Sexualität im Alter

März 2010 | Partnerschaft & Sexualität

Für 89 Prozent der Männer und 70 Prozent der Frauen über 50 ist laut einer aktuellen Umfrage der Partneragentur „parship“ regelmäßiger Sex ein wesentlicher Bestandteil der Partnerschaft. Doch die Veränderungen in der Sexualität, die das Älterwerden mit sich bringt, werden nach wie vor kaum thematisiert, kritisiert die Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit Dr. Elia Bragagna. In MEDIZIN populär spricht die Expertin über die Freuden und Leiden der späten Lust.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Der 65-jährige Franz F. ist nach eigenen Angaben ein „Pensionist in den besten Jahren“. Er bezeichnet sich als „rüstig und aktiv“, auch sexuell fühlt er sich „noch gut in Form“, Sex sei ihm wichtig wie eh und je. „Es muss nicht immer Geschlechtsverkehr sein“, sagt er bei einem Beratungsgespräch in einer Sexualambulanz. „Ich hätte halt gern, dass meine Frau öfter zärtlich zu mir ist und den Sex wieder genießt.“ Seine 62-jährige Frau Bettina wiederum hat sich seit der Menopause zunehmend aus dem Sexualleben zurückgezogen. „Irgendwie ist alles anders als früher“, klagt sie. „Ich bin oft lustlos und wenn wir miteinander schlafen, brauche ich viel länger, bis ich erregt bin.“
Dass sich mit dem Älterwerden der Körper und damit die Sexualität verändern, sei normal, betont Dr. Elia Bragagna, Allgemeinmedizinerin, Sexual- und Psychotherapeutin und Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit (AfsG) in Wien. „Insgesamt sind Männer wie Frauen wesentlich verletzlicher und müssen lernen, mit den körperlichen Veränderungen umzugehen.“ Das bedeute aber nicht, dass man Probleme im Liebesleben als „normale“ Begleiterscheinungen des Alters hinzunehmen hat.

Von Hormonen bis zu Konflikten

Eine Schlüsselrolle für die veränderten Rahmenbedingungen spielt der Hormonhaushalt. „Viele Hormone und Botenstoffe werden nach und nach abgebaut“, erklärt Bragagna. „Der Östrogenmangel und erniedrigte Testosteronspiegel bei der Frau verringern die Durchblutung der Genitale und beeinflussen somit das genitale Lustempfinden; beim Mann beeinflusst der Testosteronabbau die genitale Durchblutung.“ Während die Orgasmusfähigkeit bis ins hohe Alter erhalten bleibt, dauert es mit den Jahren oft länger, bis man erregt ist – bis der Penis erigiert bzw. die Scheide feucht ist und man den Orgasmus erreicht.
Neben Problemen mit dem Feuchtwerden der Scheide, in der Fachsprache Lubrikationsstörungen genannt, leiden ältere Frauen häufig unter Erregungsstörungen, schmerzhaftem Geschlechtsverkehr oder sind lustlos. Ältere Männer sind häufiger als ihre jüngeren Geschlechtsgenossen von Erektionsstörungen und Lustlosigkeit betroffen.
Zudem sind Sexualstörungen heutzutage immer öfter auf einen ungesunden Lebensstil zurückzuführen. „Aufgrund von Überfütterung und Bewegungsarmut haben wir heute – mehr als früher – Begleiterkrankungen, die kontrasexuell wirken“, berichtet die Expertin. „Sehr viele leiden an dem metabolischen Syndrom, das einen massiven Einfluss auf die Blutgefäße und den Hormonhaushalt – und damit auf unsere Sexualität – hat.“ Schmerzen oder körperliche Einschränkungen, die ab der Lebensmitte häufiger werden, sowie die Einnahme von Medikamenten können sich ebenfalls negativ auf das Lustempfinden auswirken. Nicht zuletzt spielen seelische Faktoren eine Rolle: Viele Frauen werden aufgrund von Frustrationen oder unausgetragenen Konflikten in der Partnerschaft lustlos. Die Betroffenen müssen laut Ärztin begreifen, dass Sexualität auch damit zusammenhängt, wie man miteinander umgeht – und immer beide Partner betrifft. „Die Herausforderung ist, für unterschiedliche Bedürfnisse gemeinsam eine Lösung zu finden“, so Bragagna.

Veränderungen zum Thema machen

Den ersten – und laut Bragagna schwierigsten – Schritt dazu haben Franz und Bettina gemacht: Sie reden über ihr Problem. „Da man nicht ausreichend darüber informiert wird, dass es ganz normal ist, dass die Sexualität sich mit dem Älterwerden verändert und wie man mit den Veränderungen umgeht, traut man sich nicht darüber zu reden“, so die Medizinerin. Selbst Ärzte tun sexuelle Schwierigkeiten oft als „altersentsprechend“ ab, kritisiert Bragagna. Dabei sollten diese genauso selbstverständlich behandelt werden wie Augenprobleme, gegen die eine Brille verschrieben wird.
Hauptgrund für die Tabuisierung der späten Lust sei laut Bragagna ein kultureller. „Wir sind geprägt von unserem christlichen Glauben, der uns Sexualität vor allem im Rahmen der Reproduktion zugesteht“, berichtet sie. Das Gros sieht ältere Menschen am liebsten als naiv-unschuldige Omas und Opas – händchenhaltend, strickend, auf Seniorenreisen – und nicht als sexuell aktive Wesen. „Aus diesem Grund ist es auch in vielen Pensionistenheimen noch immer nicht üblich, dass man geschützten sexuellen Besuch haben kann“, bedauert Bragagna. Neben der kulturellen Prägung spielt auch der tradierte Anspruch an Ästhetik eine Rolle: Glatte, junge Haut gilt als attraktiv, Falten und Altersflecken als unschöne „Alterungsmale“.

„Sexy“ Einstellung bewahren

Glaubenssätze wie die Vorstellung „zu alt für Sex zu sein“ sind weitere „Lustkiller“. Hilfreiche Affirmationen sind dagegen: „Ich darf bis ins hohe Alter sexuell begehren und Lust empfinden – ich muss aber nicht.“ Sich selbst als sexuelles Wesen zu verstehen, sei eine wichtige Voraussetzung, um auch in der Pension sexuell aktiv zu bleiben.
Daneben sollte man sich davor hüten, das gegenwärtige Sexualleben mit jenem aus jüngeren Jahren zu vergleichen. „Der Sex ist später nicht weniger gut, sondern einfach anders. Es braucht eventuell mehr Zeit, bis die Erektion da oder die Scheide feucht ist, aber es funktioniert tadellos, wenn man sich die Zeit gibt“, so Bragagna. Viele erleben das längere Liebesspiel sogar als befriedigender, für manche gewinnen Nähe und Kuscheleinheiten an Bedeutung. „Der Körper ist insgesamt erfahrener geworden und man weiß, was funktioniert und was nicht“, betont die Medizinerin. „Dabei muss jedes Paar und jeder einzelne für sich herausfinden: Was ist es, das mich sexuell befriedigt? Was braucht der Körper jetzt?“ Eine Studie habe nämlich gezeigt, dass jene, die sich an Veränderungen anpassen können, am ehesten auch im Alter ein erfülltes Liebesleben haben. „Die Veränderungen können dann der Start für eine ganz neue, lebendige Erfahrung werden“, erklärt die Sexualtherapeutin. „Viele ältere Menschen, speziell Frauen ab 50, erzählen, dass sie sich selbst viel näher sind und der Sex im Alter qualitativ noch viel besser wird.“

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Hilfsmaßnahmen:

Beratung, Cremen & Hormone

Wenn die sich ändernde Sexualität Probleme macht – sei es, dass die Erektion schwach, die Scheide immer langsamer feucht wird oder man sich lustlos fühlt – sollte man rasch ärztliche Hilfe (z. B. bei einem Andrologen oder sexualmedizinisch versierten Gynäkologen) suchen.
In manchen Fällen können Medikamente, z. B. Cremen oder Gels zur lokalen Behandlung oder Hormonpräparate, sinnvoll sein. „Wenn bei Frauen zu niedrigen Testosteronwerten Symptome wie Abgeschlagenheit und Lustlosigkeit kommen, kann die Gabe von Testosteron zu mehr Lebensqualität verhelfen“, erklärt die Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna. „Der Eiweißbaustein L-Arginin fördert die Durchblutung und damit das Lustempfinden.“ Potenzfördernde Mittel sollten aufgrund möglicher Nebenwirkungen nur nach ärztlicher Absprache eingenommen werden.

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