Jedes Jahr erhalten 36.000 Österreicherinnen und Österreicher die Diagnose: „Sie haben Krebs.“ Diese Nachricht trifft die Betroffenen wie ein Blitz – aber nicht nur sie, sondern auch ihr soziales Umfeld, allen voran die Lebenspartner. Was jetzt, was tun, wie damit umgehen? Dr. Gabriele Traun-Vogt, die als Psychoonkologin seit Jahren Krebskranke und deren Angehörige begleitet, erläutert, wie sich Antworten auf bange Fragen finden lassen und wie Paare die schwere Zeit gemeinsam überstehen können.
Von Mag. Alexandra Wimmer
Wie können wir das schaffen?
Den Alltag neu strukturieren
Plötzlich ist alles anders: Die Krebserkrankung tritt als bedrohlicher Dritter in die Zweierbeziehung. „Die Diagnose ist für alle erst einmal ein großer Schock, der Angst auslöst“, weiß die Psychoonkologin Dr. Gabriele Traun-Vogt. Was genau bedeutet die Diagnose? Kriegen wir das Problem in den Griff? Welchen Einfluss nimmt der Krebs auf unsere Lebensperspektive als Paar, als Familie?
Ist der erste Schock überwunden und ein ärztlicher Behandlungsplan festgelegt, beginnt sich nach und nach eine neue Form von Normalität zu etablieren: ein neuer Alltag, der vom Befinden des Krebskranken, von Therapieplänen und Spitalsaufenthalten bestimmt wird. „Glücklicherweise sind die Patienten heutzutage selbst während einer monatelangen Chemotherapie nicht ständig gleich stark belastet“, sagt Traun-Vogt. Einige Tage nach der Therapie können viele ihre Rolle – z. B. als Mutter/Vater – wieder einnehmen. Trotzdem: Die Hauptverantwortung für die (Familien-)Organisation trägt jetzt der gesunde Partner. Wie gut der neue Alltag bewältigt wird, hänge nicht zuletzt von den Ressourcen des Paares und den familiären Notwendigkeiten, weil etwa Kinder zu betreuen sind, ab.
Darf ich dem anderen meine Ängste zumuten?
Miteinander reden
Bei erkrankten wie gesunden Partnern tauchen gleichermaßen Befürchtungen und Sorgen auf. Während Männer sich oft lieber über die Fakten- als ihre Gefühlslage austauschen, fällt es Frauen leichter, ihre Ängste zu thematisieren. „Generell gesteht man es der erkrankten Person eher zu, über die Angst zu sprechen“, weiß die Psychoonkologin. „Die gesunden Partner, speziell Männer, übernehmen gern die Rolle des Starken, der Halt gibt und keine eigenen Ängste äußert.“ Besonders, wenn die Erkrankung andauert, sei dieses Verhalten problematisch – denn jeder bleibt mit seinem Kummer allein. An diesem Punkt könnte ein professioneller Berater wie ein Psychoonkologe die Partner dabei unterstützen, sich gegenseitig ihre Ängste einzugestehen. Viele fühlen eine neue Verbundenheit, wenn sie feststellen, dass es dem anderen ähnlich geht.
Miteinander reden sollte man auch, wenn der Krebs voranschreitet und Heilung nicht mehr möglich scheint. Schließlich gilt es, Abschied zu nehmen: von Zukunftsplänen, der Familie, dem Partner. Was hilft einem Paar, das sich mit dem nahenden Tod eines Partners konfrontiert sieht? „Niemand sollte sich vor diesem Prozess des Abschiednehmens fürchten“, ermutigt Traun-Vogt. „Ich habe Paare erlebt, die eine gute Stunde gebraucht haben, um alle Angelegenheiten zu klären. Andere müssen sich intensiver und ausführlicher besprechen.“
Muss ich jetzt immer zurückstecken?
Raum für beide Partner schaffen
„Seltener, als man befürchten möchte“ komme es vor, dass eine Beziehung an der Krebserkrankung zerbricht. „Gerade in Partnerschaften, die schon vorher instabil waren, kommt es in der Phase der Diagnosestellung zu einer Trennung“, sagt Traun-Vogt. Andere wiederum kommen gut durch die Zeit der Behandlung, finden aber danach „in keine gute Normalität“ zurück. Speziell, wenn sich der gesunde Partner über lange Zeit zurückgenommen hat, passiert es, dass er nach überstandener Krankheit nicht länger zu kurz kommen will – und geht. Umso wichtiger, dass der gesunde Partner sich von Krankheitsbeginn an (auch) um sich selbst kümmert. „Die eigenen Bedürfnisse sind berechtigt, selbst wenn man ,nur‘ der Angehörige ist“, betont Traun-Vogt. Mit einem Freund für zwei Stunden auf ein Bier, mit einer Freundin ins Kino gehen, für ein Wochenende allein wegfahren – alles Möglichkeiten, um ein wenig abzuschalten, Kraft zu tanken.
„Schon während der Erkrankung sollte das Paar darüber sprechen, was der jeweils andere braucht und wie es in der Zeit nach der Krankheit weitergehen soll.“ Auch Sexualität sollte nicht tabuisiert werden. „Sexualität ist eine Ressource an Lebensfreude und positivem Körpererleben“, betont die Therapeutin. „Je weiter die Behandlung fortschreitet, je länger man eine Krebsdiagnose hinter sich hat, desto aktueller wird das Thema.“
Was wird die Zukunft (noch Schlimmes) bringen?
Von Tag zu Tag leben
Wird die Chemotherapie wirken? Wie wird der nächste Befund ausfallen? Angst und Ungewissheit sind tägliche Begleiter, mit denen man sich arrangieren muss. „Es macht sehr viel Sinn, während einer Krebsbehandlung keine langfristigen Pläne zu machen, sondern von Tag zu Tag zu leben“, rät Gabriele Traun-Vogt. Auf das jeweils aktuelle körperliche und psychische Befinden sollte Rücksicht genommen werden. Wie geht es mir heute? Was ist mir heute möglich? Was würde mir heute Freude machen? – Fragen wie diese sollten sich beide Partner stellen. Gemeinsam kann dann entschieden werden, ob man einen Spaziergang unternimmt, sich bei einem Glas Rotwein zusammensetzt oder den Tag einfach im Bett verbringt.
Ist die Krankheit schließlich überwunden, sollte man weiterhin behutsam miteinander sein und sich nicht mit unrealistischen Erwartungen wie dem Wunsch, dass „es wieder so wie früher wird“, unter Druck setzen. „Das ist einfach nicht möglich“, betont die Psychoonkologin. „Eine Erkrankung wie Krebs ist eine gravierende Erfahrung, die man nicht ungeschehen machen, aber gut integrieren kann.“ Das bedeutet? „Alles wird etwas anders. Es kann aber wieder gut, möglicherweise sogar besser werden als vorher, weil mehr Innigkeit, mehr Nähe entstanden ist.“
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Mama/Papa hat Krebs
Wie sag ich’s den Kindern?
Auch das Leben der Kinder gerät aus den Fugen, wenn die Mama oder der Papa schwer erkrankt ist. Doch während man den Partner oder die Partnerin am besten von Anfang an mit einbezieht, ist es empfehlenswert, bei den Kindern zuzuwarten, bis man sich – als erkrankter bzw. gesunder Elternteil – ein wenig erfangen hat.
„Kinder brauchen in dieser Situation die Unterstützung der Eltern“, sagt die Psychoonkologin Dr. Gabriele Traun-Vogt. „Als betroffene Person kann man aber erst wieder etwas geben, wenn man sich ein wenig stabilisiert hat. Deshalb ist es günstig, das Ganze erst einmal zu verdauen, bevor man mit den Kindern redet.“
Dann sollte man den Kindern – ihrem Alter entsprechend – so ehrlich und klar wie möglich mitteilen, was Sache ist.
„Dabei sollte man durchaus das Wort ,Krebs‘ in den Mund nehmen und kein Tabu daraus machen“, betont Traun-Vogt. „Wenn die Eltern mit dem Thema gut umgehen können, kommen üblicherweise auch die Kinder gut damit zurecht.“
Kontraproduktiv sei es hingegen, die Erkrankung zu verheimlichen, mit dem Ziel, die Kinder zu schonen. „Probleme, die nicht ausgesprochen sind, die aber bedrohlich im Raum hängen, öffnen der Fantasie Tür und Tor“, warnt die Psychoonkologin. „Und die Fantasien, die die Kinder dann haben, sind immer schlimmer als die Realität.“
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Psychoonkologie:
Krebspatienten brauchen ganzheitliche Betreuung
„Rund ein Drittel der Patienten braucht im Lauf der Krebserkrankung zusätzlich zu einer bestmöglichen medizinischen Basisversorgung einen Psychoonkologen, eine Psychoonkologin“, berichtet Univ. Prof. Dr. Hellmut Samonigg, Internist und Onkologe sowie Leiter der klinischen Abteilung für Onkologie an der Medizinischen Universität Graz. Psychoonkologen sind klinische Psychologen bzw. Psychotherapeuten, die sich auf die Bedürfnisse von Krebskranken und deren Angehörigen spezialisiert haben. Sie unterstützen die Betroffenen, die Lebensqualität zu steigern sowie Zuversicht und Vertrauen in die (medizinische) Behandlung aufzubauen – und diese damit letztlich zu verbessern.
„Es ist davon auszugehen, dass bei einem gut informierten, vertrauensvoll in die Medizin eingebundenen Patienten die Bereitschaft, die Medikamente zu nehmen und regelmäßig zu den Kontrolluntersuchungen zu kommen, größer ist“, erklärt Samonigg. „Die Psyche nimmt Einfluss auf das gesamte Handeln und die Umstände, was wiederum die Lebensqualität und womöglich die Lebensdauer günstig beeinflusst.“