Arbeit als Kraftquelle

September 2016 | Leben & Arbeiten

Den vielen Klagen zum Trotz: Der Job ist längst nicht nur Ursprung von Überforderung und Stress. Im besten Fall wird er zur Kraftquelle und stärkt die geistige Fitness und das psychische Wohlgefühl.
Lesen Sie, unter welchen Bedingungen man sich gesund statt krank schuften kann.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Die Arbeit ist viel besser als ihr Ruf. Das gilt insbesondere dann, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllt: „Die Arbeit wird zur Kraftquelle, wenn sie sinnerfüllt ist“, schickt Dr. Harald Pichler voraus, der als Unternehmensberater den Fokus auf eben diesen Sinn legt. Das bestätigen auch Studien, wonach das persönliche Sinnerlebnis im Job Kraft gibt und motiviert. „Geht umgekehrt der Sinn verloren, werden Menschen eher krank als von der eigentlichen Arbeit“, betont Pichler. Wird das Tun als sinnvoll empfunden, ist man außerdem engagierter und leistungsstärker. „Nur wenn wir selbst Sinn erleben, können wir unsere Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf eine bestimmte Tätigkeit legen“, ist die Linzer Arbeitsmedizinerin Dr. Chris­tine Feichtinger überzeugt. Auch Tätigkeiten, die von außen betrachtet vielleicht nicht sonderlich spannend wirken, können dann motiviert durchgeführt werden. Vorgesetzte dürfen bei der Sinnfindung gerne unterstützen – entdecken muss den Sinn jeder für sich selbst.

Mein Beitrag ist wichtig!

Ob Portier oder Putzfrau, Universitätsprofessorin oder Uhrmacherin, Hautarzt oder Heimhilfe: Wir alle müssen erleben, dass unser Beitrag wichtig ist – dann erleben wir auch Freude im Job. Wer nun, wie so viele „Bildschirmarbeiter“ heutzutage, handfeste, sichtbare Resultate vermisst, sollte sich regelmäßig vergegenwärtigen: ‘Es gibt jemanden, der von meinem Werk profitiert!’
Entspricht der Job persönlichen Interessen und Werten – umso besser: Die Modebegeisterte arbeitet in einer Boutique, der Zahlenfan im Controlling, der Naturbursch als Bergführer. „Es ist eindeutig glücksförderlich, wenn die Arbeit dem eigenen Wertesystem entspricht“, betont die Wiener Psychologin Mag. Heide-Marie Smolka.
Die Experten warnen jedoch vor dem Anspruch, die Arbeit müsse Spaß machen, damit man überhaupt bereit ist, etwas zu leisten. Ob man als Chirurg Menschenleben rettet; als Gärtnerin ein verwahrlostes Fleckchen Garten in eine blühende Augenweide verwandelt; oder als Unternehmerin die Mitarbeiter für ein neues Produkt begeistert: Der Sinn entsteht im Tun, nicht umgekehrt.

Ich bin kompetent!

Erlebt man, dass das eigene Tun „wirkt“, ist man nicht nur selbstbewusster. Das Erleben der eigenen Kompetenz sei mit „Abstand am wirkungsvollsten“, was die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz betrifft, betont Arbeitsmedizinerin Feichtinger. Je kompetenter wir uns fühlen, desto engagierter und effektiver arbeiten wir. Fühlen wir uns am Arbeitsplatz außerdem wertgeschätzt – für unsere Leistung sowie als Mensch – steigert dies das Wohlgefühl ungemein.

Ich bin Teil eines Teams!

Als soziale Wesen bereichert es das Arbeitsleben, wenn wir uns im Team wohlfühlen: Man tauscht sich mit Kollegen aus, bringt Kuchen zum Nachmittagskaffee, geht nach der Arbeit gemeinsam zum Kegeln. Das Gemeinschaftsgefühl sei außerdem „eine gute Grundlage“, um mit Veränderungen zurechtzukommen oder freiwillig Arbeiten zu übernehmen, führt Feichtinger aus. Feststeht, dass das Arbeitsklima die Sache aller ist: „Nicht nur die Unternehmensleitung, auch jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin trägt einen Teil der Verantwortung“, betont Unternehmensberater Pichler.  

Ich habe Spielräume und bin gefordert!

Spielräume und eine gewisse Gestaltungsfreiheit sind weitere Kraftquellen. „Die beruflichen Anforderungen können durchaus hoch sein, sofern auch der Entscheidungsspielraum groß ist und eine selbstbestimmte Arbeit möglich ist“, betont Psychologin Smolka. Allein das Wissen von den eigenen Spielräumen reduziere Stress.
Weiters beflügelt es, wenn wir uns im Beruf weiterentwickeln und über uns hinauswachsen können. Wohldosiert sind Herausforderungen bzw. Stress etwas Positives. „Und bewältigte Herausforderungen werden zu Kraftquellen“, ergänzt Pichler.
Führungskräfte, die sich mit den Stärken ihrer Mitarbeiter auseinander- und sie entsprechend einsetzen, leisten hier einen wichtigen Beitrag; insbesondere, wenn sie den Mitarbeitern „ein wenig mehr zutrauen als diese sich vielleicht selbst“, führt Pichler aus.
Herausforderung darf aber nicht zur Überforderung werden: Belastungen, die nicht zu bewältigen sind, machen krank. Unterforderung hat ebenfalls ihren Preis: Wer sich nicht engagiert bzw. engagieren kann und die Arbeitszeit unproduktiv „absitzt“, dem fehlt die Bestätigung durch Erfolgserlebnisse. Erholsame Feierabende fallen weg – wovon sollte man sich auch erholen?

Ich bin widerstandsfähig und gesund!
Wer Sinn, Kompetenz, Wertschätzung, Teamfähigkeit und gesunde Herausforderungen im Job erlebt, kann sich über vielfältige gesunde Auswirkungen freuen. Man ist etwa belastbarer, wie Pichler am Beispiel von Jungeltern verdeutlicht: Sie verkraften Schlafentzug deutlich besser als andere, weil es für sie sinnvoll ist, sich rund um die Uhr um ihr Neugeborenes zu kümmern. „Die Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie bestätigen, dass hohe Arbeitszufriedenheit nicht nur psychisch widerstandsfähiger, also resilienter, macht, sondern sich auch positiv auf die Gesundheit auswirkt und lebensverlängernd wirken kann“, ergänzt Smolka.

Mein Geist ist hellwach!
Nicht zuletzt stärkt sinnerfüllte und fordernde Arbeit die mentale Fitness. „Für unsere geistige Leistungsfähigkeit sind kognitive Herausforderungen essenziell“, betont die Medizinerin und Kognitionswissenschafterin Dr. Katharina Turecek. „Berufliche Aktivität stellt so einen Schutzfaktor gegen Altersvergesslichkeit und bis zu einem gewissen Grad auch gegen Demenzerkrankungen dar.“
Besonders gut wirke der Job sich auf die geistige Fitness aus, wenn wir ständig neu herausgefordert werden. „Ein Beruf, der uns kognitiv immer wieder vor neue Aufgaben stellt, festigt bestehende neuronale Verbindungen im Gehirn und regt die Bildung neuer Assoziationen an“, präzisiert die Medizinerin. Wer ein Leben lang lernt, bleibt auch ein Leben lang lernfähig.

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Keine oder zu viel Arbeit:
Gefahr für die Gesundheit

Mit dem Verlust der Arbeit drohen nicht nur materielle, sondern auch gesundheitliche Einbußen. „Aus Studien wissen wir, dass die Erkrankungsrate unter Menschen ohne Beschäftigung am höchsten ist“, betont die Arbeitsmedizinerin Dr. Christine Feichtinger. Speziell von chronischen Angstzuständen und Depressionen sind verhältnismäßig viele Arbeitslose betroffen. Als einen möglichen Grund nennt der Unternehmensberater Dr. Harald Pichler den hohen Stellenwert, den die Erwerbsarbeit bei vielen hat.
„Zur Sinnkrise kommt es auch, wenn man sich ausschließlich über die Arbeit definiert“, sagt der Experte. Umso wichtiger, aus verschiedenen Kraftquellen zu schöpfen: Familie, Freundschaften, Hobbys, einem Ehrenamt.
Problematisch wird es, wenn man sich fast ausschließlich mit der Arbeit beschäftigt bzw. betäubt oder als „Sonntagsneurotiker“ am arbeitsfreien Wochenende nichts mit sich anzufangen weiß.
Anders, wenn man sich in einer Krisenzeit, etwa bei Liebeskummer, quasi in die Arbeit stürzt. Dann kann der Job – vorübergehend – eine wertvolle Krücke sein. Kritisch sieht Feichtinger das Ideal einer „Work-Life-Balance“:
„Der Begriff impliziert fälschlich, dass wir nicht leben, wenn wir arbeiten – und umgekehrt“, warnt sie. Arbeit sollte als integrativer Bestandteil des Lebens verstanden werden – sie ist nicht umsonst ein Grundrecht der Menschen.

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Studie „So arbeitet Österreich“:
Mehrzahl mit Job „zufrieden“

Zwei Drittel (75 Prozent) der berufstätigen Österreicherinnen und Österreicher sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Das ergab eine Studie der Integral Markt- und Meinungsforschung im Herbst 2014. Besonders wohl im Job fühlen sich – trotz Mehrfachbelastung und Minderbezahlung – erwerbstätige Frauen sowie Selbstständige. Auch mit der Berufswahl ist die Mehrzahl der Österreicher (70 Prozent) glücklich.

Stand 09/2016

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