Über Geschmack lässt sich nicht streiten

Mai 2010 | Ernährung & Genuss

Das prägt unsere Vorlieben & Abneigungen
 
Die einen kann man mit Sellerie jagen, die anderen sind ganz wild darauf. Die einen hassen Rosinen, die anderen picken sich gerade sie aus dem Kuchen heraus. Eine Ernährungsexpertin erklärt, warum die Geschmäcker verschieden sind.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Dagmar S. hat eine spezielle Esstechnik entwickelt, um beim Verzehr von Guglhupf, Apfel- oder Topfenstrudel bloß nicht in eine Rosine zu beißen – und so dem ihr unerträglichen Geschmack zu entgehen. Die kleine Johanna wiederum knabbert liebend gern Rosinen, hat aber eine ausgemachte Topfenaversion: Aus einem Topfenobstknödel löffelt sie ausschließlich die Obstfülle – akribisch darauf bedacht, nicht das kleinste Teigstückchen zu erwischen.
Mehr oder weniger ausgeprägte kulinarische Vorlieben bzw. Aversionen hat wohl jeder – aus verschiedenen Gründen.

Angeborene Präferenzen

Bereits vor der Geburt werden unsere persönlichen Geschmacksvorlieben geprägt. „Sie entwickeln sich im Mutterleib, wenn der Fötus mit der Nahrung der Mutter in Kontakt kommt“, berichtet die Wiener Ernährungswissenschafterin Dr. Eva Derndorfer. Dies bestätigt eine amerikanische Studie, bei der eine Gruppe werdender Mütter Karottensaft, eine Kontrollgruppe nur Wasser trank. Im Beikostalter fütterte man die Kinder mit Getreidebrei, dem man Wasser bzw. Karottensaft beimengte. Das Ergebnis: Jene Babys, deren Mütter in der Schwangerschaft Karottensaft getrunken hatten, reagierten positiver auf den Karottensaft als jene, deren Mütter Wasser getrunken hatten.
Neben den individuellen gibt es angeborene Geschmackspräferenzen, die bei allen Neugeborenen gleich sind. „Zum Zeitpunkt der Geburt mögen alle Babys die Grundgeschmacksrichtungen Süß und Umami“, weiß die Ernährungswissenschafterin. Umami kennzeichnet den herzhaften Geschmack eiweißreicher Lebensmittel wie Käse, Soja, Milch, Fleisch, Fisch, Tomaten. „Diese Vorlieben der Neugeborenen haben entwicklungsgeschichtlich Sinn, weil sie dem Geschmack der Muttermilch entsprechen. Süß gilt außerdem als eine Art Sicherheitsgeschmack, weil es kaum süße Lebensmittel gibt, die giftig sind.“ Bitter bzw. sauer hingegen wird von Neugeborenen abgelehnt. Dies lässt sich evolutionsbedingt damit erklären, dass es in der Natur viele Pflanzen gibt, die bitter schmecken und giftig sind. „Sauer wiederum ist oft ein Zeichen dafür, dass ein Lebensmittel verdorben oder noch nicht reif ist“, ergänzt Derndorfer.

Verschiedene Einflüsse

Die kleinkindlichen Vorlieben verändern sich im Lauf der Zeit – abhängig von vielen Einflüssen wie Werbebotschaften oder dem verfügbaren Angebot. „Bei Kindern spielt auch die Vorbildwirkung von Erwachsenen oder Gleichaltrigen eine wichtige Rolle“, berichtet Eva Derndorfer. „Studien zeigen, dass etwa der Gemüsekonsum stark mit dem der Eltern zusammenhängt. Wenn die Eltern keinen Spinat mögen, kaufen sie ihn nicht – und das Kind lernt dieses Gemüse nicht kennen und mögen.“ Gemeinhin als gesund geltende Lebensmittel sind zudem oft emotional befrachtet. Aussagen wie „Iss den Salat, dann bekommst du etwas Süßes“, machen Süßigkeiten interessant, während das Gemüse eher widerwillig verzehrt wird. Solche „Gebote“ sind auch ein möglicher Grund, weshalb bestimmte Lebensmittel – wie z. B. Sellerie – polarisieren: Die einen lieben, die anderen hassen sie geradezu.
Hinter so mancher Abneigung stecke aber nicht bloß eine sensorische Aversion, sondern Ekel, weiß die Ernährungsexpertin. Ekel zu empfinden ist angeboren, wovor uns ekelt, ist hingegen erlernt. „Es kann sein, dass in einer Familie die Ekelempfindung gegenüber Innereien weitergegeben wird, während man in einer anderen Familie Innereien gern isst.“

Frage der Gewohnheit

Weiters beeinflusst die Gewohnheit unseren Geschmack. „Die persönlichen Vorlieben hängen auch davon ab, was man regelmäßig isst“, sagt Eva Derndorfer. „Und man gewöhnt sich an die geschmackliche Intensität, die man zum Beispiel durch Würzen mit Salz erreicht oder durch den häufigen Verzehr von grundsätzlich stärker gewürzten Fertiggerichten.“  
Die Macht der Gewohnheit konnte man auch in verschiedenen Studien nachweisen: Nach acht bis zehn Verkostungen begannen Probanden sogar ein Produkt, das ihnen beim ersten Mal nicht schmeckte, zu mögen. „Öfter Gegessenes hat demnach eine positivere Bedeutung“, erklärt die Expertin. Würde man allerdings stets die gleiche, bewährte Kost verzehren, hätte dies eine recht einseitige Ernährung zur Folge. „Aus diesem Grund gibt es zum Gewohnheitseffekt einen körpereigenen Gegenspieler – die sogenannte spezifisch-sensorische Sättigung“, so Derndorfer. „Sie bewirkt, dass nach dem Konsum eines bestimmten Produkts – sei es Hendlfleisch oder eine Banane – kurzfristig die Lust auf den gerade erlebten Geschmacks- oder Geruchseindruck sinkt.“ Dieser Effekt ist bei Kindern noch nicht ausgeprägt. Das erklärt, weshalb der Nachwuchs sich problemlos tagelang ausschließlich von Spaghetti, Palatschinken oder Nudelsuppe ernähren könnte.

Süß oder pikant

Nicht nur bei bestimmten Speisen, auch bei den Grundgeschmacksrichtungen gehen die Vorlieben auseinander: Die eine ist „eine Süße“ und könnte von Mehlspeisen & Co leben, der andere liebt es „herzhaft“ und verspeist schon zum Frühstück eine deftige Leberkässemmel. „Gerade die Frühstücksauswahl – ob man zu Müsli, Käse- oder Honigbrot greift – hat wahrscheinlich mit Gewohnheit zu tun“, sagt die Fachfrau. Außerdem bestimmen die Gene unsere Vorlieben sowie die Intensität, mit der wir Geschmacksrichtung, Textur oder Schärfe wahrnehmen.
Ob stark oder weniger stark ausgeprägt: Im Alter flacht das Geschmacksempfinden generell ab – der Sinn für Süß bleibt noch am besten erhalten. „Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum alte Leute so gern Süßes essen.“ Bei kleinen Kindern ist es übrigens genau umgekehrt: „Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder im Kindergartenalter beim süßen Geschmack weniger empfindlich sind als ältere Kinder oder Erwachsene“, so Derndorfer. Den kleineren Kindern ist also nicht so schnell etwas „zu süß“ wie den größeren.

Schulung der Sinne

Wie intensiv man Speisen schmeckt, ist nicht zuletzt eine Frage des Bewusstseins: „Studien konnten belegen, dass man durch gesteigerte Aufmerksamkeit sensibler wird und die verschiedenen Geschmacksrichtungen intensiver wahrnimmt“, berichtet Eva Derndorfer. Durch die spielerische Schulung ihrer Sinne könnten speziell Kinder im Kindergartenalter auch die Scheu, neue Produkte zu probieren, überwinden. Aktuellen Untersuchungen zufolge sollte aber auch der Geschmacksinn älterer Kinder geschärft werden: Im Rahmen einer Studie von AMA-Marketing fand man heraus, dass drei Viertel der 10- bis 13-Jährigen nicht zwischen Süß, Sauer, Salzig und Bitter unterscheiden können. Das bewusste Verkosten, Riechen, Schmecken von verschiedenen Obst- oder Gemüsesorten könnte einiges zum „besseren Geschmack“ der Sprösslinge beitragen.

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Was wir schmecken

Die verschiedenen Geschmackspapillen auf der Zunge lassen uns die Geschmacksrichtungen Süß, Sauer, Bitter, Salzig und Umami unterscheiden. Neben dem Grundgeschmack beeinflussen Konsistenz, Temperatur und vor allem der Geruch der Nahrung das Geschmackserlebnis. „Wenn ich in eine Erdbeere beiße, kann ich geschmacklich nur unterscheiden, ob sie süß oder sauer ist. Das Erdbeeraroma selbst rieche ich“, erklärt die Ernährungswissenschafterin Dr. Eva Derndorfer. „Beim Kauen steigen nämlich die Aromastoffe über den Rachenraum in die Riechschleimhaut der Nase auf.“

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Wenn man gar nichts schmeckt

Von einer echten Schmeck- oder Riechstörung sind nur wenige Menschen betroffen. Doch schon ein banaler Schnupfen kann unseren Geschmacks- und Geruchsinn empfindlich stören. Weitere mögliche Ursachen: übermäßiger Tabakkonsum, zu scharfe Speisen, einseitige Ernährung.
„Oft führt auch ein Unfall – es genügt schon ein leichter Sturz auf den Kopf – dazu, dass man eine Zeitlang nichts schmeckt oder riecht“, berichtet Dr. Joachim Huber, Internist und Kardiologe in Wien. „Eine sehr häufige Ursache ist außerdem ein schlechter Zahnstatus, beispielsweise aufgrund von Karies. Auch eine bakterielle Mundschleimhautentzündung, chronisch eitrige Mandeln oder virale Erkrankungen wie Herpes zoster kommen als Ursachen in Frage.“ Weiters könne die Hormonumstellung in der Pubertät oder im Wechsel den Geschmackssinn vorübergehend beeinträchtigen. „Viel seltener führen Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder Erkrankungen im blutbildenden System wie eine Eisenmangelanämie zu dem Symptom.“

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