Immer mehr Paare entscheiden sich dazu, in getrennten Haushalten zu wohnen, als Partner jedoch zusammenzuleben. Ein Phänomen, das auch „living apart together“ (LAT) oder „getrennt zusammenleben“ genannt wird. Welche positiven wie negativen Begleiterscheinungen kann eine Liebe auf Distanz haben? Und was braucht diese Beziehungsform, um bestehen zu bleiben?
Von Mag. Sabine Stehrer
Simone de Beauvoir und Jean Paul Sartre taten es in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Die beiden wohnten getrennt, lebten aber dennoch zusammen – und erklärten diese Beziehungsform immer wieder auch öffentlich zum Ideal. Während das Philosophen- und Schriftstellerpaar deswegen noch Anstoß erregte, ist das getrennte Zusammenleben heute gesellschaftsfähig geworden und wird auch von immer mehr Menschen praktiziert. In den 14 Jahren von 1992 bis 2006 stieg der Anteil der Paare, die sogenannte „living apart together“- oder LAT-Beziehungen führten, von 11,6 auf 13,4 Prozent. Das zeigen zumindest die Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW. Für Österreich gibt es kein vergleichbares Datenmaterial, doch ein ähnlicher Anstieg sei auch hierzulande zu vermuten, sagt DDr. Kristina M. Ritter, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutin in Wien. „Meiner Erfahrung nach entschließen sich Frauen genauso wie Männer immer öfter zu dieser Beziehungsform, meist aber erst, wenn sie das 30. Lebensjahr schon hinter sich haben.“
Auch Gründe für den Trend kann die Expertin nennen. Ritter: „Heute gibt es viele Frauen, die beruflich erfolgreich und finanziell unabhängig sind. Daher brauchen sie keine wirtschaftliche Überlebensgemeinschaft und gehen auch später fixe Beziehungen ein als die Fauen von einst.“ Bis es dann doch so weit sei, so die Expertin weiter, seien die Frauen das Alleinleben mit all seinen Vorteilen gewöhnt und schätzen etwa das Mehr an Freiheiten und Rückzugsmöglichkeiten. Darüber hinaus wollen sie sich auch nicht mehr an die Gegebenheiten einer gemeinsamen Haushaltsführung anpassen. „Es haben aber auch viele Männer von heute den Wunsch, langfristig relativ selbstbestimmt zu leben und sich in ihren Möglichkeiten und Selbstverwirklichungswünschen weniger durch partnerschaftliche oder familiäre Verpflichtungen einengen zu lassen“, sagt Ritter.
Weniger Alltagskonflikte
Bessere Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, mehr Rückzugsmöglichkeiten, mehr Freiheiten: Alles das zählt zu den positiven Begleiterscheinungen des Lebensmodells LAT. Viele der Liebenden auf Distanz entschließen sich auch nach negativen Erfahrungen dazu, eine LAT-Beziehung zu führen, weiß Ritter. Man hat schon erlebt, dass das Zusammenwohnen mit einem Partner bzw. einer Partnerin, die Liebe und schließlich die Beziehung zerstörte.
Ritter: „Ein Paar, das in zwei Wohnungen wohnt, hat den Vorteil, sich weniger mit Alltagskonflikten herumschlagen zu müssen.“ Wer nicht darüber diskutieren muss, was abends ferngesehen wird oder wer morgens den Müll hinausträgt, ist einem Belastungsfaktor weniger ausgesetzt. Und kommt es doch einmal zur Krise, so werde das laut Ritter oft als weniger schlimm empfunden, da die LAT-Partner wissen, die Beziehung beenden zu können, ohne sonst viel verändern zu müssen.
„Sie wissen auch, dass sie allein leben können und werden oft von einem größeren eigenen sozialen Netzwerk unterstützt als Partner, die zusammenwohnen.“
Weniger Bindung
So gut die positiven Begleiterscheinungen von LAT-Beziehungen auch sind, eines bringen sie nicht mit sich: dass diese Beziehungen länger halten. Nach den Ergebnissen der genannten DIW-Studie scheitert die Hälfte der Lieben auf Distanz innerhalb der ersten sechs Jahre, viele schon im zweiten und dritten Jahr. Warum das so ist? „Beziehungen mit getrennten Haushalten bringen Risiken mit sich, die in anderen Beziehungen nicht bestehen“, sagt Ritter. Und: „Eine wesentliche Bedrohung besteht zum Beispiel darin, dass in solchen Beziehungen das Paar von außen als weniger gebunden wahrgenommen wird, was Konkurrenten und Konkurrentinnen animiert.“ Potenzielle andere Partner führten wiederum oft zu Eifersuchtsgefühlen. Und treten diese gepaart mit einem immer größer werdenden Misstrauen auf, so die Expertin weiter, sei das Scheitern der Liebe auf Distanz bereits programmiert.
Höhere Erwartungen
Ein nächster Risikofaktor in LAT-Beziehungen sei der kurze Anpassungsrhythmus, sagt Ritter. Wenn man sich nach einiger Zeit wieder sieht, sind die Erwartungen an die gemeinsame Zeit meist hoch, und werden diese nicht erfüllt, ist die Enttäuschung groß. So kann es leicht zum Streit kommen. Und dann ist wiederum der Druck groß, den Konflikt schnell beilegen zu müssen, um nicht in Disharmonie auseinanderzugehen.
Ritter: „Um schwierige Gespräche oder einen Streit zu vermeiden, werden in Distanzbeziehungen sehr oft Kritik, Probleme oder Sorgen verschwiegen.“ Das sei aber nicht nur schlecht für die Beziehung, sondern könne bei jenen, die alles Negative in sich hineinfressen, und auch bei deren Partnern, die merken, dass etwas nicht stimmt, zu schlechter Laune, Verstimmungen und sogar Depressionen führen.
Andere Risikofaktoren des Lebensmodells LAT: Ein ungleiches Bedürfnis der beiden Partner nach direkter Nähe, nach der Frequenz der persönlichen Begegnungen oder auch nach Fürsorge. Der Partner oder die Partnerin ist nicht immer da, wenn unvorhergesehen Negatives im eigenen Leben passiert.
Rituale und Pläne
Das alles sind Klippen, die die LAT-Partner bei entsprechendem Bemühen aber ganz gut umschiffen könnten, meint Ritter. „Indem man eben mit dem Partner bzw. der Partnerin offen über Ängste, Gefühle, Probleme und Sorgen spricht und ihn bzw. sie auch am Alltag teilhaben lässt.“ Das brauche ja nicht immer bei realer Präsenz des Partners passieren, sondern sei auch über Fernkommunikation gut möglich: Telefonate, E-Mails, SMS, Briefe.
Was kann man der Liebe auf Distanz sonst noch Gutes tun? Ritter: „Wichtig ist, die Erwartungen an die gemeinsame Zeit nicht zu hoch anzusetzen, sondern auf ein vernünftiges Niveau herunterzuschrauben.“ Ebenfalls gut: Für die Zeit, in der man sich nicht sieht, Rituale einführen, wie die tägliche Guten Morgen-SMS oder das Telefonat vor dem Schlafengehen. Und: Perspektiven schaffen, also Unternehmungen für die nächsten Wochenenden planen, einen Urlaub buchen.
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Was ist LAT?
„Living apart together“, kurz LAT, ist ein Begriff, der ursprünglich aus einem Kinofilm des Jahres 1973 stammt. 1978 wurde LAT erstmals in der niederländischen Zeitung Haagse Post für die Bezeichnung eines Paares verwendet, das in getrennten Wohnungen wohnt, aber doch in einer fixen Beziehung zusammenlebt. Das Österreichische Institut für Familienforschung charakterisiert LAT mit dem Vorhandensein zweier gleichberechtigter Haushalte, die sich auch am selben Ort oder sogar im selben Haus befinden können. Wenn das Paar Kinder hat, so bestehen zwei Ein-Eltern-Familien.
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Was ist ein LAT-Typ?
Egal ob Mann oder Frau, der klassische LAT-Typ ist für DDr. Kristina M. Ritter grundsätzlich jeder, der den Wunsch dazu verspürt, eine LAT-Beziehung einzugehen. Andere Charakteristika des LAT-Typs: Er oder sie ist bindungsfähig, ohne auf die dauerhafte räumliche Präsenz des Anderen angewiesen zu sein, hat dabei aber ein starkes Bedürfnis nach Autonomie und möchte eher wenig von den Entscheidungen anderer abhängig sein. Außerdem wichtig: Ein hohes Maß an Selbstbewusstsein, sowie großes Vertrauen in den anderen und viel Flexibilität.