Was Alleinerzieherinnen zu schaffen macht

September 2007 | Gesellschaft & Familie

In Beratungsstellen kommen immer öfter junge Frauen, die Alleinerzieherinnen sind und mit ihren sozialen und gesundheitlichen Problemen nicht mehr zurechtkommen. Ein Lokalaugenschein von MEDIZIN populär.
 
Von Mag. Christian F. Freisleben-Teutscher

Anne ist 19, ihre Tochter Lena zwei Jahre alt. Mutter und Kind leben alleine in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Als Lenas Vater von der Schwangerschaft erfahren hatte, setzte er sich in seinen Lastwagen und tauchte nie mehr auf. Anne hatte die Schule abgebrochen und es mit diversen Lehrstellen versucht. Dann kam Lena.
Von ihrer Familie konnte und kann Anne keine Unterstützung erwarten, der Vater verlor schon vor Jahren seine Arbeit und ertränkte seine Verzweiflung im Alkohol. Die Mutter versucht sich als Putzfrau über Wasser zu halten und hat den Kontakt zur Tochter abgebrochen.

Lena ist nun in einer Kleinkindgruppe untergebracht. Aber deren Öffnungszeiten lassen sich oft nur schwer mit Annes verschiedenen Jobs in Einklang bringen: Die junge Frau arbeitet als Kellnerin, putzt zwei Büros und manchmal hilft sie auch noch bei einem Schnellimbiss aus.
Schon länger hat Anne Schwierigkeiten mit dem Ein- und Durchschlafen. Dazu kommen ständige Kopfschmerzen, und es fällt ihr sehr schwer sich auf etwas zu konzentrieren.

Anne ist kein Einzelfall: „In die sozialen Beratungsstellen kommen immer öfter sehr junge Mütter mit starken sozialen Schwierigkeiten und teils massiven Gesundheitsproblemen“, berichtet Barbara Strauch. Sie ist Mitarbeiterin von pro mente Oberösterreich und gründete 2005 die Plattform MoN – „Mütter/Eltern ohne Netz“. In dieser sind verschiedene Anbieter sozialer Leistungen genauso vertreten wie Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter.

Der Teufelskreis beginnt
Wie Anne haben viele Frauen, die zu den Beratungsstellen kommen, die Schul- oder Berufsausbildung abgebrochen. „Daher müssen meist mehrere Jobs kombiniert werden, die alle nicht den Charakter einer fixen Anstellung haben. Meist handelt es sich um Stellen im Reinigungs-, Dienstleistungsbereich oder Gastgewerbe – mit Arbeitszeiten, die selten mit den Öffnungszeiten der Kinderbetreuungsplätze vereinbar sind“, berichtet Strauch. Was diese Frauen verdienen, reicht meist vorne und hinten nicht aus. „Es entsteht ein sich intensivierender und belastender Kreislauf aus Schulden, Problemen bei der Kindererziehung, oft auch sozialer Isolation und Krankheit.“ Dies hängt eng damit zusammen, „dass es sich oft um Frauen handelt, die aus Familiensystemen mit vielen Problemen kommen oder die überhaupt auf keine sozialen Netzwerke zurückgreifen können“, ergänzt Prim. Dr. Werner Leixnering, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. Auffällig ist zudem der wachsende Anteil sehr junger Mütter und Alleinerzieherinnen. Nötig wären gezielte Maßnahmen zur Unterstützung speziell für diese Gruppe, so Prim. Leixnering.

Erste Schritte wagen
Natürlich sehen nicht alle Lebensgeschichten so dramatisch aus wie die von Anne. „Generell sind Alleinerzieherinnen aber häufiger von sozialen und damit verbunden gesundheitlichen Problemen auf körperlicher und psychischer Ebene betroffen“, unterstreicht Strauch. Ein ganz wichtiger Schritt ist, sich möglichst rechtzeitig Unterstützung von außen zu suchen, noch bevor diese Probleme eskalieren oder chronisch werden.

Eine Anlaufstelle kann und soll dabei der Hausarzt sein. „Selbst Symptome wie Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, ständige Kopf- und Magenschmerzen sowie allgemeine Erschöpfungszustände, die vielleicht auf den ersten Blick harmlos wirken, sind Gründe, um den betreuenden Arzt aufzusuchen“, betont Leixnering. Natürlich sei es nicht einfach, dabei auch davon zu berichten, dass es kleine und größer werdende Probleme gibt, mit dem Alltag zurechtzukommen. Auch Strauch weiß davon, „dass viele versuchen, so lange es nur irgendwie geht, die Illusion einer heilen Welt aufrecht zu erhalten“. Negative Erfahrungen der Vergangenheit schüren oft auch die Angst, nicht ernst genommen und rasch abgefertigt zu werden, quasi einen Stempel aufgedrückt zu bekommen, eine von den „Lästigen“ zu sein oder eine von denen, die sowieso nichts zustande bringen. Es gibt auch durchaus Ängste, das Kind zu verlieren, weil der Mutter ihre Aufgabe gegenüber dem Nachwuchs nicht mehr zugetraut wird.

„Den meisten Ärzten ist bewusst, dass sie neben der Behandlung akuter medizinischer Symptome auch eine wichtige soziale Aufgabe haben und dass soziale Probleme und Krankheiten sehr eng zusammen hängen“, ist sich Leixnering sicher. Er motiviert dazu, Schwierigkeiten dieser Art offen anzusprechen und nicht zu versuchen, um jeden Preis den Schein der heilen Welt aufrecht erhalten zu wollen. Der Arzt wäre zwar kein Sozialarbeiter, aber er kennt Anlaufstellen für diverse schwierige Situationen in der Region und kann den Weg dorthin ebnen.

Immer mehr Ratsuchende
Leixnering sieht aber in vielen Regionen einen Nachholbedarf beim Angebot für Menschen in schwierigen Lebenssituationen: „Generell ist bei den meisten Einrichtungen in Österreich ein starker Anstieg der Menschen zu verzeichnen, die um Rat und Unterstützung suchen. Aber es wird von der Gesundheits- und Sozialpolitik oft zu wenig in mehr Personal oder innovative Projekte investiert. Wichtig wäre weiters, dass es langfristig abgesicherte Budgets gibt, anstatt jedes Jahr oder gar bei jedem Projekt neu zittern zu müssen“, kritisiert Leixnering. Es ergeben sich momentan teils sehr lange Wartezeiten. Ein Problem ist zudem der aus finanziellen Gründen schwierige Zugang zu Psychotherapie: Es gibt zwar in einigen Bundesländern kostenlose Angebote, aber die Wartezeiten auf diese Plätze liegen teils bei mehr als einem halben Jahr.

Martin Schenk von der Armutskonferenz weist weiters darauf hin, dass auch Alleinerzieherinnen zu der Gruppe von etwa 160.000 Menschen in Österreich gehören, die kurz- oder langfristig keine Krankenversicherung haben. Entweder, weil es teils lange nach einer Scheidung braucht, bis diese etabliert ist, oder weil die Kombination aus „kleinen“ Jobs keinen Versicherungsschutz bringt, oder weil die Betroffenen ihr Geld in Miete und Essen statt in die Versicherung investieren.

Auch Barbara Strauch fordert konkrete sozialpolitische Maßnahmen mit langfristiger Planung: Nötig sei der Ausbau des Kindergeldes zu einer echten Existenzsicherung – in Skandinavien werden 80 Prozent des letzten Gehalts bei flexibel reduzierter Tätigkeit gezahlt entweder an Mutter oder Vater. Weiters brauche es Teilzeitjobs in allen Bereichen – in Schweden sind solche auch für Väter ganz normal. Und mehr Flexibilität von Kinderbetreuungseinrichtungen. „Nicht umsonst gibt es den Spruch: Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind groß zu ziehen“, unterstreicht Strauch. Viele Eltern und besonders Alleinerzieherinnen sind aber auf sich gestellt, so entstehen mehr psychosoziale Probleme, psychosomatische und psychische Krankheiten.

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Wichtige Schritte für Alleinerziehende
Von der Resignation zum Handeln

  • Auf körperliche Alarmzeichen reagieren: rechtzeitig den Arzt aufsuchen und dort auch den Mut haben, die Lebenssituation anzusprechen – so erhält dieser wichtige Informationen für die Behandlung.
  • Netzwerke suchen, ausbauen und pflegen: wichtige Ausgangs- und Fixpunkte können etwa Still- und Spielgruppen bzw. Angebote von Eltern-Kind-Zentren sein.
  • Kontakte zu anderen Alleinerzieherinnen knüpfen, der Erfahrungsaustausch ist ein ganz wichtiges Element, aber auch Unternehmungen miteinander bis hin zu gemeinsamen Essen können hilfreich sein.
  • Sich selbst Auszeiten gönnen: manchmal reichen fünf Minuten, manchmal braucht es eine Stunde, ein Tag oder auch eine Woche – Netzwerke machen’s möglich.
  • Beratung und Unterstützung in Anspruch nehmen: gerade für Frauen gibt es eine breite Palette an lokalen und regionalen Angeboten, etwa wenn es um den Wiedereinstieg in den Beruf geht oder um Projekte für Frauen mit psychosozialen Problemen.

KontaktTipps

  • Der Verein „Allein mit dem Kind“ bietet in ganz Österreich Beratung und Informationen für allein erziehende Mütter und Väter, Telefon: 0732/654270, www.alleinerziehend.at
  • In Wien gibt es eine „Kontaktstelle für Alleinerziehende“ der Erzdiözese Wien, Telefon: 01/51552-3343, www.alleinerziehende.at
  • Weitere Beratungsadressen sowie vielfältige Angebote und Veranstaltungstipps finden sich auf der Homepage der „Österreichischen Plattform für Alleinerziehende“, www.alleinerziehende.org

                   

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