Ein Beinbruch ist kein Beinbruch

Dezember 2007 | Medizin & Trends

Mit Marknägeln heilen Knochenbrüche schneller
 
Früher bedeutete ein gebrochenes Bein drei bis vier Wochen mit Streckverband im Krankenbett und mehrere Wochen Gips. Das Bein wuchs auch nicht immer ganz gerade zusammen. Heutzutage jedoch ist ein Beinbruch kein Beinbruch mehr. Das gilt nicht bei allen, aber bei den meisten Frakturen. Nach einem klassischen Unterschenkelbruch – eine häufige Verletzung bei Schifahrern – kann man bereits am Tag darauf wieder aufstehen und nach kurzer Zeit ohne Krücken gehen. Und das gipsfrei. Nach wenigen Tagen schon kann man das Spital verlassen. Wie geht das? Marknagelung heißt das Verfahren, das diese schnelle Wiederauferstehung möglich macht. Lesen Sie, wie’s funktioniert.
 
Von Mag. Michael Krassnitzer

Was wie ein Wunder klingt, ist in der medizinischen Praxis bei den meisten Unter- und Oberschenkelbrüchen bereits gang und gäbe: die Marknagelung. Dabei werden Nägel aus Titan längs in die Markhöhle des Knochens eingesetzt, so dass der Knochen gleichsam von innen geschient wird. Diese Behandlungsmethode ist internationaler Standard geworden. „Wir behandeln über 95 Prozent der Unter- und Oberschenkelschaftbrüche mit Marknägeln“, erklärt Univ. Prof. Dr. Michael Blauth, Vorstand der Universitätsklinik für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie an der Medizinischen Universität Innsbruck: „Alles was mit Marknagelung behandelt werden kann, wird bei uns auch mit Marknagelung be­handelt.“

Klein, aber oho: Nägel sind Hightech-Geräte
Die Marknagelung funktioniert allerdings nur bei Knochen, die eine Markhöhle haben, also einen mit Knochenmark gefüllten Hohlraum. Das sind vor allem die langen Röhrenknochen des menschlichen Skeletts: Oberschenkelknochen, Unterschenkelknochen, Oberarmknochen. Und die Bruchstelle darf nicht zu nahe an den angrenzenden Gelenken, zum Beispiel dem Knie- oder Sprunggelenk, liegen. Früher konnte man nur Brüche in der Mitte des Knochens mit Marknägeln behandeln. Doch mit den modernen Spezialnägeln können heute auch Frakturen verarztet werden, die nahe dem Gelenk liegen. Bolzen verhindern, dass der Nagel sich im Knochen dreht, Klingen fixieren ihn in der kompakten Knochenmasse des Gelenks. Marknägel sind Hightech-Geräte.
Mittlerweile können auch Knochen, die nur über kleine Markhöhlen verfügen, mit Marknägeln behandelt werden: zum Beispiel bei Schlüsselbeinbrüchen. Die Unfallchirurgie an der Klinik Innsbruck hat die Marknagelung auch für diese sehr schmerzhaften und häufigen Brüche eingeführt. „Der Heilungsverlauf ist zum einen wesentlich angenehmer, zum anderen heilt das Schlüsselbein nach einer solchen Operation auch in der korrekten Länge und nicht etwa verkürzt aus“, bekräftigt Unfallchirurgie-Vorstand Blauth: „Außerdem sind ein großer Schnitt und eine eingesetzte Metallplatte an dieser gut sichtbaren Stelle auch ein großes ästhetisches Problem.“

Wie kommt der Nagel in den Knochen?
Egal bei welchen Knochen, das Verfahren ist immer das gleiche: Der Marknagel wird durch eine kleine chirurgische Öffnung in den Knochen geklopft. Dazu braucht der Arzt nur je einen kleinen Schnitt am oberen und unteren Knochenende. Auf diese Weise werden die Teile des gebrochenen Knochens fest miteinander verbunden. Bewährt hat sich die Methode auch bei komplizierten Splitterbrüchen. Mit dem Marknagel wird die zertrümmerte Stelle einfach überbrückt. Eine besondere technische Schwierigkeit bei der Marknagelung stellt die korrekte „Achsenausrichtung“ der gebrochenen Knochen dar. Der Knochen muss ja gerade und nicht etwa verdreht zusammenwachsen. Um das zu gewährleisten, werden während
der Operation verschiedene Hilfsmittel bis hin zur Computernavigation verwendet.

Was bringt die Methode für Jung und Alt?
Die Vorteile für die Patienten sind enorm. 24 Stunden nach der Operation können sie wieder die ersten Schritte machen. Schon nach zwei bis drei Wochen kann das Bein wieder voll belastet werden. „Je länger man im Krankenbett liegt, desto schwächer wird man“, erläutert Prof. Blauth die Bedeutung der raschen Mobilisierung. Vor allem bei alten Menschen ist es wichtig, dass sie schnell wieder auf die Beine kommen, da ansonsten dauer­hafte Bettlägerigkeit droht.
Ein weiterer großer Vorteil der Marknagelung: Es handelt sich um eine so genannte minimal invasive Methode – auch bekannt unter dem Ausdruck „Schlüssellochchirurgie“. Zwei kleine Schnitte weitab von der Verletzung sind ausreichend, um den Marknagel einzuführen. Beim Einsetzen der früher verwendeten Platten und Schrauben musste der Knochen an der verletzten Stelle chirurgisch freigelegt werden. Diese entstehende Operationswunde wirkte sich negativ auf die Heilung des Bruches aus. Je mehr die Bruchstelle in Ruhe gelassen wird, desto besser können die Selbstheilungskräfte des Körpers arbeiten. Vor allem für alte Menschen, für die ein herkömmlicher chirurgischer Eingriff eine große Belastung darstellt, ist die minimal invasive Methode der Marknagelung ein Segen. „Die Technik der Marknagelung wird ständig weiterentwickelt und verfeinert“, erklärt Blauth: „An dieser Entwicklung ist die Unfallchirurgie Innsbruck wesentlich beteiligt.“
Der Einsatz eines Marknagels erfolgt entweder unter Vollnarkose oder Rückenmarksnarkose („Kreuzstich“). Blauth: „Einen ,Kreuzstich‘ machen wir vor allem bei alten Menschen, weil das ihren Organismus weniger belastet. Auf Wunsch aber kann sich jeder diesem Eingriff unter einer Rückenmarksnarkose unterziehen.“
Nach einem Jahr kann der Marknagel wieder entfernt werden. Im Zuge einer abermaligen minimal invasiven Operation wird er dann herausgeklopft. Auch hier spielt das Alter eine Rolle: Ab einem Alter von ungefähr 60 Jahren bleibt der Titannagel normalerweise im Knochen, außer der Patient wünscht ausdrücklich die Entfernung. Jüngeren empfiehlt Blauth die Entfernung – aber zwingend ist sie nicht. Wer einen zweiten Eingriff scheut, trägt bis an sein Lebensende ein Stück Edelmetall in sich.

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Alte Knochen brechen leichter
Marknagelung trotz Osteoporose?
„Die Anzahl der älteren Patienten mit Knochenbrüchen steigt ständig“, weiß Univ. Prof. Dr. Michael Blauth, Vorstand der Universitätsklinik für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Im Alter werden die Knochen anfälliger für Brüche. Die Osteoporose – auch Knochenschwund genannt – ist eine häufige Alterserkrankung des Knochens. Dabei verliert die Knochensubstanz an Masse und Struktur. Auch bei Osteoporose ist im Fall eines Unterschenkel- oder Oberschenkelbruchs die Marknagelung die Methode erster Wahl. Denn die Neubildung von Knochenmasse funktioniert auch bei Osteoporose. Da nicht direkt an der Bruchstelle operiert werden muss, kann sich die Knochenmasse ungestört neu bilden.
Im Forschungslabor der Unfallchirurgie Innsbruck wird daran gearbeitet, Frakturen bei alten Menschen mit verminderter Knochenqualität noch besser behandeln zu können. Dabei wird der Knochen mit einer Art Knochenzement verstärkt, bevor der Marknagel eingesetzt wird. Dass sich die Titannägel wieder leicht aus dem Zement entfernen lassen, haben die Tiroler Forscher schon bewiesen.
Bei einer bestimmten, bei alten Menschen häufigen Fraktur funktioniert die Marknagelung leider nicht: beim Oberschenkelhalsbruch. Dieser gefürchtete Knochenbruch ist oft der Grund, dass alte Menschen ins Pflege­heim übersiedeln müssen. Aufgrund der Häufigkeit von Schenkelhalsbrüchen bei älteren Frauen stellt der Oberschenkelbruch die häufigste Freizeitunfallursache bei Frauen überhaupt dar.

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Hochsaison für Marknägel
10.000 Beinbrüche pro Jahr beim Schifahren
Der alpine Schilauf führt mit großem Abstand die Statistik der Sportverletzungen an. Snowboarden steht nach Fußball und Radfahren an vierter Stelle. Sobald der erste Schnee gefallen ist, herrscht also wieder Hochbetrieb in den chirurgischen Abteilungen von Österreichs Spitälern. Im Jahr 2006 verunglückten insgesamt etwa 59.100 Personen beim Schifahren und Snowboarden so schwer, dass sie im Spital behandelt werden mussten. Laut dem Kuratorium für Verkehrssicherheit handelt es sich bei rund 17 Prozent aller Sportunfälle um Ober- bzw. Unterschenkelfrakturen. Daraus ergibt sich die stattliche Zahl von jährlich etwas mehr als 10.000 Knochenbrüchen des Ober- und des Unterschenkels infolge von Schi- und Snowboardfahren. Hochsaison also für Marknägel.

   

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