Vergiftet, verseucht, verstrahlt:

Mai 2011 | Ernährung & Genuss

Wie sicher ist unser Essen?
 
Dioxin, Listerien, Salmonellen & Co und jetzt auch noch radioaktive Verstrahlung? Es herrscht Unsicherheit im Land: Sind unsere Lebensmittel noch sicher und gesund? Wie wird in Österreich kontrolliert?
MEDIZIN populär hat beim Lokalaugenschein den Lebensmittelprüfern auf die Finger geschaut und einen Strahlenschutzexperten zu aktuellen Gefahren befragt.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Ein XL-Kühlschrank, eine extra breite Arbeitsfläche aus Stahl, darauf einige Tabletts mit Bechern voller Mayonnaisesalaten: Man könnte meinen, in einer Großküche zu sein. Doch hier, im Labor der AGES, der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit in Wien, wird nicht gekocht, sondern genauestens untersucht, was der Lebensmittelhandel und die Gastronomie zum Verkauf anbieten.
„Die Messungen auf eine radioaktive Verstrahlung von Produkten sind eine Routineangelegenheit“, nimmt DI Dr. Rochus Nepf, Bereichsleiter der Lebensmitteluntersuchung, die Antwort auf die aktuell wohl brennendste Frage zu Lebensmittelprüfungen vorweg. „Sie werden seit Tschernobyl, also seit 25 Jahren, EU-weit und auch in Österreich durchgeführt.“ Bei Produkten aus Japan kommt das Messgerät seit Fukushima bereits bei der Einfuhr nach Österreich zum Einsatz. „Bisher“, so Nepf, „sind die diesbezüglichen Kontrollen aber alle ergebnislos verlaufen.“ (siehe auch Interview unten)
Viele andere Gefahren sind es, die die Lebensmittelprüfer sowieso ständig im Visier haben. Nepf: „Alles, was wir hereinbekommen, wird auf Schadstoffe wie Schwermetalle und Dioxin, Krankheitserreger wie Salmonellen und Listerien, Allergien auslösende Substanzen, Transfette sowie auf Teile geprüft, an denen man sich beim Essen verletzen kann.“ Zudem wird kontrolliert, ob in Verpackungen drin ist, was drauf steht, also ob die Angaben zu Inhaltsstoffen und Füllmenge bzw. Gewicht mit den Gegebenheiten übereinstimmen.

Schauen, riechen, kosten

Beim MEDIZIN populär-Lokalaugenschein im AGES-Labor sind gerade Mayonnaisesalate an der Reihe. Eine der Fachbearbeiterinnen ist Isabella Haller. Sie erklärt und zeigt am Beispiel eines Salats vor, was sie täglich macht. „Erst schaue ich, ob ein Produkt von der Farbe her in Ordnung ist, dann rieche ich daran und koste auch manchmal davon, um festzustellen, ob es frisch oder möglicherweise schon verdorben ist“, sagt sie. Anschließend wiegt sie die Produkte ab. Gegebenenfalls wird noch im Labor die Zusammensetzung analysiert. Am Ende des Verfahrens geben die Lebensmittelprüfer die ermittelten Daten in den Computer ein, um die Ergebnisse festzuhalten. Haller: „Bis jetzt war bei mir heute alles in Ordnung.“
Was aber, wenn sich herausstellt, dass etwas nicht in Ordnung ist? Wenn sich in einem der AGES-Labors in Wien  Graz, Linz oder Salzburg zeigt, dass der Konsum eines getesteten Lebensmittels die Gesundheit in irgendeiner Art und Weise gefährden könnte? Lebensmittel-Bereichsleiter Nepf: „Dann werden das europäische Schnellwarnsystem der EU, das Gesundheitsministerium und der Betrieb informiert, der das beanstandete Produkt angeboten hat.“ Letzterer, der Anbieter, ist verpflichtet, über die Medien die Öffentlichkeit zu warnen und die Lieferung, aus der das Produkt stammt, aus den Regalen zu nehmen.

Prüfen nach Plan

„Produktrückruf Käsetaler und Paprikataler der Firma…“ lautet z. B. so eine Warnung, die kürzlich mit folgendem Grund ausgegeben wurde: „Im Produkt wurden erhöhte Werte von Schimmelpilzgift nachgewiesen.“
Vor Schlimmerem ist Österreich zuletzt verschont geblieben. Wie z. B. vor Listerien, die 2010 in steirischem Quargel gefunden wurden und erst jüngst wieder in belgischem Käse. Listerien sind Bakterien, die Fieber, Übelkeit, Durchfall und Erbrechen hervorrufen können, was für geschwächte Personen und kleine Kinder gefährlich werden kann. Der Käse war hierzulande gar nicht erhältlich, genauso wenig wie die deutschen Hühnereier, die mit Dioxin belastet waren. Nepf: „Wir wissen, dass die Qualität der österreichischen Lebensmittel insgesamt gut ist, denn von den mehr als 30.000 Proben, die jedes Jahr bundesweit bei den Anbietern gezogen werden, wird weniger als ein Prozent beanstandet.“ Eine Gefahr, die viele unterschätzen: Das Gros der Lebensmittelvergiftungen geht, so Nepf, auf die unsachgemäße Aufbewahrung oder Zubereitung zuhause zurück (siehe Unterschätzt: Gefahrenzone Küche ganz unten).
Die zu prüfenden Proben werden übrigens nur selten aufgrund eines schlimmen Anlasses gezogen, wie jüngst nach der Katastrophe von Fukushima. Meist wird nach einem lang im Vorhinein ausgearbeiteten Plan gearbeitet – wobei die Prüfer unangemeldet zu den Anbietern kommen und sich dort Lebensmittel, wie z. B. Mayonnaisesalat, zwecks Kontrolle aushändigen lassen.

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„In Österreich wird lückenlos kontrolliert“             

Interview   

MEDIZIN populär fragte den Strahlenschutzexperten des Gesundheitsministeriums Mag. Manfred Ditto, ob man sich in Österreich vor verstrahlten Lebensmitteln fürchten muss.

MEDIZIN populär
Herr Mag. Ditto, was droht den Menschen in und um Fukushima? Wird es ihnen auch so gehen wie jenen aus der Gegend um Tschernobyl, die auch 25 Jahre nach der Katastrophe kein Gemüse aus dem eigenen Garten essen sollten?

Mag. Manfred Ditto
Zwar wurde die Katastrophe von Fukushima mittlerweile mit der höchsten Stufe einer internationalen Unfallskala bewertet und damit gleich eingestuft wie jene in Tschernobyl. Aber ob Fukushima so schlimme Folgen haben wird wie Tschernobyl, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Ich denke aber, die japanischen Behörden agieren weit umsichtiger als die Behörden der damaligen Sowjetunion. In Japan hat man ja zum Beispiel sofort nach der Katastrophe ein Vermarktungsverbot für Lebensmittel aus der kontaminierten Gegend erlassen und durch laufende, engmaschige Kontrollen von Lebensmitteln und Trinkwasser das gesundheitliche Risiko gering gehalten.

Der Wind hat eine radioaktive Wolke von Fukushima hinaus auf das Meer vor Japan getrieben. Man hat bereits radioaktiv verstrahlte Fische entdeckt, dort wo auch internationale Betriebe fischen. Ist es denkbar, dass verstrahlter Fisch irgendwo anders auf der Welt, zum Beispiel auch bei uns auf den Tisch kommt?

Die Radioaktivität wird aus der Wolke ins Meer ausgewaschen. Dort werden die radioaktiven Stoffe durch die großen Wassermengen jedoch so stark verdünnt, dass sie praktisch ungefährlich werden. Das haben erste Messungen abseits der Küstenregionen inzwischen auch ergeben. Und bevor Fisch oder andere Lebensmittel von Japan in die EU oder nach Österreich exportiert werden, sind viele Hürden zu überwinden. Schon in Japan müssen Lebensmittel auf Radioaktivität geprüft werden und dürfen nur mit einem Messzeugnis das Land verlassen, das Unbedenklichkeit garantiert. An den Grenzen zur EU werden dann zehn bis 20 Prozent aller Produkte noch einmal geprüft. Und an den Grenzen zu Österreich sind die Kontrollen sogar lückenlos: Hier werden 100 Prozent aller Importprodukte aus Japan auf Radioaktivität überprüft.

Wurde schon etwas Verstrahltes gefunden?

Nein, aber wir hatten seit Fukushima auch nur vier Lieferungen aus Japan, darunter zwei mit grünem Tee, eine mit Nahrungsergänzungsmitteln aus Reiskleie und eine mit Badezusatz. Davon war nichts radioaktiv belastet. Seit dem 23. März werden in Österreich aber Spuren von radioaktiven Stoffen aus Fukushima in der Luft nachgewiesen. Wegen der äußerst geringen Mengen besteht aber auch darin keine Gefahr für die Bevölkerung.

Im April gab es eine Verwirrung um die Grenzwerte: Die wurden von der EU plötzlich hinaufgesetzt, man hat also einen höheren Gehalt an Strontium, Jod, Plutonium und Cäsium in Lebensmitteln zugelassen. Warum?

Die Grenzwerte wurden nicht erhöht, sondern es hat für Japan-Importe keine gegeben. Bis dahin gab es nur eine Grenzwert-Regelung in einer EU-Verordnung für Importe aus Staaten, die vom Tschernobyl-Unfall betroffen waren. Diese Regelung hat aber nicht alle in Fukushima freigesetzten Radionuklide erfasst. Also hat man für die Japan-Import-Verordnung auf eine andere EU-Regelung zurückgegriffen, in der aber bestimmte Grenzwerte höher angesetzt waren als in der Tschernobyl-Verordnung. Das hat dann für Irritationen gesorgt, weshalb die Grenzwerte schließlich in einer neuen Verordnung für die Japan-Importe gesenkt wurden.

Als Konsument bekommt man hier den Eindruck, dass mit Grenzwerten so jongliert wird, wie man es gerade braucht…

Grenzwerte stellen grundsätzlich keine scharfe Trennung zwischen gefährlich und völlig unbedenklich dar. Bei ihrer Festlegung sind viele Faktoren zu berücksichtigen, insbesondere die Konsummengen der belasteten Lebensmittel und die voraussichtliche Dauer der Belastung. Wesentlich ist jedoch auch, dass die Grenzwerte für die Bevölkerung nachvollziehbar sind, und dass das Vertrauen in gesunde Lebensmittel erhalten bleibt.

Werden auch Elektronikteile, Handys oder Autos kontrolliert, die aus Japan nach Österreich kommen? Kürzlich geriet man ja in einer Brillenfirma in Aufregung, weil ein Paket mit Zubehör aus Japan ankam.

Zwar sind bei Produkten aus den betroffenen Regionen Japans geringe Kontaminationen mit radioaktiven Stoffen nicht völlig auszuschließen, eine Gefährdung der Gesundheit dadurch aber praktisch schon. Eine Kontrolle von Autos, Handys etc. erscheint nach derzeitiger Lage nicht erforderlich. Die weitere Entwicklung wird aber ständig beobachtet, und bei Bedarf werden sicher Kontrollen stattfinden.

Was würde denn mit Gegenständen oder Lebensmitteln aus Japan geschehen, die in Österreich gelandet und verstrahlt sind?

Lebensmittel werden zurückgeschickt oder fachgerecht entsorgt. Gering kontaminierte Gegenstände können gereinigt oder ebenfalls zurückgeschickt werden. Für den äußerst unwahrscheinlichen Fall einer höheren Kontamination können die betroffenen Produkte nach Seibersdorf zur fachgerechten Entsorgung und Lagerung gebracht werden.

Gibt es in Österreich noch verstrahlte Lebensmittel, die auf die Katastrophe von Tschernobyl zurückgehen?

Bei manchen Wildpilzen, aber auch bei Wildfleisch kann auch heute noch hier bei uns der Radiocäsium-Gehalt über dem Grenzwert liegen. Doch auch davon ist niemand wirklich gefährdet, weil praktisch niemand gefährlich große Mengen an Wildfleisch oder Wildpilzen isst.

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Unterschätzt: Gefahrenzone Küche

Skandale um Lebensmittel, die Schadstoffe oder Krankheitserreger enthalten, sorgen zwar für viel Aufsehen. Doch die weit größere Gefahr lauert dort, wo sie viele nicht vermuten: in der eigenen Küche. Denn sind die Lebensmittel einmal gekauft, entscheidet der Umgang damit ebenfalls über mögliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Nach Schätzungen von Experten geht der Großteil der Lebensmittelvergiftungen auf unsachgemäße Aufbewahrung, die Zubereitung der Produkte oder einen Mangel an Sauberkeit in der Küche zurück. Die größten Fallen sind schlecht gereinigte Kühlschränke, schmutzige Abwaschutensilien wie Bürsten oder Lappen bzw. Schneidbretter.

Webtipps:
Die Produktwarnungen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) kann man per E-Mail erhalten.
Anmeldung unter www.ages.at/ages/ernaehrungssicherheit/produktwarnsystem/produktwarnungen/

Auf www.bmg.gv.at informiert das Gesundheitsministerium über aktuelle Messergebnisse von Produkten aus Japan auf Radioaktivität.

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