Was die Stimme über uns verrät

Oktober 2014 | Psyche & Beziehung

Die Stimme ist so individuell wie ein Fingerabdruck, doch sie weiß wesentlich mehr über uns zu erzählen. Wer gut hinhört, erhascht über den Klang des Gegenübers einen Blick in sein tiefstes Innerstes. Aber nicht nur das: Auch verschiedene Krankheiten schlagen sich in der Stimme nieder.
 
Von Wolfgang Kreuziger

Nicht nur in den High-Tech-TV-Labors von „CSI Las Vegas“ gelten Stimmspuren der Schurken als besonders wertvoll: Ein guter Telefonmitschnitt sagt mehr als 1000 unscharfe Fahndungsfotos. Auch FBI und Interpol speichern seit langem die „akustischen Fingerabdrücke“ der Bösewichte als digitale Codes chiffriert in großen Datenbanken ab. „Die Stimme jedes Menschen ist unverwechselbar und gibt uns nicht nur Auskunft über Geschlecht, Alter und Herkunft“, erklärt Univ. Prof. Dr. Wolfgang Bigenzahn, Leiter der Klinischen Abteilung für Phoniatrie und Logopädie der Medizinischen Universität Wien. „Sie verrät uns auch eine Menge über seine Persönlichkeit und Stimmung. Ist er selbstbewusst oder ängstlich, ist er angespannt oder locker?“ In den USA helfen stimmbasierte Lügendetektoren auf dem Prinzip der „Voice Stress Analysis“, Verdächtige beim Flunkern zu entlarven, indem sie das Zittern der Stimmuskulatur auf Grafiken sichtbar machen. Täuschung nur schwer möglich – denn die kribbelnde Nervosität und Anspannung wird über Nerven und Muskeln wie von einer Datenleitung auf die Stimmlippen übertragen. „Tiefe Gefühle wie Angst spiegeln sich stets in der Stimme wider“, weiß der Mediziner. „Nur professionelle Schauspieler sind in der Lage, sie überzeugend vorzutäuschen“, ergänzt der Sprechwirkungsforscher und Psychologe Prof. Dr. Walter Sendlmeier von der TU Berlin.

Hochtönende Angst, tiefklingende Trauer

Erstaunlich, aber wahr: Zwischen Berlin, Wien, New York und Rio de Janeiro gibt es keine zwei Stimmen, die völlig identisch klingen – das liegt schon an der Komplexität der Tonerzeugung: „Beginnend beim Luftstrom aus der Lunge, sorgen die Stimmlippen und das sogenannte Ansatzrohr, also Mund, Nasen- und Rachenräume jedes Sprechers für einen typischen Klang. Die Dicke und Beschaffenheit der Schleimhäute geben dem Ton darüber hinaus eine eigene Note“, weiß Bigenzahn. Je länger und dicker die Stimmlippen, desto tiefer die erzeugten Töne.
Kocht der Sprecher innerlich vor Wut oder übermannen ihn gar vor Trauer die Tränen, so ist dies nicht nur für jeden aufmerksamen Zuhörer erkennbar, es lässt sich auch an wissenschaftlichen Parametern festmachen, wie der Sprechwirkungsforscher Sendlmeier erforscht hat: „Sind wir ärgerlich, so klingt die Stimme höher, die Anzahl der Betonungen nimmt erheblich zu und die Aussprache wird deutlicher.“ Im traurigen Zustand, so Sendlmeier, enthalten die Obertöne im höheren Frequenzbereich sehr wenig Energie, die Stimme klingt stark gedämpft, die mittlere Tonhöhe ist abgesenkt, die Satzmelodie wenig abwechslungsreich. Sind wir freudig erregt, so führt dies in der Regel zu einer größeren Variationsbreite in der Satzmelodie und zu deutlichen Tonhöhenänderungen in den betonten Silben. Haben wir Angst, so wird die Satzmelodie eintönig, aber in einer deutlich höheren Tonlage als bei Trauer; die Sprechgeschwindigkeit nimmt zu und die Aussprache wird undeutlicher, mitunter werden ganze Silben weggelassen.

Hörbare Krankheiten

Diesen einzigartigen „Röntgenblick“ in die Seele will sich die Medizin künftig vermehrt zunutze machen, um Krankheiten früh an stimmlichen Veränderungen festzumachen. „Schon in den 1950er Jahren gab es Untersuchungen zu stimmlichen Veränderungen bei Depression und akuter Suizidgefahr“, schildert Sendlmeier. „Ähnlich wie bei Trauer werden bei Depression durch einen abgesenkten Muskeltonus die Rückstellkräfte der schwingenden Stimmlippen verringert. Daraus ergibt sich der tiefere, stark gedämpfte, bedrückt wirkende, Stimmklang.“
Mit Hilfe der Sprechanalyse will man auch Morbus Parkinson in einem frühen Stadium diagnostizieren und damit besser behandeln können, da das muskulär bedingte Zittern der Stimme ein erster Indikator für die Krankheit sein kann. Nicht mit Sprech-, sondern mit Sprachanalyse könnten künftig Demenz bzw. Alzheimer frühzeitig entdeckt werden: „Dies allerdings“, verdeutlicht Sendlmeier, „nicht durch den Klang der Stimme, sondern die Dokumentation der Zahl und Art der Versprecher.“ Andere Forscher berichten von diagnostischen Erfolgen bei der Aufmerksamkeistsstörung ADHS oder der Lähmungserkrankung Amyothrophe Lateralsklerose (ALS) durch eine Analyse des Stimmklangs, Sendlmeier gibt sich diesbezüglich nur vorsichtig optimistisch: „Das meiste davon steckt in der Testphase und es ist noch ungewiss, ob und wann diese Verfahren verlässlich auf breiter Basis einsetzbar werden.“  

Die Trendumkehr im Alter

Nicht nur Krankheiten und Emotionen, auch die Anzahl an Lebensjahren sind für Experten hörbar. So tritt etwa jenseits der 50 öfter Heiserkeit auf und die Stimme wird zunehmend zittrig. „Die Muskeln des Kehlkopfes sowie der Stimmlippen verlieren an Elastizität und die Stimmintensität sinkt“, erläutert Bigenzahn den Hintergrund. Schließlich schlagen auch hormonelle Veränderungen etwa in der Schwangerschaft auf die Stimme. Bigenzahn: „Eine Sängerin berichtete mir nach der Geburt von zwei Kindern, nun um eine Terz tiefer singen zu können.“ Männer sprechen mit zunehmendem Alter in höherer Frequenz, da ihr Körper weniger Testosteron produziert, ein Sexualhormon, das die Stimme senkt. Frauen wiederum reden nach der Menopause gewöhnlich mit tieferer Stimme, weil ihr Östrogenspiegel sinkt.
Im Übrigen sprechen Frauen heute generell zirka um eine Terz tiefer als noch vor 30 Jahren. Experten erklären dieses Phänomen mit der weiblichen Emanzipation: „Frauen wollen im Familien- und Geschäftsleben ernst genommen werden, und das funktioniert mit einer Piepsstimme nicht“, betont Sendlmeier. Daher sprechen Frauen heute unbewusst tiefer als früher. Die ehemalige englische Premierministerin Margaret Thatcher trainerte sich in den 1980er Jahren sogar gezielt eine um eine Quart niedriger als der Durchschnitt klingende, fast männliche Sprechstimme an, um sich als Frau auf der männlich dominierten Politbühne Gehör zu verschaffen.

Brummbär kontra Piepsmaus

Dass tiefe Stimmen für den Zuhörer kompetent, souverän und verlässlich klingen, habe laut Studien heute mehr Gültigkeit denn je. „Männer sprechen durchschnittlich mit einer mittleren Stimmfrequenz von 120, Frauen mit 220 Hertz. Doch bei Moderatorinnen oder Politikerinnen beobachten wir, dass sie um gut 20 Hertz tiefer sprechen als der Durchschnitt“, erklärt Sendlmeier. Tiefe Brummbär-Organe haben sich aber nicht nur aus kulturellen Gründen durchgesetzt, Studien zeigen auch, dass sie leichter vom Zuhörer verstanden werden. „Kleinmädchenstimmen hingegen sind etwas aus der Mode gekommen und stehen nur noch bei manchen Machos hoch im Kurs“, schmunzelt Sendlmeier. Kein Wunder also, dass die Stimmlehrer allerorts boomen und vollmundig durch Training von Tonhöhe und Sprachmelodie eine Eintrittskarte in die Welt der Superredner versprechen. Zu den gelehrten Standardgesetzen gehört es dabei etwa, am Satzende den Ton abzusenken, da ein Anheben wie eine Frage klingen und Unsicherheit vermitteln würde. „Es gibt beim Benützen der Stimme zweifellos viel zu lernen, doch die Erwartungen sind meist zu hoch“, schränkt Sendlmeier ein. „Dazu ist die Persönlichkeit der Menschen zu verschieden, und ihre Fehler sind zu vielfältig. Ein Patentrezept für die perfekte Stimme wird es nie geben.“

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Die Stimme der Partnerwahl:
Was uns besonders sexy klingen lässt

Es sind nicht nur sinnliche Lippen bei den Frauen und breite Schultern bei den Männern, die uns zum Traumpartner fast magisch hinziehen. „Bei der Frage, in wen wir uns verlieben, kommt der Stimme eine wichtige Rolle zu“, verrät der Sprechwirkungsforscher Prof. Dr. Walter Sendlmeier von der TU Berlin. „Der Klang des Menschen vermittelt Emotionen, die echt und unverfälscht sind, da die Stimme von Laien kaum verstellt werden kann“, so der Experte.
Was uns besonders sexy klingen lässt? „Frauen, die behaucht und nasal sprechen, wirken auf Männer besonders erotisch“, hat der Sprechwirkungsforscher entdeckt. „Hohe Kleinmädchenstimmen wiederum suggerieren Unterwerfung, auch das ist für manche Herren attraktiv.“ Hoch bedeutet weiblich und fruchtbar – an der Universität von Kalifornien (USA) wurde in einer Studie gezeigt, dass Frauen an ihren fruchtbaren Tagen einige Teiltöne höher sprechen als sonst. Auf der anderen Seite kommen tiefe männliche Stimmen bei den Damen in der Regel gut an, die unterschwellig Dominanz und genetische Stabilität versprechen. „Wenn die Stimme zusätzlich etwas rau ist oder einen leicht knarrenden Unterton hat, wirkt das bei Männern oft besonders attraktiv. Sie kann dann sogar zu einer Art Marke werden“, weiß der deutsche Experte.

Stand 10/2014

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