Gehirn und Darm sind ständig miteinander in Kontakt: Sind wir gedanklich unter Druck, kann deswegen auch der Darm in Stress geraten. Wie sich das äußert und was hilft.
Von Mag.a Sabine Stehrer
Hierzulande misst der Mensch durchschnittlich 1,73 Meter. Bei dieser Körpergröße und gewöhnlichen Proportionen liegt etwa ein halber Meter zwischen dem Gehirn und dem Darm. Das ist nicht wenig, doch trotz dieser Distanz stehen die beiden Organe ständig in Kontakt. Sie kommunizieren miteinander über die sogenannte Darm-Hirn-Achse und nehmen so permanent am Zustand des jeweils anderen Organs teil. Das heißt: Geht es dem Gehirn und der Psyche gut, geht es meist auch dem Darm gut. Und ist mit unserem größten Verdauungsorgan alles in Ordnung, fühlen wir uns fast immer auch psychisch wohl.
Blähungen, Durchfall, Verstopfung
Nur gilt auch der Umkehrschluss, weiß Univ.-Prof. Dr. Herbert Tilg, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin I an der Medizinischen Universität Innsbruck. „Sendet das Gehirn bestimmte Signale an den Darm, die darauf hindeuten, dass wir zum Beispiel gedanklich unter Druck sind, gerät auch der Darm in Stress“, erklärt der Internist und Gastroenterologe und ergänzt: „Dadurch kann der Gesundheitszustand des Darms in Mitleidenschaft gezogen werden.“
Kommt es dazu, äußert sich das zunächst in verschiedenen Verdauungsproblemen wie Blähungen oder Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung bis hin zu einem Mix aus all dem. Halten der Stress und der dadurch bedingte negative Einfluss auf die Darmgesundheit wochen- und monatelang an, und besteht eine entsprechende erbliche Veranlagung, erhöht sich außerdem die Anfälligkeit für den Ausbruch von Darmerkrankungen. So kann es etwa zum Reizdarmsyndrom kommen oder zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Auch steigt das Risiko für das Wachstum von Darmtumoren.
Verselbstständigung der Verschlimmerung
Herbert Tilg: „Bestehen bereits chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, führen psychischer Druck und Stress meist zu einer schubartigen Verschlimmerung der typischen Beschwerden wie Durchfall, Schmerzen oder Blähungen.“ Leidet jemand am Reizdarmsyndrom, werden bei Stress die Symptome meist ebenfalls stärker, wie die Krämpfe, die Verstopfung oder der Durchfall.
Das Fatale bei einer Verschlimmerung von CED und Reizdarm: Dabei kommt es über die Darm-Hirn-Achse zu einer Signalüberflutung des Gehirns und so zu einer Verselbstständigung der Verschlimmerung, da sich über den dann noch größeren psychischen Stress über Signale vom Hirn an den Darm wiederum die Darmbeschwerden verstärken.
Stress ist freilich nicht die einzige psychische Belastung, die den Zustand des Darms ungünstig beeinflussen kann. Auch Ängste oder depressive Verstimmungen wirken sich oft negativ auf die Gesundheit des Verdauungsorgans aus, stellt Tilg bei der Behandlung seiner Patientinnen und Patienten immer wieder fest: „Ängstliche oder depressive Menschen leiden deutlich häufiger als andere an Verdauungsproblemen, vor allem an Verstopfung und davon hervorgerufenen Schmerzen“, sagt er und fügt an: „Das ist auch der Grund dafür, warum bei der Behandlung von wiederkehrenden Darmproblemen und Darmerkrankungen heute oft mehrere Therapien zum Einsatz kommen.“
Medikamente, Psychotherapie, Bauchhypnose
So wird die medikamentöse Therapie meist mit einer Psychotherapie und dem Erlernen von Entspannungstechniken oder auch von Hypnosetherapien gekoppelt. Unter den Hypnosetherapien hat sich laut Tilg die sogenannte Darmhypnose oder Bauchhypnose als besonders wirksam erwiesen. Wobei diese Hypnose eigentlich eine Meditation ist, die nach einer Unterweisung durch einen Psychologen in Eigenregie durchgeführt werden kann, dies eventuell mithilfe einer Anleitung von einer Audio-CD.
Regelmäßig durchgeführt, lässt sich damit vom Gehirn aus über die Distanz von dem halben Meter bis zum Darm beziehungsweise die Hirn-Darm-Achse nicht nur das eine oder andere Darmproblem lindern, sondern sogar der Verlauf von einigen Darmerkrankungen zum Guten wenden.
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„Kein Glasfaserkabel“
Wo die sogenannte Darm-Hirn-Achse ist und wie dieses Kommunikationssystem funktioniert, weiß Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Holzer, Neurogastroenterologe an der Medizinischen Universität Graz.
Herr Professor Holzer, wo ist die Darm-Hirn-Achse?
Die Darm-Hirn-Achse oder Hirn-Darm-Achse ist kein Element in Form eines Glasfaserkabels zwischen Darm und Hirn, wie sich das vielleicht viele so vorstellen, sondern ein System aus komplexen Kommunikationswegen, ein multiples Informationssystem. Dieses System besteht hauptsächlich aus dem Vagusnerv, dem Hauptnerv des parasympathischen Nervensystems, das als Teil des autonomen Nervensystems viele unwillkürliche Funktionen des Körpers steuert, und aus den Rückenmarksnerven.
Zum Informationssystem zwischen Darm und Hirn zählen aber außerdem noch die Darmhormone, die für die Steuerung der Darmaktivitäten zuständig sind und über das Blut ins Gehirn gelangen, wo sie Informationen deponieren. Auch das Immunsystem im Darm ist Teil der Darm-Hirn-Achse. Immunbotenstoffe wie Zytokine werden ebenfalls über das Blut ins Hirn transportiert, wo sie zur Wahrnehmung von Schmerzen beitragen können.
Von der Durchlässigkeit der Darmschleimhaut hängt ab, wie viele Informationen aus dem Darm ins Hirn gelangen, wobei die Durchlässigkeit der Schleimhaut und des Ökosystems Mikrobiom auf der Schleimhaut variiert. Sie ist zum Beispiel erhöht, wenn sich Stresshormone im Blut befinden, was in Tierversuchen bewiesen wurde. Im Tierversuch und in klinischen Studien wurde übrigens auch gezeigt, dass bestimmte Informationen vom Darm an das Hirn Einfluss auf mentale Prozesse haben, wie auf das Denken, das Gedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit und Emotionen.
Lässt sich daraus schließen, dass die Darm-Hirn-Achse Entscheidungen aus dem Bauchgefühl heraus möglich macht?
Ich denke, es ist schon das Gehirn, das die Entscheidungen trifft. Aber vermutlich würden gewisse Dinge anders entschieden werden, je nachdem, welche Informationen aus dem Darm kommen.
Wie kann umgekehrt das Hirn den Darmzustand beeinflussen?
Das funktioniert im Wesentlichen über das autonome Nervensystem und Neurohormone wie Adrenalin und Cortisol, die bei Stress aus der Nebenniere ins Blut freigesetzt werden.
Im Darm wird dadurch wie erwähnt die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut erhöht, was dazu führt, dass verschiedene Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien in unseren Körper eindringen, uns infizieren und erkranken lassen können. Aber natürlich kann das Gehirn oder die Psyche die Darmgesundheit auch positiv beeinflussen.
Indem Stress vermieden wird?
Alle seine Lebensbereiche so zu gestalten, dass Stress kein vorherrschender Zustand ist, ist zur Vorbeugung von Darmerkrankungen wohl sehr wichtig, aber auch von den meisten anderen Erkrankungen genauso wie zur Linderung von Krankheiten. Zudem sollte man auf eine gute, ausgewogene, am besten mediterrane Ernährung achten, und Bewegung tut dem Darm auch gut. Dass eine mediterrane Ernährung und ausreichend Bewegung mit ihrer positiven Wirkung auf die Darmgesundheit über die Darm-Hirn-Achse der Psyche guttun, haben Studien mit Jugendlichen mit depressiven Verstimmungen gezeigt, die in Australien und Spanien liefen. Die Jugendlichen waren nach einer Nahrungsumstellung mit einer Abkehr von Junk-Food und der Hinwendung zum Mediterranen, begleitet von mehr Bewegung, wesentlich besser gestimmt.
Gibt es noch andere Achsen im Körper?
Eine mit der Darm-Hirn-Achse vergleichbare gibt es wohl nicht. Aber der Darm ist nicht das einzige Organ, das Informationen an das Gehirn sendet. Das Hirn bekommt etwa auch vom Herz-Kreislauf-System oder vom Atmungssystem Informationen, die kognitive Leistungen und Emotionen beeinflussen. Dass wir nicht bewusst wahrnehmen können, welche Infos da dauernd auf das Gehirn einprasseln, ist gut. Wäre das nicht so, würden wir vermutlich wahnsinnig werden.
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Fragen & Antworten
Buchtipp
Knauer
Meine Darmgesundheitskur
Gesunder Darm – gesunder Körper
ISBN 978-3-99052-260-8
144 Seiten, € 21,90
Verlagshaus der Ärzte
Worin besteht die im Buch dargestellte Darmgesundheitskur?
Dr. in Alexandra Knauer
Meine Darmgesundheitskur ist ein Mix aus der milden Ableitungsdiät nach F.X. Mayr und der Ernährung nach den fünf Elementen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Die Kur kann von jedem zu Hause durchgeführt werden, im Buch finden sich viele dafür geeignete Rezepte und Tipps. Also dazu, wann und wie am besten gegessen wird, damit sich das Verdauungssystem erholt, auch dazu, wie eine wohltuende Darmmassage funktioniert und welche Nahrungsergänzungsmittel währenddessen empfehlenswert sind.
Wie lange dauert die Kur, und soll man sie wiederholt machen?
Sie dauert mindestens fünf Tage lang, wobei ich dazu rate, sich zwei Tage davor auf die Kur vorzubereiten, indem an diesen Tagen schon einmal auf Kaffee und schwarzen Tee, Alkohol und Zucker verzichtet wird. Man kann sie aber auch länger machen und immer dann machen, wenn man das Verdauungssystem hinunterfahren und sich innerlich reinigen möchte. Der TCM folgend sollte die Kur vier Mal im Jahr zum Wechsel der Jahreszeiten durchgeführt werden.
Welche Erfolge sind damit zu erzielen?
Ich selbst mache die Kur immer dann, wenn ich nach genussvollen Zeiten zwei, drei Kilos abnehmen will und meinem Verdauungssystem Gutes tun möchte. Hat man immer wieder einmal Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Verstopfung oder weichen Stuhl, wird man diese durch die Kur los. Über die Darm-Hirn-Achse erholt sich während der Kur außerdem das vegetative Nervensystem. Das führt dazu, dass man besser schläft, klarer denken und sich besser konzentrieren kann. Weil durch die Kur Entzündungsprozesse im Körper zurückgehen, kann sie bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen aller Art auch die Schmerzen lindern.
Für wen ist die Kur nicht geeignet?
Die Kur kann jeder machen, nur sollten sportliche und schlanke Menschen größere Portionen als im Buch angeführt essen. Kinder und Schwangere sollten auf die Nahrungsergänzungsmittel verzichten.
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Stress & Hämorrhoiden
Stress geht meist mit einer ungesunden Ernährungsweise einher und kann allein deswegen zu verschiedenen Verdauungsproblemen führen. Diese können aber auch durch Signale, die bei Stress vom Gehirn an den Darm gesandt werden, hervorgerufen werden.
Kommt es stressbedingt zu Verstopfung und in der Folge zu einem Pressen beim Stuhlgang, steigt wiederum das Risiko, ein Problem mit den Hämorrhoiden zu bekommen. Vergrößern sich die Gefäßpolster am After, ist das mit einem Druckgefühl, einem Jucken und Brennen sowie Blutungen verbunden.
Im Frühstadium einer Hämorrhoiden-Erkrankung können Tabletten, Salben und Zäpfchen hilfreich sein, gepaart mit einer ballaststoffreichen Kost, viel trinken und mehr Entspannung ins Leben bringen, später ist oft eine OP nötig.
Foto: (c) gettyimages_marilyna