Autofahren im Alter

März 2014 | Leben & Arbeiten

So sind Senioren sicher unterwegs
 
Sie verfügen zumeist über jahrzehntelange Fahrpraxis, sind vorsichtiger und vorausschauender unterwegs. Und doch haben Senioren ein hohes Unfallrisiko. Während die Zahl der betagten Lenker rasant ansteigt, bleibt der Wunsch nach Mobilität im Alter bestehen. Wie kann das Fahren auch jenseits der 60, 70, 80 sicher bleiben?
 
Von Wolfgang Kreuziger

Jahrelang wurde Josef Kainz als ältester noch fitter Autolenker Österreichs gefeiert. Doch eines Tages setzte sich der 96-jährige Waldviertler ausgerechnet bei 40 Grad Hitze ans Steuer, wurde auf einer Einbahnstraße zum Geisterfahrer und verunglückte beim ungebremsten Aufprall auf einen LKW-Zug tödlich.
Die goldene Mobilität im hohen Alter – oft ist es von ihr nur ein kleiner Schritt zur rollenden Gefahrenquelle, eine Problematik, die in den kommenden Jahren verstärkt auf uns zukommen wird. In den 4,6 Millionen PKWs, die sich laut Statistik Austria tagtäglich auf unseren Straßen dahinwälzen, ist jeder sechste Lenker über 65 Jahre alt. Dank steigender medizinischer Standards und weiter wachsender Lebenserwartung soll es in 15 Jahren bereits jeder vierte sein und im Jahr 2050, wenn die Bevölkerung in Österreich laut Hochrechnungen auf stolze 9,4 Millionen angeschwollen sein wird, möglicherweise schon jeder dritte.
Künftig werden die Straßen des Landes also mehr und mehr von Routine beherrscht, denn: „Die herausragende Stärke älterer Menschen ist ihre große Erfahrung. Sie steuern ihr Auto vorsichtiger, langsamer und vorausschauender als jüngere Lenker“, nennt Mag. Dr. Dieter Krainz, Psychologe beim Kuratorium für Verkehrssicherheit in Wien, positive Aspekte dieser Entwicklung. Und doch kann kein Jungbrunnen dieser Welt verhindern, dass Körper und Geist nachlassen und eines Tages der noch so erfahrene Lenker zur Bedrohung wird.

Ab 75 Jahren wird’s gefährlich

Der Schnitt von etwa 45 jährlich getöteten PKW-Lenkern über 65 hat sich seit 25 Jahren kaum verändert, 2012 waren es nach Zahlen der Statistik Austria 48 von 213 getöteten Fahrern auf heimischen Straßen. Allerdings stiegen Seniorenunfälle in dieser Zeit anteilig an, da die Unfallzahlen anderer Altersgruppen im selben Zeitraum um ein Drittel zurückgingen. Eine Studie der Universität Zürich zeigt, ab wann das Risiko für ältere Lenker an einen kritischen Punkt stößt: Ist man zwischen 65 und 75 noch nahezu ebenso sicher unterwegs wie mit 40, verdoppelt sich zwischen 75 und 80 Jahren das Unfallrisiko beinahe, jenseits der 80 verdreifacht es sich sogar.
Als häufigste Ursache liegt im Schnitt jedem vierten Unfall von Senioren eine Vorfahrt-Missachtung zugrunde; auf den Plätzen zwei und drei der Crash-Ursachenliste folgen Lenk- und Abbiegefehler. „Den Statistiken zum Trotz beharrt so mancher darauf, bis ins hohe Alter Autolenker zu bleiben“, weiß Krainz. „Besonders auf dem Land ist es für viele der einzige Weg, Lebensmittel einzukaufen oder den Arzt aufzusuchen. Vor allem aber vermittelt das Auto Macht und Unabhängigkeit. Den Führerschein abzugeben hieße, zum alten Eisen zu gehören.“ Dass die körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt, wollen die wenigsten wahrhaben.

Verdoppelte Reaktionszeit

Dabei sind die im Alter auftretenden Defizite teilweise enorm. Der entscheidende körperliche Abbau betrifft die stark verlangsamte Reaktionszeit, die bei gleichzeitig einwirkenden Reizen wie Ampel, Querverkehr oder Fußgänger zu tragen kommt, weiß der Verkehrsmediziner Prof. MR Dr. Raimund Saam von der Ärztlichen Kraftfahrvereinigung Österreichs. „Schon beim 60-Jährigen ist diese Reaktionszeit doppelt so lange wie beim 20-Jährigen. Dann sinkt sie aber noch weiter ab.“ Es ist also kein Zufall, dass rund 65 Prozent aller Unfälle mit Senioren bei Kreuzungen passieren.
Orthopädische Probleme sind laut dem Verkehrsarzt ein weiterer großer Risikofaktor. „Steife Gelenke können etwa das Bremsen massiv verzögern und ein unbewegliches Genick das Beobachtungsfeld stark einengen.“ Und schließlich kommt auch den Augen im Straßenverkehr eine Schlüsselrolle zu, ein durchschnittlicher 60-Jähriger verfügt nur mehr über drei Viertel der Sehschärfe eines 20-Jährigen. Saam: „Alle Hör- und Sehstörungen sind ein beträchtliches Handicap. Ältere Menschen reagieren noch dazu um ein Vielfaches empfindlicher auf Blendung als junge Lenker. Sehen sie direkt in ein Scheinwerferlicht, fahren sie sekundenlang im Blindflug.“

Frauen als fittere Lenker

Ein heikles Thema hinterm Lenkrad sind auch Medikamente. Besonders Schlaf- und Beruhigungsmittel, Blutdrucksenker und Antidepressiva können müde machen und die Aufmerksamkeit herabsetzen. „Schmerzmittel können ebenso Schläfrigkeit bewirken“, mahnt Saam dazu, die Dosierung vom Arzt richtig einstellen zu lassen, um Sekundenschlaf zu verhindern. Auch Stoffwechselerkrankungen können sich beim Autofahren schnell zum ernsten Problem auswachsen: „Durch Diabetes verursachte Blutzuckerschwankungen etwa können einen betroffenen Lenker in einen gefährlichen Dämmerzustand versetzen.“
Im direkten Geschlechtervergleich verursachen Damen übrigens nicht nur weniger Unfälle als Männer, sie haben in der Regel auch den gesünderen Lebenswandel. „Entsprechend sind Frauen im Alter die fitteren Lenker“, verrät Saam. „Ab dem Alter von 90 Jahren sollte meiner Meinung nach aber niemand mehr Autofahren.“

Planung statt Aquaplaning

Die biologische Uhr kann kein Lenker der Welt zurückdrehen. Der wichtigste Schritt zur Verkehrssicherheit liegt genau darin, diese Tatsache zu akzeptieren und so gut wie möglich gegenzusteuern. Der ÖAMTC etwa bietet seit elf Jahren im Rahmen der Aktion „Mobil sein – mobil bleiben“ ganztägige Fahrkurse für „mobile Menschen über 60“ in ganz Österreich an: „Hier lernen sie praktisch und in der Theorie Gefahrensitationen zu begegnen“, erzählt Projektleiter und Fahrtechniktrainer Andreas Pazourek. Dabei stößt er mitunter auf große Wissenslücken. „Viele fahren noch mit der einst gelehrten Zehn-vor-zwei-Lenkradhaltung statt der modernen Dreiviertel-drei-Position. Andere wissen nicht, dass beim Bremsen mit dem Antiblockiersystem gleichzeitig ein Lenkmanöver möglich ist. Wieder andere glauben, die Bremse ist kaputt, wenn es durch das ABS unter dem Pedal vibriert.“ Einer der wichtigsten Lerninhalte besteht darin, durch geschickte Planung zu verhindern, überhaupt erst in Gefahrensituationen zu kommen. „Senioren müssen nicht unbedingt bei Stoßverkehr, Stau, Dämmerung, Nebel oder strömendem Regen fahren. Wenn es irgendwie möglich ist, sollten sie bessere Bedingungen abwarten“, rät der Fahrtrainer. Wer überdies bewusst darauf hinzielt, sich im Verkehr nicht hetzen zu lassen, bleibt auch cool, wenn der Hintermann der vermeintlichen „Verkehrsbremse“ schon auf die Lichthupe drückt.

Der Segen der Technik

Auch elektronische Assistenzsysteme tragen heute schon sehr viel dazu bei, das Unfallrisiko im Alter zu minimieren. „Tempomat, Stauwarner oder in die Windschutzscheibe eingeblendete Fahrdaten können für ältere Fahrer eine entscheidende Hilfe sein“, glaubt Saam. Auffahrunfälle lassen sich oft dank Abstandswarnern und Parkschäden dank Parkassistenten verhindern. „Irgendwann werden diese Hilfsmittel in allen Fahrzeugen verfügbar sein. Derzeit sieht man leider noch, dass gerade Lenker, die es besonders nötig hätten, ungern auf Tipps und Hilfsmittel zurückgreifen.“ Senioren am Steuer neigen oftmals zur Selbstüberschätzung, das zeigt auch eine Studie der Universität Wien im Auftrag des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft. Zwei von drei befragten Senioren im Durchschnittsalter von 74 konnten oder wollten sich nicht erinnern, schon einmal wegen ihres schlechten Fahrstils angesprochen worden zu sein – obwohl deren Angehörige das Gegenteil behaupteten.

Pflichtgefühl statt Kontrolle

Aus all diesen Gründen werden „alten Hasen“ am Steuer in manchen Ländern Riegel vorgeschoben. So ist etwa in China das Lenken eines Fahrzeuges ab 70 Jahren komplett verboten. In Ungarn werden Autofahrer bereits ab dem 40. Lebensjahr zur regelmäßigen ärztlichen Kontrolle gebeten, in Italien, Schweden oder der Schweiz ab 70. In Österreich hingegen gibt es noch keine verpflichtenden Tests beim Amtsarzt. „Zu Recht, denn unterm Strich zeigt sich, dass Länder mit regelmäßigen Kontrollen auch keine besseren Unfallstatistiken haben als wir“, so Raimund Saam. „Meinem persönlichen Empfinden nach sollten wir lieber auf das eigene Pflichtgefühl setzen als die Lenker mit neuen Regeln und Gesetzen zu quälen. Ein wenig Verantwortungsgefühl des betagten Fahrers und seiner Angehörigen sollte schon ausreichen, damit Österreichs Straßen weiterhin sicher bleiben.“   

Webtipp: www.oemtc.at/mobilsein

Stand 03/2014

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