Er zählt zu den weltweit besten Kriminalpsychologen und hat sich hierzulande als Begründer und Leiter des Kriminalpsychologischen Dienstes sowie als Ermittler in Österreichs aufsehenerregendsten Kriminalfällen einen Namen gemacht: So war er z. B. dem Briefbomber Franz Fuchs auf der Spur oder dem neunfachen Frauenmörder Jack Unterweger. Aktuell ist der gebürtige Tiroler und nunmehrige Wahl-Wiener Dr. Thomas Müller in die neuerliche Aufrollung des Falles Natascha Kampusch eingebunden. Im Gespräch mit MEDIZIN populär erzählt der 45-Jährige, wie er nach der Beschäftigung mit den grausamen Abgründen der menschlichen Seele entspannen und sein Privatleben genießen kann.
Von Mag. Sabine Stehrer
MEDIZIN populär
Herr Dr. Müller, Sie beschäftigen sich seit langem sehr intensiv mit besonders grausamen Verbrechen und den Tätern, die dahinterstehen. Wie schaffen Sie es, sich gedanklich von Ihrer Arbeit loszulösen, wenn Sie heim zu Ihrer Familie gehen?
Dr. Thomas Müller
Ich habe eine Ausbildung bei den Spezialisten für Kriminalpsychologie des FBI hinter mir. Und ein ganz wesentlicher Bestandteil dieser Ausbildung war es, zu lernen, wie man diese Distanzierung schafft. Es gibt da mehrere Strategien, und eine davon passt sehr gut zu mir, weil ich ein Morgenmensch bin: Ich nütze die Morgenstunden, um mich mit den komplexen und ungewöhnlichen Fällen zu beschäftigen, und erledige danach Bürokratisches wie das Erstellen von Gutachten. Dann ist abends die Distanz zu möglichen destruktiven Gedanken schon groß genug, um unbelastet heimzugehen. Bei der Analyse von Kapitalverbrechen ist es aber immer auch wichtig, die Erfahrungswelten der Täter zwar zu betreten, sich aber nicht zu lang darin aufzuhalten.
In Ihren Büchern „Bestie Mensch“ und „Gierige Bestie“ beschreiben Sie, dass es Kern und Ziel Ihrer Arbeit ist, anhand von Persönlichkeitsmerkmalen, die Sie an Verbrechern feststellen, Verbrechen aufzuklären. Ist es nicht frustrierend für Sie, die Taten nicht mehr verhindern zu können, sondern sozusagen immer zu spät zu kommen?
Dieses Zu-spät-Kommen habe ich mit den Gerichtsmedizinern gemeinsam. Die beginnen auch erst zu arbeiten, wenn es schon einen Toten oder mehrere Tote gibt. Und wenn mich das frustrieren würde, müsste ich den Beruf wechseln. Da müsste ich Künstler werden oder Gärtner. Aber vielleicht habe ich mit meiner Arbeit ja auch schon Schönes erzielt, also präventiv gewirkt. Das werde ich nur nie erfahren.
Apropos Gärtner: Wenn man Ihre Bücher liest, fällt einem auf, dass Sie Naturerlebnisse besonders detailreich beschreiben…
Ja, ich bin sehr gern in der Natur, beobachte leidenschaftlich gern Naturereignisse und komme dann oft ins Philosophieren. Heute zum Beispiel war ich morgens nach dem Aufstehen auf der Donauinsel Rad fahren. Da habe ich den Sonnenaufgang beobachtet und gesehen, dass die Vögel ganz dicht über der Wasseroberfläche dahingeflogen sind. Da habe ich mir gedacht, die sind wirklich schlau. Weil das Wasser heute wärmer als die Luft und dadurch der Auftrieb direkt über dem Fluss größer war, mussten sie sich beim Fliegen da unten weniger anstrengen. Das ist wieder etwas, an dem wir Menschen uns ein Beispiel nehmen können, um beim Weiterkommen Energie zu sparen: Nicht zu hoch fliegen.
Fahren Sie jeden Tag mit dem Rad?
Das ganze Jahr über, wann immer es eben möglich ist. Aber darüber hinaus versuche ich auch, mich ausreichend zu bewegen, indem ich viel spazieren gehe.
Was tun Sie sonst für Ihre Gesundheit?
Ich habe mir vorgenommen, ab meinem 45. Lebensjahr, also ab heuer, jedes Jahr zur Gesundenuntersuchung zu gehen, und das werde ich auch tun. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man so wie in der Kriminalpsychologie auch in der Medizin ganzheitlich denken und immer Ursache und Wirkung in einem betrachten sollte. Für mich selbst ist mir daher vorrangig wichtig, psychisch so ausgeglichen und so optimistisch zu bleiben, wie ich bin, dann geht es mir auch körperlich gut. Darüber hinaus strebe ich an, so zu leben, dass sich Genuss und Entbehrung sinnvoll die Waage halten. Ich habe mir zum Beispiel vor einigen Jahren das Rauchen abgewöhnt, aber wenn ich ein Schnitzel essen möchte, esse ich es.
Welches berufliche oder auch private Vorhaben für die Zukunft verraten Sie uns?
Ich schaue nicht so gern in die Zukunft, schon gar nicht öffentlich, denn ich möchte an Taten, nicht an Worten gemessen werden. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich gerade an einer Filmdoku über die Klassifizierung von Kapitalverbrechen arbeite, die wird in einiger Zeit zu sehen sein, aber ich weiß nicht, wann genau. Und privat ist privat. Es bleibt meine Sache, ob und wann ich mit meinen Kindern das Abendgebet spreche, oder ob ich im Pyjama schlafe, was ich übrigens auch schon gefragt wurde.
Buchtipps:
In „Bestie Mensch“ und „Gierige Bestie“, beide im Ecowin-Verlag erschienen, beschreibt Dr. Thomas Müller seinen Werdegang, seine Arbeitsmethoden und seine Gespräche mit Serientätern wie Fuchs, Unterweger & Co.
ISBN 978-3-902404-05-3 bzw. 978-3-902404-32-9
Ausgabe 11/2009