Schlapp hinterm Lenkrad

Juli 2007 | Leben & Arbeiten

Wenn Müdigkeit das Steuer übernimmt
 
Sommer, Sonne, Stau – und das große Gähnen bei den Reisenden: Schier endlose Autofahrten in den Urlaub können zum tödlichen Risiko werden, wenn sich der Lenker schlapp fühlt und seinem Schlafbedürfnis nicht rechtzeitig nachgibt. Übermüdung gilt als Ursache für jeden dritten Verkehrsunfall. Ein Problem, das mit Alkohol am Steuer gleichzusetzen ist, wie der Schlafmediziner Univ. Prof. Dr. Manfred Walzl für MEDIZIN populär erklärt.
 
Von Mag. Karin Kirschbichler

Noch schnell eine Nacht durchgearbeitet, damit vor dem Urlaub möglichst nichts liegen bleibt. Am Abend vor der Abreise rasch die Koffer gepackt, dann hurtig vier, fünf Stunden geschlafen, denn um zwei Uhr früh geht’s zügig los, damit man dem Stau am Grenzübergang möglichst entkommt. Das Schlafdefizit lässt sich ja dann in den Ferien ausgiebig aufholen.

Wer derart „vorbereitet“ eine stundenlange Autofahrt antritt, riskiert sein Leben. Und nicht nur seines, sondern auch das seiner Mitfahrer und anderer Verkehrsteilnehmer. „Das Schlafdefizit wird zur großen Gefahr“, sagt Univ. Prof. Dr. Manfred Walzl, Leiter der Schlafmedizin an der Landesnervenklinik Graz. „Wer acht Stunden Schlaf braucht und nur vier Stunden schläft, reagiert am nächsten Morgen so eingeschränkt, als habe er 0,5 Promille Alkohol im Blut, und hat so ein mindestens vier- bis sechsfach höheres Unfallrisiko als im nüchternen Zustand. Eine durchwachte Nacht lässt das Reaktionsvermögen so weit herabsinken, als hätte man 1,0 Promille im Blut. Und nach zwei Nächten ohne Schlaf hat man bereits Halluzinationen, sieht also beispielsweise Menschen oder Gegenstände, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt.“

Die zweite Gefahr für Leib und Leben: Autofahren in Zeiträumen, in denen der Körper auf „Schongang“ eingestellt, die Konzentrationsfähigkeit auf dem Tiefpunkt angelangt ist und Fehlerquoten und Unfallraten steigen: Das sind die Phasen zwischen ein und drei Uhr früh und zwischen 13 und 15 Uhr nachmittags. In jüngsten Untersuchungen der Grazer Schlafmedizin stellte sich auch die Zeit um 11 Uhr vormittags als so genanntes chronobiologisches Tief heraus.
„Besonders gefährlich“, fügt Prof. Walzl an, „ist jenes Intervall vom Beschluss, eine Pause einzulegen, bis zum Erreichen eines Parkplatzes. In dieser Zeit ist man quasi ,abgemeldet‘, unkonzentriert und schläft umso leichter ein. Nach jüngsten schlafmedizinischen Untersuchungen lässt sich mit diesem Phänomen die zunehmende Unfallhäufigkeit in unmittelbarer Nähe des Wohn- oder Ferienortes erklären.“

Jeder Zweite ist übermüdet
Aktuelle Studie mit erschreckenden Ergebnissen
Die kürzlich veröffentlichte Studie über „Müdigkeit im Straßenverkehr“ zeigt das dramatische Ausmaß des Problems vor allem bei Berufskraftfahrern. Die in Europa bisher größte Untersuchung zum Thema wurde im Auftrag des oberösterreichischen Verkehrsreferenten und Landeshauptmann-Stellvertreters Erich Haider in Zusammenarbeit mit Univ. Prof. Dr. Manfred Walzl durchgeführt. Dabei wurde im Laufe eines Jahres bei insgesamt 1.180 LKW- und Buslenkern (1.121 Männer und 59 Frauen), die sich im Gebiet des Bundeslandes Oberösterreich freiwillig als Teilnehmer zur Verfügung stellten, der Grad der Schläfrigkeit gemessen.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • 22,3 Prozent der Berufskraftfahrer mussten als „fahruntauglich“ eingestuft werden. Das heißt, sie waren zu müde, um ein Fahrzeug zu lenken.
  • 30,9 Prozent gingen aus der Untersuchung als „bedingt fahrtauglich“ hervor; das bedeutet, sie hätten eine Schlafpause von zumindest 20 Minuten einlegen müssen, um die nächsten zwei, drei Stunden wieder einigermaßen sicher unterwegs sein zu können. Danach hätte es unbedingt einer langen – etwa achtstündigen – Rast bedurft.
  • Nur bei knapp der Hälfte, also bei 46,8 Prozent, gab es keine Bedenken in Hinblick auf die Fahrtauglichkeit.
  • Buslenker hatten im Allgemeinen bessere Werte als LKW-Fahrer.
  • Jüngere (männliche) Fahrer waren im Durchschnitt müder als ältere. Ein Phänomen übrigens, das auch schon in den USA beobachtet wurde, für das es aber vorerst noch keine wirklich plausible Erklärung gibt.
  • Die Fahrer selbst können das Ausmaß ihrer Müdigkeit bzw. Schläfrigkeit äußerst schwer beurteilen: Nur 6,2 Prozent schätzten sich selbst als übermüdet ein.

 

Pupillomat entlarvt müde Fahrer
Schläfrigkeit kann man messen
Wie müde Autofahrer tatsächlich sind, lässt sich seit neuestem klipp und klar messen. Mit dem so genannten Pupillomat, einem tragbaren Gerät, das mittels Infrarot-Technik den sich ständig ändernden Durchmesser der Pupille im Auge misst. Je „müder“ ein Lenker, umso heftiger fallen die Reaktionen zwischen Pupillenverengung und -erweiterung aus. Aus den gewonnenen Daten erstellt der Computer an Ort und Stelle ein Müdigkeitsprofil, das, so Prof. Walzl, „absolut präzise Werte darstellt“. Der untersuchte Fahrer muss dazu nichts anderes tun, als elf Minuten – so lange dauert die Aufzeichnung des Pupillenspiels – still zu sitzen und die schwach sichtbare Infrarotbeleuchtung zu fixieren.
Der Pupillomat wurde bereits in mehreren Untersuchungen getestet, nicht nur die jüngste Studie in Oberösterreich hat erschreckende Ergebnisse zutage gefördert. Prof. Walzl über den bislang fragwürdigsten „Rekordhalter“: „Das ist ein LKW-Fahrer, der mehr als 50 Stunden bei nur fünf Stunden Pause unterwegs gewesen war. Die pupillografische Messung konnte bei ihm gar nicht vorgenommen werden. Schon nach einer Minute war der Chauffeur ins Reich der Träume entschwunden. Bei unserer jüngsten Studie sind von den insgesamt 1.180 Teilnehmern 73 Personen während der Messung eingeschlafen, das sind 6,2 Prozent.“
Der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Erich Haider will den Pupillomat ähnlich wie den mittlerweile anerkannten Alkomat zur Promille-Bestimmung künftig als Kontrollinstrument in der heimischen Straßenverkehrsordnung verankert sehen. Damit will man die fatalen Folgen von Müdigkeit am Steuer vermeiden.
Prof. Walzl: „Extrem wichtig ist aber auch, die Bevölkerung über die Gefahren von Müdigkeit am Steuer wie auch am Arbeitsplatz aufzuklären. Ich arbeite gerade an entsprechenden Konzepten, um das Problem zu lösen.“

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Zehn Gebote gegen Müdigkeit am Steuer
Die besten Tipps von Univ. Prof. Dr. Manfred Walzl

1. Setzen Sie sich nur ausgeschlafen hinter das Steuer
Eine „Norm“ für den Schlafbedarf gibt es nicht. Doch nach wie vor gilt: Zwischen sieben und neun Stunden sollte man ruhen. Daher: Vor jeder größeren Reise mit dem Auto müssen mindestens drei Nächte mit ausreichendem Schlaf liegen.

2. Achten Sie im Auto auf Komfort
Der „Arbeitsplatz“ des Autofahrers muss stimmen. Die idealen Bedingungen sind: Richtige Sitzposition, lockere Kleidung, milde Wärme im Winter, mäßige Kühlung im Sommer.

3. Essen Sie richtig
Zu viel, zu schwer, zu fett – all das fördert die Müdigkeit. Ballaststoff-reiche, leicht verdauliche Kost – verteilt auf mehrere kleine Mahlzeiten – wirkt dagegen günstig und zwingt außerdem zu Pausen. Essen während der Fahrt lenkt ab.

4. Trinken Sie auch während der Fahrt regelmäßig
Die Wasserflasche muss ständiger Reisebegleiter sein. Über Schweiß und Atmung geht ununterbrochen Flüssigkeit verloren. Klimaanlagen verschlimmern das Problem. Da kann bei einer längeren Autofahrt schon viel zusammen kommen. Flüssigkeitsverlust führt zu Bluteindickung, das Gehirn wird zu wenig mit Sauerstoff versorgt – Müdigkeit ist die Folge. Schon zwei Prozent weniger Flüssigkeit im Kreislauf führen zu 20 Prozent weniger Konzentration!

5. Rauchen Sie nicht im Auto
Zigarettenrauch im Auto reduziert die Sauerstoffkonzentration, wodurch es zu Mangelerscheinungen in Form von Müdigkeit kommt.

6. Deuten Sie Ihre Müdigkeitszeichen
Jeder kennt sich selbst am besten. Auch was die Zeichen der Müdigkeit betrifft. Schwere Augenlider, Blinzeln, ständiges Wischen übers Gesicht usw. – da hilft nur eines: So rasch wie möglich Pause machen.

7. Halten Sie regelmäßige Pausen ein, machen Sie Bewegung
Auch wenn Sie sich noch gar nicht müde fühlen, sind regelmäßige Pausen ganz einfach Pflicht. Machen Sie kleine gymnastische Übungen, damit die Durchblutung wieder in Schwung kommt. Mehr Sauerstoff
im Körper verhindert vorzeitige Ermüdung.

8. Pflegen Sie den „Power-Nap“
Im 24-Stunden-Zyklus hat der Mensch zwei absolute Tiefpunkte: Zwischen ein und drei Uhr früh und zwischen 13 und 15 Uhr nachmittags. Wer zu diesen Zeiten unterwegs ist, muss sich 20 Minuten Schlafpause gönnen. Ausgedehnte Untersuchungen haben gezeigt, dass es nach dieser kurzen Schlafpause, dem so genannten „Power-Nap“, zu einem deutlichen Anstieg von Konzentration, Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit kommt.

9. Verlassen Sie sich nicht auf Kaffee und Energydrinks
Gegen Müdigkeit gibt es nur ein Mittel: Schlaf! Kaffee und Energydrinks wirken erstens verzögert und halten in der Wirkung nur kurz an. Ein Ersatz für Schlaf können sie nicht sein.

10. Seien Sie kritisch zu sich selbst
Nein, Sie haben sich nicht immer voll im Griff. Mit Willenskraft allein fahren Sie garantiert nicht sicherer. Essen und Trinken kann man über längere Zeiträume kontrollieren. Das Schlafbedürfnis jedoch nicht. Früher oder später holt sich der Körper ganz automatisch, was er braucht. Also: Selbstkritik, das Eingestehen der Müdigkeit, ist der beste Schutz vor fatalen Folgen.
     


            

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