Gesundmacher Schlaf

Dezember 2023 | Medizin & Trends

Jeder Vierte hierzulande schläft schlecht. Wenn auch das „Schäfchen zählen“ nicht mehr hilft, bedarf es medizinischer Hilfe.

Von Wolfgang Kreuziger

Den Kopf ins weiche Kissen drücken und wegdösen wie ein Murmeltier: Was jedes Baby spielend schafft, ist für fast zwei Millionen erwachsene Österreicher*innen regelmäßig ein ernstes Problem. Sie laufen nachts gereizt wie Tiger im Schlafzimmer auf und ab, zählen im Bett erfolglos „Schäfchen“ und können tagsüber nur mühevoll die Augen offenhalten.

„Jeder Vierte hierzulande hat Schlafprobleme, aber nur etwa jeder dritte Betroffene spricht mit seinem Arzt darüber“, weiß Priv. Doz. Dr. Michael Saletu, Schlafmediziner, Facharzt für Neurologie und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin, schon lange, dass ausreichender Schlaf zu wenig ernst genommen wird. Und das, obwohl die Anzahl der Menschen mit beeinträchtigter Nachtruhe stetig steigt und deren Auswirkungen immer klarer belegt sind: Schlafgestörte, so weiß man, gehen gegenüber guten Schläfern doppelt so oft zum Arzt, haben doppelt so viele Krankenhausaufenthalte, verzeichnen vermehrt psychische Probleme wie Angststörungen oder Depressionen, haben siebenmal so häufig Arbeitsunfälle und zweieinhalbmal so häufig Verkehrsunfälle.

„Viele Studien zeigen zudem, dass schlechter Schlaf mit einer verkürzten Lebenserwartung, Übergewicht und einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall einhergeht“, ergänzt Saletu.

Beeinträchtigte „Gehirnwäsche“

Denn eine „Mütze“ voll guten Schlafs bedeutet viel mehr, als sich nur rasch für den nächsten Arbeitstag zu erfrischen, sie hat auch enormen langfristigen Einfluss auf unseren Stoffwechsel, die Zellregeneration sowie den Muskelaufbau. Schlaf ist nicht nur sprichwörtlich die beste Medizin, er leitet auch Reparaturfunktionen ein, wirkt Entzündungen entgegen und senkt die Schmerzempfindlichkeit.

Und fast noch wichtiger: Abseits des Organischen entdeckte die Schlafforschung in den letzten Jahren weitere Zusammenhänge des Schlafmangels mit Psyche und Gehirn. „Wer über längere Zeit hinweg eine verkürzte Tiefschlafphase verzeichnet, der schmälert damit die Entrümpelungsfunktion des sogenannten glymphatischen Systems, welches das Gehirn von schädlichen Eiweißablagerungen säubert“, erläutert Saletu.

„Vermehrte Ablagerungen wiederum erhöhen im Alter die Wahrscheinlichkeit für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer.“ Eine Studie aus den USA zeigte, dass eine über Jahre hinweg auf unter sechs Stunden verkürzte Schlafzeit das spätere Demenzrisiko um bis zu 30 Prozent erhöht. Saletu: „Treffen mehrere verschiedene Schlafstörungen bei einer Person zusammen, kann auch das Vorbote einer Autoimmunerkrankung sein.“

Alarm ab dem dritten Tag

Sieben bis neun Stunden sollte jeder Mensch im Schnitt nach ärztlicher Empfehlung täglich schlafen, um solche Folgeprobleme zu vermeiden, doch laut Umfragen erreicht jeder Fünfte hierzulande diesen Wert nicht. Viele fühlen sich müde, erachten es aber als peinlich, mit solch einer „Bagatelle“ zum Arzt zu gehen.

„Als krankhaft stufen wir Schlaflosigkeit dann ein, wenn Ein- und Durchschlafstörungen über mindestens drei Monate hinweg an mindestens drei Tagen der Woche auftreten und die Befindlichkeit untertags beeinträchtigen“, definiert Saletu. Trifft all dies zu, gilt es unter der Flut von rund hundert bekannten Schlafstörungen und Dutzenden körperlichen und geistigen Auslösern die richtigen zu identifizieren.
„Am häufigsten leiden Menschen an einer allgemeinen Schlaflosigkeit, der sogenannten Insomnie, für die keine klaren Gründe erkennbar und oft Stress und schlechter Lebensstil verantwortlich sind“, berichtet der Experte. „Am zweithäufigsten sind schlafbezogene Atmungsstörungen, wobei diese ab fünfzehn Atempausen pro Stunde für therapiewürdig erachtet werden. An dritter Stelle steht die Tagesschläfrigkeit trotz ausreichender Bettzeiten.“

Schlafmittel nur eine „Brücke“

Seltener auftretende Probleme sind abnorme Aktivitäten im Schlaf wie Schlafwandeln oder epileptische Anfälle, Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen (Schlaf zur falschen Zeit), wie sie Schichtarbeiter*innen oft haben, oder motorische Bewegungsstörungen wie das Restless-Legs-Syndrom. Gestaltet sich die Diagnose schwierig, kann im Zweifelsfall ein Schlaflabor Aufklärung bringen, wo der Schlaf unter Laborbedingungen überwacht wird.

Doch ob nun Gehirn oder Muskulatur hinter den Problemen stecken, der Griff zum Schlafmittel kaschiert stets nur die Symptome. „Ich sage immer: Eine medikamentöse Behandlung stellt nur die Brücke zur Alltagstauglichkeit dar, das Problem selbst muss ursächlich behoben werden“, betont Saletu. Wobei sich die Therapiemethode nach der Ursache richtet: Bei Atmungsstörungen wie Schlafapnoe besteht sie teilweise aus Kieferschienen oder Geräten, die die Atmung erleichtern, beim „Restless-Legs-Syndrom“ wiederum können Fehlfunktionen im Eisenstoffwechsel oder der Nerven dahinterstecken, die zuerst beseitigt werden müssen. In den allermeisten Fällen von Schlafstörungen, insbesondere der Insomnie, liegt die Lösung in einer kognitiven Verhaltenstherapie. „Sie wird von spezialisierten Psycholog*innen, Neurolog*innen, Psychiater*innen oder Schlafmediziner*innen angeboten“, sagt Salatu.

Therapie über das Internet

Der Weg zurück, um wieder wie ein „Stein“ zu schlafen, führt über vier Ansätze, die jeweils unterschiedliche Wurzeln des Problems anpacken. „Die erste Therapiesäule korrigiert den Lebensstil etwa durch Sportausübung tagsüber, aber auch durch die richtige Schlafzimmergestaltung“, erklärt Saletu. So sollte zum Beispiel die Matratze ein ergonomisches, entspanntes Liegen ermöglichen, Decke und Polster das richtige, nicht zu warme Bettklima gewährleisten. Als zweite Säule dienen körperliche Entspannungsmaßnahmen vorm Zu-Bett-Gehen und als dritte Techniken, um negative Gedankenkreisen in der Nacht zu vermeiden. „Der vierte Schwerpunkt besteht darin, die Bettzeit zu verkürzen“, verrät der Arzt. „Das hört sich zwar seltsam an, doch dadurch kann die natürliche Schläfrigkeit wiedererlernt werden.“

Blitzschlaf: Power-Napping, aber richtig

Das kurze Nickerchen zwischendurch liegt im Trend, kann Müdigkeit vertreiben und in kurzer Zeit frische Energie bringen. Dazu legt man sich entspannt hin und sorgt entweder mit dem Wecker oder einem in der Hand gehaltenen Gegenstand, der einen beim Herunterfallen aufweckt, für eine Zeitbegrenzung.

„Die Schlafdauer sollte zwischen zehn und 15 Minuten betragen“, empfiehlt Schlafforscher Michael Saletu, „die Tiefschlafphase darf nicht erreicht werden.“ Bei zu langem Liegen könne man in einen „Schlafhangover“ geraten, nach dem man sich noch müder als zuvor fühle. Tipp von Saletu: „Kein Power-Napping nach 14 Uhr, sonst wird der Nachtschlaf beeinträchtigt.“

11 Faustregeln für einen gesunden Schlaf

  1. Sieben Tage die Woche zur gleichen Zeit aufstehen
  2. Körper und Geist abends langsam herunterfahren
  3. Ein persönliches Einschlafritual einführen
  4. Im Schlafzimmer für eine positive Atmosphäre sorgen
  5. Nicht zwanghaft versuchen einzuschlafen
  6. Stress, ein Schlafkiller, ist maximal zu vermeiden
  7. Nachts nicht auf Wecker oder Uhr schauen
  8. Keine koffeinhaltigen Getränke nach 14 Uhr
  9. Abends früh und leicht essen, nicht hungrig zu Bett gehen
  10. Alkohol und Nikotin stören den guten Schlaf
  11. Körperliche Aktivität tagsüber fördert guten Schlaf

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„Beim Toilettengang sollte man das Licht dimmen“

Die Schlafforscherin Univ.-Prof.in Dr.in Birgit Högl leitet das Schlaflabor der Universitätsklinik Innsbruck und veröffentlichte zuletzt das Buch „Besser Schlafen“ mit praktischen Tipps für eine bessere Nachtruhe. Im Interview verrät sie, warum es sich auszahlt, beim nächtlichen Toilettengang das Licht zu dimmen und man nach schlechtem Schlaf nicht „nachliegen“ soll.

Schlaf ist die beste Medizin, sagt der Volksmund. Ist diese Weisheit in Vergessenheit geraten?

Es scheint so. Tatsächlich wird die wichtige Rolle des Schlafs oft vernachlässigt, ja manche sind geradezu stolz darauf, keine Zeit zum Schlafen zu haben, und stehen lieber auf Kosten des Schlafs früh auf, um zu sporteln oder zu arbeiten. Diese Menschen sollten besser über die Folgeschäden von Schlafmangel informiert werden, die von Herz-Kreislauf- bis zu Krebserkrankungen und Demenz reichen.

Was raten Sie Menschen mit ersten, leichten Schlafproblemen?

Ich empfehle immer, sich ausreichende und fixe Zeiten zum Schlafen zu nehmen, also nicht ständig mit den Bettzeiten zu variieren oder sie zu kürzen. Die Schlafumgebung sollte leise, dunkel und kühl sein, Ohrstöpsel bei Umgebungslärm oder Augenabdeckungen aus der Apotheke gegen Restlicht sind nützliche Helfer. Ich halte es sogar für gut, die kleinen LED-Lichter am Wecker oder Fernseher abzukleben, denn es wurde nachgewiesen, dass ein minimales Restlicht reicht, um während des Schlafs einen höheren Blutdruck zu haben. Geht man nachts auf die Toilette, ist es sinnvoll, nur gedämpftes Licht einzuschalten. Ein paar wenige Minuten grelles Licht reichen, um die Ausschüttung des Nachthormons Melatonin zu unterbrechen.

Wie kann man das Ein- und Durchschlafen verbessern?

Man schläft am besten ein, wenn die Körperkerntemperatur im Brust- und Bauchraum abzufallen beginnt. Um diese abzusenken, sollten Hände und Füße beim Bettgang wiederum warm sein, um über deren erweiterte Blutgefäße Wärme aus dem Körper an die Umgebung abzugeben. Vorm Schlafen ist das Lesen aus einem gedruckten Buch bei gedämpftem Licht dem Lesen am Tablet vorzuziehen, dessen helle Bildschirmbeleuchtung unsere innere Uhr stört. Menschen, die schlecht geschlafen haben, sollten am nächsten Morgen nicht länger liegen bleiben, sondern trotzdem aufstehen. In vielen Programmen zur nicht medikamentösen Behandlung der Schlaflosigkeit wird sogar empfohlen, die Zeit im Bett generell vorübergehend etwas zu verkürzen, um in der Folgenacht einen höheren Schlafdruck aufzubauen.

Für gravierendere Störungen bieten Sie in Innsbruck ein Schlaflabor an, was passiert dort genau?

Ins Schlaflabor gehen weniger Menschen, die gar nicht schlafen können, als vielmehr solche, die mit Problemen wie Tagesschläfrigkeit, atem- und muskelbezogenen Störungen oder abnormen Geschehnissen im Schlaf kämpfen wie etwa Schlafwandeln. Man schläft dabei unter Laborbedingungen, während Hirnstromkurve, Augenbewegungen, Muskelspannung, Sauerstoffsättigung, Luftfluss, Luftstaudruck an der Nase und der Widerstand an den oberen Luftwegen gemessen werden. Auch Infrarotvideos können angefertigt werden, um die Ursache der Störung zu finden.

 

Webtipp

www.dr-saletu.at/gesunder_schlaf/somnocoach.html – Online-Therapieprogramm namens „Somnocoach“ von Dr. Saletu

Buchtipp

Högl
Besser schlafen
ISBN 978-3-7106-0733-2
184 Seiten, € 25
Brandstätter Verlag

 

Foto: © gettyimages_Aleksandar Nakic

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