Frühdiabetes
Um die Leibesmitte hat sich ein Schwimmreifen angesetzt; seit der letzten Turnstunde in der Schule hat man sich nicht wirklich zu regelmäßigem Sport aufraffen können; vor Jahren schon wurde bei einer Blutuntersuchung ein leicht erhöhter Cholesterinspiegel entdeckt; und der Blutdruck sei zu hoch, hat der Arzt erst unlängst wieder gesagt: ein ganz „normaler“ Österreicher, möchte man meinen. Schließlich sind hierzulande jeder zweite Mann und jede dritte Frau übergewichtig. Nicht einmal ein Drittel betreibt zumindest einmal pro Woche Sport. Bei rund der Hälfte ist nach Schätzungen der Cholesterinspiegel aus dem Lot, rund 30 Prozent haben einen zu hohen Blutdruck. Bis zu 35 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher, so befürchten Experten, weisen auch noch auffällige Blutzuckerwerte auf: Sie haben Frühdiabetes, medizinisch Prädiabetes genannt – meist ohne es zu wissen.
Mehr als eine Vorstufe
Auch wenn die Betroffenen nichts davon spüren und der Name suggeriert, dass es sich dabei noch nicht um eine „richtige“ Krankheit handelt: Selbst in diesem Stadium drohen bereits gesundheitliche Probleme. „Wir wissen heute, dass auch Frühdiabetes schon Nieren und Nerven schädigen kann“, berichtet Univ. Prof. Dr. Thomas Stulnig, Internist und Stoffwechselexperte an der Universitätsklinik für Innere Medizin III am Wiener AKH, über aktuelle Erkenntnisse. Schließlich ist der Zucker-Stoffwechsel bereits gestört, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie bei einer voll entwickelten Zuckerkrankheit.
Noch nicht, denn Prädiabetes ebnet in den meisten Fällen den Weg zu Diabetes, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird: „Pro Jahr entwickeln bis zu zehn Prozent der Personen mit Prädiabetes einen manifesten Diabetes, langfristig sind es 70 Prozent und mehr“, kennt Spezialist Stulnig die alarmierenden Zahlen. Was ein Leben mit Diabetes Typ II bedeutet, bekommt inzwischen bereits jeder 13. Österreicher am eigenen Leib zu spüren: Blutzuckermessen, Medikamente einnehmen, Insulin spritzen und regelmäßige Kontrollbesuche beim Arzt, um zu verhindern, dass durch die Entgleisungen im Stoffwechsel Spätfolgen wie Augen-, Gefäß-, Nerven- oder Nierenschäden entstehen.
Ein Nadelstich genügt
Die Chancen, von diesem Schicksal verschont zu bleiben, stehen außerordentlich gut: „Wie bei Krebserkrankungen ist auch bei Diabetes Früherkennung der Schlüssel zum Erfolg“, betont Thomas Stulnig, der deshalb mit dem „Österreichischen Akademischen Institut für Ernährungsmedizin“ eine Informationskampagne ins Leben gerufen hat (siehe Webtipp). Wie Studien zeigen, kann Frühdiabetes durch entsprechende Maßnahmen völlig rückgängig gemacht werden: Allein durch Veränderungen im Lebensstil könnten 60 Prozent der Diabetes-Erkrankungen abgewendet werden.
Grundvoraussetzung dafür ist freilich, dass der Prädiabetes rechtzeitig erkannt wird. Für die Diagnose genügen Bluttests per Fingernadelstich, die man beim Hausarzt oder Internisten durchführen lässt. Letzte Zweifel können bei einem sogenannten Zuckerbelastungstest in einem Labor ausgeräumt werden: Dabei wird der Blutzuckerspiegel bevor und zwei Stunden, nachdem man eine definierte Traubenzuckerlösung getrunken hat, gemessen.
Es braucht nicht viel
Weisen die Ergebnisse auf Prädiabetes hin, lässt sich das Ruder gut herumreißen: „Es braucht weniger als man denkt, um gesund zu bleiben“, betont Thomas Stulnig. Wie wenig, das konnte eine finnische Studie im Jahr 2011 zeigen. Aus ihren Ergebnissen haben die Forscher fünf Lebensstilmaßnahmen formuliert:
- Gewichtsverlust um zirka fünf Prozent: Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Eine 1,70 Meter große und 80 Kilogramm schwere Person mit einem BMI über 27 und damit Übergewicht kann schon mit einer Gewichtsabnahme von vier Kilo Diabetesvorsorge betreiben.
- Verminderung des Fettanteils in der Ernährung auf weniger als 30 Prozent: Der durchschnittliche Österreicher bringt es auf einen knapp 40-prozentigen Fettanteil in der Ernährung; die empfohlene Reduktion um zehn Prozent bedeutet also keineswegs kompletten Verzicht.
- Reduktion der gesättigten Fettsäuren auf unter zehn Prozent: Wenn man weniger Fleisch und Fertigprodukte und mehr Fisch, Gemüse sowie hochwertige Fette (Rapsöl, Olivenöl) zu sich nimmt, ist man schnell auf der sicheren Seite.
- Erhöhung der Ballaststoffzufuhr auf mehr als 15 Gramm pro Tag: Mit mehr Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten und Gemüse auf dem Speiseplan kann man die empfohlene Menge gut erreichen.
- Steigerung der körperlichen Aktivität auf vier Stunden pro Woche: Dazu zählt nicht nur regelmäßiges Ausdauer- und Krafttraining, sondern auch Bewegung im Alltag: Stiegen steigen statt den Lift zu benützen, eine Station zu Fuß gehen statt mit der U-Bahn zu fahren.
Werden mindestens vier dieser fünf Ziele erreicht, so die Studie, kann verhindert werden, dass aus Prädiabetes Diabetes wird. Wer es schafft, mit Korrekturen im Lebensstil seine Blutzuckerwerte zu normalisieren, darf aber nicht nur damit rechnen, mit hoher Wahrscheinlichkeit der Zuckerkrankheit zu entkommen. Auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall sinkt mit diesen Veränderungen deutlich. Was man nicht darf: Angesichts der Erfolge zu alten Gewohnheiten zurückkehren und wieder Speck ansetzen: „Mit jedem Kilo zu viel steigt das Risiko für Prädiabetes und damit Diabetes erneut an“, unterstreicht Stulnig.
**********************
Habe ich das auch?
Wer übergewichtig ist (Body-Mass-Index über 25) und zumindest eines der folgenden Risiken aufweist, sollte sich beim Hausarzt oder bei einem Internisten auf Frühdiabetes testen lassen:
- Fettansammlung am Bauch
- Weniger als zweieinhalb Stunden körperliche Bewegung pro Woche
- Erhöhte Blutzuckerwerte, die schon einmal festgestellt wurden
- Abnormale Blutfettwerte (auch wenn sie medikamentös behandelt werden)
- Bluthochdruck (auch wenn man ein Medikament dagegen nimmt)
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall, Durchblutungsstörungen, Stent) in der Familie
- Früherer Schwangerschaftsdiabetes oder Geburt eines Kindes mit über 4,5 Kilogramm Gewicht
- Verwandte, die Diabetes („Alterszucker“) haben
*******************************
Was sagt mein Bluttest?
Einfache Bluttests genügen, um Frühdiabetes zu entdecken. Achtung: Für die Blutzuckerbestimmung und den Belastungstest muss man nüchtern sein, darf also acht Stunden davor weder gegessen noch etwas anderes als Wasser oder ungezuckerten Tee getrunken haben. HbA1c kann hingegen jederzeit im Blut bestimmt werden.
Normal Frühdiabetes Diabetes
Blutzucker, nüchtern (mg/dl) ≤ 99 100–125 ≥ 126
HbA1c (%) (Langzeit-Blutzucker) ≤ 5,6 5,7–6,4 ≥ 6,5
Blutzucker, 2 Stunden nach Zuckerbelastung ≤ 139 140–199 ≥ 200
- Liegen alle Ihre Werte im Normalbereich?
Wiederholen Sie den Test in spätestens drei Jahren! - Mindestens ein Wert liegt in der Diabetes-Spalte?
Wenden Sie sich so bald wie möglich an Ihre Ärztin, Ihren Arzt! - Mindestens ein Wert weist auf Frühdiabetes hin?
Verhindern Sie jetzt, dass Sie Diabetes bekommen! „Mit vernünftiger Ernährung und ausreichend Bewegung können Sie Ihr Diabetes-Risiko um mehr als die Hälfte reduzieren!“ macht Diabetes-Experte Univ. Prof. Dr. Thomas Stulnig Mut zur Veränderung.
Webtipp
Das „Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin“ informiert in seiner aktuellen Kampagne über die Möglichkeiten, Frühdiabetes zu erkennen und Diabetes zu verhindern. Mehr dazu unter www.diabetes-verhindern.at
Stand 04/2015
Weitere Artikel aus dem Themenbereich
Zu viel Zucker?Cholesterin natürlich senkenZu viel ZuckerBlutdruck, Blutfette, BlutzuckerLeben mit DiabetesDiabetes