Tinnitus: Ich höre was, was du nicht hörst

November 2007 | Medizin & Trends

Was gegen das quälende Ohrensausen helfen kann
 
Fünf bis zehn Prozent der Österreicherinnen und Österreicher nehmen ständig Töne und Geräusche wahr, die von keiner äußeren Schallquelle stammen. Für viele ist der Dauerton im Ohr so störend, dass ihre Lebensqualität massiv beeinträchtigt ist. Doch Tinnitus, wie die Ohrgeräusche in der Fachsprache genannt werden, ist kein Schicksal, mit medizinischen und psychologischen Methoden kann man helfen.
 
Von Mag. Wolfgang Bauer

Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu“, schrieb der von Tinnitus geplagte Komponist Ludwig van Beethoven vor rund 200 Jahren. Denn: CMeine Ohren sausen und brausen Tag und Nacht fort.“ Tinnitus leitet sich vom Lateinischen „tinnire“ ab, das eigentlich „klingeln“ bedeutet. Doch mit dem kurzen Läuten einer Türklingel oder dem harmonischen Klang von Kirchenglocken haben die Ohrgeräusche nicht viel zu tun: Für viele sind sie ständige Begleiter, sie werden außerdem verschieden stark wahrgenommen, ihre Lautstärke kann also zu- und abnehmen und die Betroffenen zur Raserei bringen. Zudem handelt es sich nicht nur um Klingeltöne, wie der lateinische Ursprung nahelegt, sondern für manche präsentiert sich Tinnitus als Dröhnen, Pfeifen, Summen, Zischen oder Sausen (daher auch der gebräuchliche Name Ohrensausen), manchmal wird er aber auch wie der Lärm eines Presslufthammers wahrgenommen. Es ist daher nur allzu verständlich, wenn Tinnitus-Patienten unter einer enormen Beeinträchtigung der Lebensqualität leiden, Schlaf- und Konzentrationsstörungen haben oder in Angstzustände und Depressionen verfallen.

Volksleiden Tinnitus
In Österreich haben etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung Tinnitus. Von dieser Gruppe wiederum sind zehn bis 15 Prozent von den Ohrgeräuschen massiv betroffen, so dass sie unter Tinnitus leiden, der große Rest kommt glücklicherweise mit den Geräuschen ganz gut zurecht. „Viele der Betroffenen nehmen die Geräusche in einem Ohr wahr, manche in beiden Ohren, andere wiede­rum im gesamten Kopfbereich“, sagt Primar Dr. Heinz Jünger, Leiter der HNO-Abteilung am Landesklinikum Krems. In den weitaus meisten Fällen sind die Ohrgeräusche subjektiv, das heißt, dass sie nur von den Betroffenen wahrgenommen werden. Nur in ganz seltenen Fällen ist der Tinnitus auch objektiv nachweisbar, also auch vom untersuchenden Arzt mit Messgeräten wahrnehmbar. Das kann zum Beispiel bei einer Verengung der Halsschlagader der Fall sein.

Wichtig: Ursachen erforschen!
Tinnitus gilt in Fachkreisen nicht als Krankheit, sondern als Symptom, das auf eine Krankheit hinweisen kann. Die dahinterliegende Krankheit hat – wie die Dauer der Ohrgeräusche – ebenfalls Einfluss auf die Wahl der Therapie. So können völlig harmlose Ursachen dahinterstecken, wie etwa ein Pfropfen Ohrenschmalz, der den Gehörgang verlegt. Es können jedoch auch eine entzündliche Erkrankung, wie etwa eine Mittelohrentzündung, eine Verletzung des Trommelfells, ein gutartiger Tumor des Hör- und Gleichgewichtsnervs, ein Knalltrauma oder ein Hörsturz zu Tinnitus führen. Auch Durchblutungsstörungen im Hals- und Kopfbereich, ein erhöhter Blutdruck, andauernde Lärmbelastung sowie massive psychische Belastungen und Stress können Ohrgeräusche hervorrufen. „Es ist ganz wichtig, mit den Tinnitus-Patienten ein ausführliches Gespräch über ihr Leiden zu führen, sie genau zu ihrer Krankengeschichte zu befragen. Nur so kann man eine für jeden Patienten maßgeschneiderte Therapie ­erstellen“, sagt Primar Dr. Jünger.

Aus medizinischer Sicht ist die Unterscheidung des Tinnitus nach seiner Dauer von Bedeutung. Denn nicht zuletzt davon hängt die Art der Behandlung ab:

  • Akuter Tinnitus: Das Ohrensausen dauert maximal drei Monate lang. In 60 bis 80 Prozent der Fälle mit akutem Tinnitus gehen die Geräusche wieder weg, entweder spontan oder durch Behandlung der Grund­erkrankung oder durch medikamentöse Therapien (siehe nächste Seite).
  • Subakuter Tinnitus: Er besteht zwischen drei und sechs Monate.
  • Chronischer Tinnitus: Er hält länger als sechs Monate an, ihm ist vor allem mit dem so genannten Retraining bzw. mit psychologischen Methoden beizukommen.

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Wie Tinnitus diagnostiziert wird
So quälend die Ohrgeräusche auch sein können, ihre diagnostische Abklärung verläuft problemlos und schmerzfrei. Neben der ausführlichen Befragung der Patienten wird auch deren Gehörgang und Trommelfell untersucht. Zusätzlich können Hörtests und Gleichgewichtsprüfungen angewandt werden. Mithilfe der so genannten Audiometrie kann man die Lautstärke und die Ausprägung des Tinnitus sehr genau bestimmen. Unter Umständen kommen auch bildgebende Verfahren zum Einsatz, wie die Computer-Tomographie (CT) oder die Magnetresonanz-Tomographie (MRT) des Kopfes. „Eine genaue Diagnose ist nicht nur für uns Ärzte wichtig. Auch Patienten hilft es, wenn sie erfahren, dass kein Tumor oder eine andere ernsthafte Krankheit hinter ihrem Ohrensausen steckt“, so Primar Jünger.

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Was gegen Tinnitus hilft

  • Behandlung der Grunderkrankung: Liegt dem Ohrensausen eine bestimmte Krankheit zugrunde, so richtet sich das Hauptaugenmerk zunächst auf deren Behandlung. So wird zum Beispiel eine Mittelohrentzündung mit Antibiotika behandelt oder ein gutartiger Tumor des Gleichgewichtsnervs durch eine Operation entfernt. Danach sollte sich auch der Tinnitus bessern.Infusionstherapie: Sie ist die Therapie der Wahl bei akutem Tinnitus, der sich etwa in Folge eines Hörsturzes oder eines Lärmtraumas einstellt oder ohne erkennbare ­Ursachen auftritt. Dabei werden mehrere Tage lang Infusionen verabreicht, welche die Fließeigenschaften des Bluts verbessern und den Sinneszellen mehr Sauerstoff zuführen, damit diese sich besser erholen können. Je eher die Infusionen gegeben werden, desto besser die Heilungschancen.
  • Tinnitus-Masker: Sie kommen bei chronischem Tinnitus zum Einsatz, also bei Ohrgeräuschen, die länger als sechs Monate bestehen. Dabei werden mit Hilfe eines Gerätes, das man wie ein Hörgerät hinter dem Ohr trägt, Geräusche erzeugt, die den Tinnitus überdecken und ihn in den Hintergrund drängen. So werden beispielsweise Naturgeräusche wie ein Bachrauschen oder Regen eingespeist. Liegt auch eine Schwerhörigkeit vor, kann man Masker und Hörgerät in einem Gerät kombinieren.
  • Retraining (= wegtrainieren): Auch diese Therapie funktioniert mit Hilfe eines Gerätes, das der Tinnitus-Geplagte eine bestimmte Zeitlang hinter dem Ohr tragen muss. In diesem Fall wird jedoch ein Rauschen eingespeist, das den Tinnitus nicht überdecken darf. Die Patienten lernen auf diese Art und Weise, sich auf das angenehme leise Geräusch zu konzentrieren, der Tinnitus tritt in den Hintergrund, wird schließlich überhört. Auch dieses Gerät kann bei Bedarf mit einem Hörgerät kombiniert werden.
  • Entspannung: Techniken wie das Autogene Training helfen, den Tinnitus in den Hintergrund zu drängen.
  • Psychotherapie: Sie ist vor allem dann angezeigt, wenn die Ohrgeräusche als massiv beeinträchtigend empfunden werden oder gar zu Angstzuständen oder Depressionen führen.

Stand 11/2007      

 

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