Empfindliche Zähne?
Man erkennt sie am „Aua“, das ihnen plötzlich entfleucht, wenn sie etwa in einen sauren Apfel beißen, an der Hand, die lindernd vor den Mund gelegt wird, und am schmerzverzerrten Gesicht: Menschen mit empfindlichen Zähnen. Und davon gibt es viele. „Sehr viele sogar“, weiß Univ. Prof. DDr. Eva Piehslinger, Leiterin des Kompetenzzentrums für Prothetik an der Universitätszahnklinik in Wien. Experten vermuten, dass jeder Zweite irgendwann im Leben von Dentinhypersensibilität, so der medizinische Fachausdruck, betroffen ist: Ältere wie Jüngere, Frauen wie Männer.
Die blitzartigen, stechenden Schmerzen schießen den Betroffenen freilich nicht nur beim Biss in saure Lebensmittel wie Äpfel, Essiggurken oder Zitronen ein. Auch wenn die Zähne auf Süßes treffen, auf heiße Suppe, heißen Tee, hartes Brot oder Mineralwasser aus dem Kühlschrank, kann es wehtun. Im Extremfall tritt die Pein sogar schon dann auf, wenn nur ein kalter Luftzug das Gebiss umweht. Piehslinger: „Der Schmerz hält aber höchstens ein paar Sekunden lang an und verschwindet anschließend genauso blitzartig, wie er gekommen ist.“ Vielfach tritt er auch nicht bei jedem Kontakt mit Kaltem, Heißem, Süßem, Saurem oder Hartem auf, sondern nur hin und wieder.
Alterungsprozess im Mund
Eine der häufigen Ursachen für die Qual ist schlicht der Alterungsprozess des Menschen, der sich im Mund unter anderem durch Zahnfleischschwund bemerkbar macht. „Es ist ganz natürlich, dass das Zahnfleisch mit den Jahren zurückgeht“, so Piehslinger. Wann der altersbedingte Schwund beginnt, ist unterschiedlich, die einen trifft es früher, die anderen später. „Wenn es so weit ist, liegen die Zahnhälse frei, und die sind nicht vom harten Schmelz geschützt, sondern nur vom Zahnbein, dem sogenannten Dentin“, erklärt Piehslinger und ergänzt: „Durch die vergleichsweise weiche und dünne Dentin-Schicht hindurch werden die Reize von den Zahnnerven als Schmerz registriert.“ So führt Süßes oder Saures, Heißes oder Kaltes auf einmal zum „Aua“.
Entzündungen, Parodontitis
Den Weg dahin bereitet aber nicht nur das Alter. Zu Zahnfleischschwund, freiliegenden Zahnhälsen und empfindlichen Zähnen führen oft auch Zahnfleischerkrankungen, und die kann man auch in jüngeren Jahren bekommen. „Oft geht das Zahnfleisch schon in Folge von Zahnfleischentzündungen zurück, die durch Bakterien verursacht wird“, verdeutlicht die Expertin das Problem. Noch gefährlicher wird es, wenn sich aus der Entzündung eine sogenannte Parodontitis entwickelt, bei der sich Zahnfleischtaschen bilden und nach einiger Zeit auch der Kieferknochen angegriffen wird. Baut sich der Knochen aufgrund der Entzündung ab, schwindet das Zahnfleisch mit ihm um ein weiteres Stück. So wird die Angriffsfläche für die Reize noch einmal größer und die Schmerzen verstärken sich, treten häufiger auf oder betreffen gleich mehrere Zähne.
Karies, Zähneknirschen, Schieflagen
Abgesehen von Erkrankungen des Zahnfleischs kann auch eine Zahnerkrankung zu der Reizbarkeit im Mund führen: Karies, die sich zunächst durch bräunliche Verfärbungen des Zahnschmelzes bemerkbar macht. Übeltäter sind – so wie bei Parodontitis und Zahnfleischentzündungen – Bakterien. „Bleibt Karies unbehandelt, arbeiten sich die Bakterien durch den harten Zahnschmelz durch“, so Piehslinger. So entstehen Löcher, wieder liegt dann das darunterliegende Dentin frei, und der Zahn wird sensibel.
Mitunter verursachen lang andauernde Überlastungen der Kauwerkzeuge die stechenden Schmerzen im Mund. „Überlastet werden die Zähne zum Beispiel bei unbewusstem nächtlichen Zähneknirschen, dem sogenannten Bruxismus“, verdeutlicht Piehslinger. „Durch die Scherkräfte, die dabei auf den Zahn einwirken, kann das Zahnfleisch so strapaziert werden, dass es zurückgeht und Dentinhypersensibilität entsteht.“ Das kann auch durch Scherkräfte beim Beißen und Kauen passieren, die entstehen, wenn im Mund Schieflagen herrschen. Dazu kommt es beispielsweise durch zu hohe Plomben oder Kronen, aber auch durch angeborene Fehlstellungen von Zähnen und Kiefer. Sowohl Fehlstellungen als auch das Zähneknirschen können die Zähne des Weiteren so peinigen, dass es zu Verletzungen kommt und ein Stück davon abbricht. Bricht viel ab, drohen Schmerzen.
Schrubben und Scheuern
Manche Menschen machen ihre Beißerchen im wahrsten Sinn des Wortes eigenhändig zu Sensibelchen – indem sie ihre Zähne und ihr Zahnfleisch beim Putzen verletzen: „Wer immer heftig über die Zähne schrubbt oder über das Zahnfleisch scheuert, riskiert, Zahnfleisch und Zahnschmelz zu beschädigen und über kurz oder lang empfindliche Zähne zu bekommen“, warnt Piehslinger. Auch zur falschen Zeit zu putzen, kann Schaden anrichten: Wer nach dem Genuss von stark säurehaltigen Speisen und Getränken wie etwa Fruchtsäften oder Salaten in Essig-Marinaden die Zähne bürstet, setzt wegen der vorangegangenen Säureeinwirkung Zahnfleisch und Zahnschmelz zu und spürt womöglich bald am eigenen Leib, was es heißt, an empfindlichen Zähnen zu leiden.
Pasten, Gele, Spülungen
Treten die Blitze im Gebiss auf, heißt es so schnell wie möglich zum Zahnarzt zu gehen. „Im Anfangsstadium einer Dentinhypersensibilität hilft es oft schon, die Zähne eine Zeit lang mit speziellen Gelen, Pasten und Spülungen zu pflegen, die für empfindliche Zähne gedacht sind“, informiert Zahnmedizinerin Piehslinger. Bestimmte Substanzen in den Produkten, wie Aminofluorid oder Kaliumnitrat, bilden Stoffe, die sich am Zahn ablagern und um ihn herum einen neuen Schutzschild bilden.
Lack und Laser
Ist der Zahnfleischschwund schon stärker fortgeschritten und liegt das Dentin nicht nur frei, sondern ist es auch bereits durch das Zähneputzen oder Kauen beschädigt, sind die Schmerzen noch quälender und treten häufiger auf. Dann reichen Spülungen, Pasten und Gele zur Selbstanwendung nicht mehr aus, um der Pein ein Ende zu bereiten. Nun stehen zusätzlich zahnmedizinische Maßnahmen an: „Empfindliche Zahnhälse kann man zum Beispiel mit speziellen Lacken versiegeln oder mit Laser behandeln und dadurch wieder abdichten“, nennt Piehslinger die Möglichkeiten. Darüber hinaus gilt es natürlich, diverse Ursachen – von Fehlstellung über Karies bis Entzündungen – zu therapieren.
Führt das Versiegeln und Abdichten nicht zum erwünschten Erfolg, ist es beispielsweise an der Wiener Universitätszahnklinik möglich, Zahnfleisch von einer anderen Stelle im Mund zu entnehmen und dorthin zu transplantieren, wo der Zahnhals frei liegt. So bewahrt körpereigenes Material vor der Wiederkehr der Schmerzen. Künstliche gute Hilfen sind Zahnhalsfüllungen und Kronen, die den gesamten Zahn von der Zahnkrone bis zum Zahnhals umhüllen.
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Vorsicht, Bleaching:
Strahlendes Lächeln kann wehtun
Wer schöne, weiße Zähne für ein strahlendes Lächeln haben will und sich einer Zahnaufhellung unterzieht, riskiert Schmerzen. Denn während und nach der Behandlung sind die Zähne oft empfindlich. Dies liegt an den Substanzen, die bei diesem sogenannten Bleaching verwendet werden und dem Zahn zusetzen können. Das Leiden geht in dem Fall aber meist nach kurzer Zeit von selbst vorüber.
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Hart wie Granit:
Der Zahnschmelz
So hart wie Granit ist das, was wir sehen, wenn wir unsere Zähne im Spiegel betrachten: die äußerste Schicht Zahnschmelz, die den Zahn von der Krone bis zum Zahnhals umhüllt. Damit ist das Gewebe aus Hydroxylapatit, eine Verbindung verschiedener anorganischer Substanzen, das härteste Gewebe unseres Körpers. Es sorgt dafür, dass wir uns ernähren können, ohne dass die Zähne beschädigt werden oder wehtun.
Unter dem harten Zahnschmelz liegt das Zahnbein oder Dentin, eine dünnere Schicht aus Calciumhydroxylapatit und organischen Substanzen, die den Zahn von der Krone über den Hals bis hinunter zur Zahnwurzel umhüllt. Das Dentin ist immer noch in etwa so hart wie Knochen, im Gegensatz zum Zahnschmelz aber empfindlich: Wird es chemisch, mechanisch oder durch Temperaturen gereizt, spüren wir Schmerzen.
Ausgabe 09/2014
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