100 Jahre und kein bisschen verzagt

März 2014 | Leben & Arbeiten

So gut geht es Hochbetagten heute
 
Die Zahl der Hochbetagten steigt und steigt, auch in Österreich: Konnten 1990 nur 200 Menschen ihren 100. Geburtsag feiern, so sind es inzwischen bereits 1400. Wie gut es sich heute im Greisenalter leben lässt, zeigt eine aktuelle Studie.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Ich will aus meinem Leben das Beste machen!“ Den Satz würde man wohl spontan einem Popsternchen oder aufstrebenden Hollywoodmimen zuschreiben. Tatsächlich handelt es sich um jene Aussage, der Menschen von 100 Jahren und mehr im Rahmen einer kürzlich veröffentlichten Studie am häufigsten zustimmten.
Das Beste aus ihrem Leben machen wollte und will z. B. die Wienerin Hildegard Längauer, die dieser Tage im Kreis ihrer Lieben ihren 100. Geburtstag feiert. Als ehemalige Balletttänzerin und Operettensoubrette an der Wiener Volksoper, blickt die Jubilarin, die nach wie vor im eigenen Haus lebt, auf ein Jahrhundert voller Lebensfreude zurück. „Es geht mir recht gut“, sagt die betagte Dame, die von einer Pflegerin unterstützt wird; von verschiedenen Beschwerden ist sie freilich nicht verschont: „Ab und zu tun mir die Knochen weh. Dann lege ich mich ein bisschen hin und bin, wenn ich aufstehe, Gott sei Dank wieder fit.“ Ihre anhaltende Agilität führt sie auf den Beruf zurück: „Er hat mir sehr viel Kraft gegeben.“ Viel Kraft und Freude beschert ihr bis heute auch ihr Freundes- und Familienkreis: „Ich bin sehr glücklich, dass ich liebe Menschen um mich habe.“

Immer mehr Hochbetagte

Mit ihren 100 Jahren ist Hildegard Längauer eine von derzeit etwa 1400 hochbetagten Österreichern; in Zukunft, so die Prognosen, werden es deutlich mehr sein: Bis 2050 soll sich die Anzahl der 100-Jährigen hierzulande verzehnfachen; jedes zweite heute Neugeborene könnte demnach dieses hohe Alter erreichen. „Die Bedingungen dafür sind in unseren Breiten sehr gut. Ein sehr langes Leben, in dem man gut altert, wird zunehmend zur Normalität werden“, ist der Heidelberger Diplom-Psychologe Dr. Christoph Rott überzeugt und verweist dabei auf zwei aussagekräftige Untersuchungen: die Heidelberger 100-Jährigen-Studien aus den Jahren 2000/01 und 2011/12. „Die Zahl der exakt 100-Jährigen in dem Einzugsgebiet ist binnen elf Jahren um den Faktor 2,4 angewachsen.“ Sie hat sich von 156 auf 371 Menschen mehr als verdoppelt.

Körperlich eingeschränkt, geistig nicht

„Das Alter ist an keinem spurlos vorübergegangen“, sagt Rott über die körperliche Gesundheit der untersuchten Hochbetagten. „Nach wie vor ist das Leben mit 100 Jahren mit erheblichen körperlichen Einschränkungen verbunden. 80 Prozent der Über-100-Jährigen sind pflegebedürftig, nur circa 20 Prozent kommen ohne Pflegeleistungen aus.“ Was sich sehr wohl verbessert hat, ist die Selbstständigkeit in bestimmten Bereichen, sei es beim Essen und Mahlzeiten-Zubereiten, beim Zu-Bett-Gehen oder Telefonieren. „Ein möglicher Grund dafür sind verschiedene Neuerungen von der Mikrowelle bis zum Handy“, sagt Rott. Keine Fortschritte gebe es hingegen bei „zentralen Lebensaspekten wie dem Gehen“, weiß der Psychologe. „Nur rund ein Drittel der Über-100-Jährigen kann selbstständig und ohne Hilfe gehen.“
Hinsichtlich der geistigen Leistungsfähigkeit zeigt der Studienvergleich eine deutliche Verbesserung. Waren im Jahr 2001 nur rund 40 Prozent, so sind heute bereits mehr als die Hälfte der 100-Jährigen im Alltag kognitiv „nicht oder nur sehr gering eingeschränkt“. Mögliche Ursachen? „Die Menschen sind bis in das hohe Alter hinein aktiver“, sagt Psychologe Rott. „Sie nehmen ihr Leben stärker in die Hand und wollen es selbstbestimmt gestalten.“ Und wie man weiß, hat die Erhaltung der geistigen Leistungsfähigkeit „viel mit dem täglichen Training im Alltag“ zu tun.

Optimistisch trotz vieler Schicksalsschläge

Am fittesten sind die 100-Jährigen in psychischer Hinsicht. „Die psychologischen Stärken der Hochaltrigen sind sehr gut ausgeprägt“, beschreibt es Christoph Rott. „Die Betreffenden kommen zum Beispiel mit den Möglichkeiten, die sie haben, wunderbar zurecht.“ Entsprechend hoch sind Lebensqualität, Lebensfreude und Glücksempfinden. „Einige Studien mit Menschen zwischen 80 und 94 Jahren zeigen, dass diese im Vergleich tendenziell eine schlechtere psychische Konstellation haben“, sagt Rott.
Worauf man die psychische Fitness zurückführt? Die Fähigkeit, Schicksalsschläge zu verkraften, die Resilienz, spielt eine wichtige Rolle. „Die Menschen haben sich trotz aller Schwierigkeiten den Optimismus erhalten und werden nicht von negativen Aspekten und Gefühlen übermannt“, so der Psychologe.
Die Hochbetagten haben nicht nur (Kriegs-)Zeiten er- und übererlebt, sondern auch rasante technologische Veränderungen, wie es sie noch nie binnen eines Menschenlebens gab: „von der Pferdeeisenbahn zum Jumbojet, vom Telegramm bis zum SMS“, gibt Prim. Dr. Katharina Pils, Fachärztin für Geriatrie, Physikalische Medizin und Rehabilitation sowie Rheumatologie in Wien, eindrückliche Beispiele.

Interessiert und integriert

Neben der Resilienz braucht es auch „eine gewisse Neugierde und Humor“, betont Pils, die auch Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie ist, und verweist auf verschiedene Studien: „Menschen, die sich immer weiter entwickeln wollen oder die Beziehungen zu den nachfolgenden Generationen haben, leben länger“, berichtet Pils. „Jene, die noch etwas erleben und schaffen wollen – zum Beispiel Künstler – haben noch sehr lange einen produktiven Willen.“
Psychische Probleme sind freilich auch den Greisen nicht gänzlich unbekannt: „Zumindest 40 Prozent fühlen sich zeitweise einsam“, so Christoph Rott. „Was alte Menschen besonders belastet, ist das allmähliche Wegbröckeln von sozialen Beziehungen“, ergänzt Katharina Pils. „Wir definieren uns sehr stark über Menschen, die unseren Werdegang bezeugen können. Wenn es niemanden mehr gibt, der uns in unserer Kraft und Stärke gekannt hat, haben wir den Eindruck zu verschwinden.“
Dem lässt sich vorbeugen: „Wer sich immer um die nachfolgenden Generationen bemüht hat, hat einen größeren Pool an Menschen, die einen halten“, so die Ärztin. Nicht zuletzt wegen ihres reichen Erfahrungsschatzes sind Frohnaturen wie Hildegard Längauer hochgeschätzte Gesprächspartner. „Bei diesen Menschen fühlt man sich wohl und geht gern zu ihnen“, so Pils. Diese haben auch im hohen Alter Ziele und wollen Verschiedenes erleben: die Hochzeit der Enkelin, die Geburt des Urenkerls. „Andere sagen, sie haben lange genug gelebt und sind bereit zu gehen“, berichtet Psychologe Christoph Rott. „Der Tod ist jedoch nichts Bedrohliches für sie.“

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Altern in Zeiten des Umbruchs: Schöne Aussichten?

„Entwicklung der Antibiotika, Verbesserungen in der Hygiene und im Ernährungszustand “, nennt die Geriaterin Prim. Dr. Katharina Pils die wesentlichen Gründe für die stetig steigende Lebenserwartung in der westlichen Welt.
Zwar seien die chronischen Erkrankungen im Alter weitgehend die gleichen geblieben. „Dank moderner Medizin haben wir heute allerdings akute Infektionen vom Harnwegsinfekt bis zur Lungenentzündung besser im Griff, aber auch Wundheilungs- und Durchblutungsstörungen oder Superinfektionen“, erklärt Pils, die die Prognosen zur stetig steigenden Lebenserwartung trotzdem mit Vorsicht bewertet wissen will. Verschiedene Faktoren könnten diese aktuell beeinflussen. „Als Folge der Überernährung steigen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, das metabolische Syndrom, Schlaganfall, Herzinfarkt“, erklärt Pils. „Auch haben wir heute andere Formen von Stress, Umweltgiften oder sozialer Desintegration. Zunehmende Resistenzen gegen Antibiotika erschweren zudem die Behandlung bakterieller Infekte.“ Umgekehrt könnten Fortschritte in der Medizin die Entwicklung günstig beeinflussen: „Zellingenieure können mittlerweile aus Stammzellen unterschiedlichste Körperzellen züchten, die in Zukunft bestimmte Medikamente ersetzen könnten“, sagt Pils, die überzeugt ist, dass wir heute „in einer Umbruchzeit“ leben.

Stand 03/2014

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