklärt Winkler.
Leider würden die Betroffenen oft erst sehr spät Hilfe suchen, beobachtet Mag. Martina Pruckner, Mediatorin und Juristin in Feldkirchen in Kärnten und in Linz. „Mobbing läuft sehr subtil ab, sodass man es lange nicht bemerkt. Viele wollen es auch nicht wahrhaben.“ Hinzu komme eine zunehmende Schwächung: Man ist müde und antriebslos – dadurch kann man sich schlechter zur Wehr setzen und ist ein „gefundenes Fressen“ für den Täter. Viele geben gerade in Krisenzeiten auf, was ihnen guttut: Sie betreiben keinen Sport mehr und vernachlässigen ihre Freunde. „Gerade diese Aktivitäten stabilisieren die Gesundheit und den Selbstwert entscheidend“, betont Kolodej. Ihr Rat: Tun Sie alles, um psychisch und physisch gesund zu bleiben. Entspannungstechniken wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen oder autogenes Training können zu mehr Ruhe und Gelassenheit verhelfen.
 
Täter, Opfer, Zuschauer

Wie kommt es überhaupt zu der Schikane? Meist wirkt ein nicht ausgetragener Konflikt unterschwellig weiter, vergiftet das Arbeitsklima und man wählt einen Sündenbock, etwa „den nervigen Kollegen“: Man verbreitet über ihn schlechte Gerüchte, macht ihn ständig bei der Chefin schlecht, enthält ihm Informationen vor, sodass er die Arbeit nicht richtig machen kann. Mobbing ist immer durch ein Machtungleichgewicht charakterisiert und kann jeden treffen: die zielstrebige Karrierefrau genauso wie den gutmütigen Kollegen. Neben dem zunehmend hilflosen Opfer und dem Täter gibt es meist auch Mitläufer und Zuschauer. Vielen ist die Situation unangenehm, sie fürchten aber, die nächsten auf der Abschussliste zu sein, wenn sie sich auf die Seite des Opfers stellen. Ein Mangel an Zivilcourage dürfte dem schikanösen Verhalten Vorschub leisten. Speziell beim Bossing machen viele mit, nur um vor dem Chef gut dazustehen. „Paradoxerweise versuchen viele Betroffene, sich mit dem Täter gut zu stellen – ein aussichtsloses Unterfangen“, betont Pruckner. Besser, Sie konzentrieren sich auf jene, die Ihnen gut gesonnen sind. Ist man in einem kleinen Kreis integriert, ist der Mobber nicht mehr so mächtig.

Konflikt oder Mobbing?

Dabei ist längst nicht jede Gemeinheit gleich Mobbing. Manchmal hat man selbst zu einer schwierigen Situation beigetragen. „Wenn ein Mitarbeiter regelmäßig zu spät in die Arbeit kommt und die Kollegen ständig eine Viertelstunde seinen Job übernehmen müssen, werden sie ihn das irgendwie spüren lassen“, gibt Pruckner ein Beispiel. Oder man verletzt (unausgesprochene) Gruppenregeln: Während eine Gruppe von Schülerinnen nach der Schule regelmäßig im Einkaufszentrum „abhängt“, geht eine Klassenkollegin immer sofort nachhause. Ob und wie solche Regelbrüche „geahndet“ werden, hängt vom Klima in der Gruppe oder in einem Betrieb ab. Günstig ist, wenn Vielfalt und Toleranz internalisiert sind: Wir gehen fair miteinander um! „Dann werden auch jene mit anderer Kleidung, anderer Hautfarbe oder anderen Qualifikationen integriert sein.“ Kommt es doch zu Mobbing, wird ein gutes Unternehmen bzw. eine gute Schule sofort ein Signal setzen. „Der Großteil der Menschen findet Mobbing und unfaire Angriffe nicht in Ordnung“, sagt Pruckner.
Wie der einzelne letztlich gegen die Psycho-Schikane vorgeht, hängt auch davon ab, was man erreichen möchte: Will man wieder in das Team integriert werden, muss man auf Kommunikation und Verständigung setzen. Geht es vor allem um Gerechtigkeit, kann auch der Rechtsweg beschritten werden. Doch dieser kostet viel Kraft, warnen die Expertinnen.

„Exit“-Strategien

„Recht zu haben und sich gut zu fühlen – das geht nicht immer konform“, warnt Prim. Dr. Adelheid Kastner, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in Linz. „In einer problematischen Lebenssituation, die man nicht eigenmächtig verändern kann, hat man prinzipiell immer die Möglichkeit zu gehen.“ Ist dies nicht möglich, kann man sich dennoch schützen: Legen Sie den Fokus auf jene Lebensbereiche, die in Ordnung sind – Familie, Freunde, ein Hobby. Ansonsten kommt es zu einem zermürbenden Prozess, der umso belastender ist, je mehr Bedeutung man dem Mobbing einräumt – und der in Isolation und Depression münden kann. Je nach individueller Anfälligkeit können körperliche Beschwerden dazu kommen. „Der eine bekommt einen Hautausschlag, der andere kreisrunden Haarausfall, der dritte Bluthochdruck, der vierte Probleme mit der Verdauung“, sagt Kastner.

Sexuelle Übergriffe im Job

Nicht nur Psychoterror, auch sexuelle Übergriffe sind in der Berufswelt verbreitet, wie jüngst durch die globale „#Me too“-Debatte deutlich wurde. Hierzulande hat jede dritte Frau und jeder zehnte Mann sexualisierte Gewalt erlebt. Die heute 25-jährige Kerstin B. wurde während ihrer gesamten Lehrzeit zur Köchin von ihrem Ausbildner sexuell belästigt. „Als er angefangen hat, mir richtig auf die Brust zu greifen, da habe ich ihm eine geknallt und ihm gesagt, er soll mich bitte nicht mehr angreifen. Ich habe auch kein Schmerzensgeld verlangt, weil für mich nur wichtig war, dass man mir glaubt“, erzählt sie im Rahmen einer Studie (*) von Dr. Birgitt Haller, Juristin, Politikwissenschafterin und Leiterin des Instituts für Konfliktforschung in Wien. „Sexuelle Belästigung ist umso schlimmer, je enger die Beziehung ist. Wenn ich jemanden täglich, zum Beispiel in der Arbeit, sehe, ist das einerseits lästiger und andererseits bedrohlicher“, betont Haller.

Spirale der Schwächung

Junge Frauen und Männer, die eine Lehre machen oder neu in das Berufsleben eingestiegen sind, tun sich oft besonders schwer damit, sich zur wehren. Oft hindern sie die Angst vor dem Jobverlust oder Scham daran. Auch manifestieren sich sexuelle Übergriffe oft schleichend – hier eine zweideutige Bemerkung, da eine „zufällige“ Berührung  – und werden erst nach und nach massiver. Je länger sie dauern, umso schwieriger wird es, sie zu unterbinden. Manche haben das Gefühl, nicht mehr zurückzukönnen, um nicht als „zickig“ dazustehen. Was Haller besonders ärgert: „Die Aufforderung, dem Belästiger gegenüber frühe und deutliche Grenzen zu setzen. Diesem Ratschlag stehen gewichtige Hindernisse entgegen und er geht in Richtung „victim blaming“: Die Verantwortung für Übergriffe wird an das Opfer delegiert.“ Wie lassen sich diese verhindern? „Sexuelle Belästigung muss als solche erkannt und benannt werden“, betont Haller. „Solange Verletzungen der sexuellen Sphäre nicht unmissverständlich angesprochen werden, ist es gerade bei geringfügigen Überschreitungen schwierig, sie als solche zu erkennen.“
Mitunter würden die Betroffenen die Vorfälle auch verdrängen oder quasi gegen sich selbst richten, informiert Psychiaterin Winkler. „Sexueller Missbrauch kann Psychosen auslösen und zu selbstverletzendem Verhalten führen, zu einer Borderline- oder Essstörung.“ Über das Vorgefallene zu sprechen, kann von Scham- und Schuldgefühlen befreien. Doch selbst Kämpfernaturen wie Kerstin zahlen einen hohen Preis: Sie kämpfte nicht nur erfolgreich bei Gericht – ihr Peiniger wurde verurteilt – sondern jahrelang mit einer schweren Depression.   

(*) „Junge Frauen und Männer als Betroffene von sexueller Belästigung in Ausbildung und Beruf“, Dr. Birgitt Haller, Dr. Mag. Helga Amesberger, 2016.

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Interview
„Mobbing hört nicht von selbst auf!“
Im Interview erklärt Prof. DDr. Christa Kolodej, warum es so wichtig ist, im Mobbing-Fall aktiv zu werden.

MEDIZIN populär
Der Begriff Mobbing wird heute geradezu inflationär verwendet – es ist aber längst nicht alles Mobbing …

Prof. DDr. Christa Kolodej
Man muss grundsätzlich zwischen einem Konflikt und Mobbing unterscheiden: Wenn unterschiedliche Positionen aufeinander treffen, ist das ein Konflikt. Dieser muss angemessen ausgetragen werden, damit er sich nicht in eine destruktive Form wie Mobbing wandelt.
Mobbing hat immer mit einem Machtungleichgewicht zu tun: Meist steht eine größere einer kleineren Gruppe oder einer Einzelperson gegenüber. Das Bossing, Mobbing durch eine oder einen Vorgesetzten, ist besonders heikel, weil über das Machtgefälle die Schikanen in der Regel noch einmal anders ausfallen.
    
Wie geht man dagegen vor?

Die Situation muss zuerst analysiert werden: Man sollte in Mobbing nicht eingreifen, bevor man es nicht begreift. Ein strategisches Handeln ist unabdingbar, da ja ein Machtungleichgewicht besteht. Es gilt den Hebel zum Machtausgleich zu finden. Die Annahme, dass eine derart hohe Eskalation von selbst wieder aufhört, entspricht nicht der Realität.

Wie kann man aktiv werden?
In Unternehmen müssen die Mitarbeiter wissen, welche Schritte sie im Konfliktfall setzen sollen und wie die Organisation sie dabei unterstützt. Im Mobbingfall muss der Arbeitgeber gemäß der Fürsorgepflicht eine angemessene, unverzügliche Abhilfe schaffen.

Was kann passieren, wenn man sich nicht zur Wehr setzt?

Mobbing führt dazu, dass der Betroffene irgendwann komplett isoliert ist und sich selbst in Frage stellt. Die eigene Identität konstruiert sich ja aus verschiedenen innerpsychischen Aspekten und dem Zusammenleben mit anderen Menschen.
Deshalb ist es so wichtig zu wissen, dass man sich das Ganze nicht einbildet und aktiv werden muss: Es gibt das ­„System Mobbing“!    

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Fünf Schritte aus der Mobbingfalle

Ob Sie von der Chefin oder einem Kollegen gemobbt werden – in diesen fünf Bereichen können Sie aktiv werden:

1. Suchen Sie Unterstützung im Betrieb: Besprechen Sie sich zum Beispiel mit dem Betriebsrat.
2.  Informieren Sie sich extern, z. B. in einer Mobbing-Beratungsstelle, und lassen Sie sich bezüglich möglicher Strategien beraten.
3.  Handeln Sie strategisch und unterzeichnen Sie nichts für Sie Nachteiliges. Führen Sie ein Mobbing-Tagebuch: Wann und wo fanden die Attacken statt? Was ist passiert? Wer war beteiligt? Wie habe ich reagiert? Gibt es Zeugen/Dokumente?
4.  Tun Sie alles, um psychisch und physisch gesund zu bleiben. Treiben Sie Sport, treffen Sie Ihre Freunde, achten Sie auf ausreichend Ruhe und Erholung!
5.  Lassen Sie sich arbeitsrechtlich aufklären, was rechtens ist und was nicht.

Stand 01/2018

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