Da liegt doch was in der Luft …

April 2024 | Medizin & Trends

Winzige Pollenkörnchen, nur wenige tausendstel Millimeter groß, können unserem Immunsystem plötzlich zum riesigen Feind werden – dann, wenn wir allergisch darauf reagieren. 

Von Mag.a Sylvia Neubauer

Ein Katzenhaar ist kein Virus. Wir wissen das. Und unser Immunsystem weiß das auch – es checkt: „Aha, das hier stammt aus einem Katzenfell und ist nun wirklich kein Grund zur Aufregung.“ Im Normallfall ist unserem körpereigenen Abwehrtrupp das Haar der Haus-Mieze also schnurz­piep­egal. Nicht so bei einer Allergie. Dabei wird es zum Feind – oder besser gesagt bestimmte Proteine, die sich im Speichel der Katze finden und beim Lecken des Fells an den Haaren haften bleiben.

Das Immunsystem verkennt an sich harmlose Stoffe als gruselige Fremdkörper und bekämpft sie mit allen Mitteln. Die Folge: Wir fühlen uns krank. Stubentigers Haar ist nur eine von rund 20.000 allergieauslösenden Substanzen, die der Wissenschaft bekannt sind. Im Prinzip können wir aber gegen nahezu alles in der Umwelt eine Allergie entwickeln. Wenn wir etwas dagegen unternehmen, muss uns das jedoch nicht weiter jucken …

Allergien sind vielfältig – Symptome auch!

An einem einzigen ihrer zahlreichen Blütenstände können bis zu fünf Millionen Pollenkörner haften, die Rede ist von der Birke. Der Flug der Pollen kann über mehrere hundert Kilometer gehen – bis hin in Gegenden, wo der Baum gar ansässig ist.

Allergenen entkommt man demnach nur sehr schwer. Ähnlich verhält es sich bei anderen „Flugobjekten“: Auch die Baumpollen, beispielsweise von Hasel und Erle sowie Gräser- und Kräuterpollen, können bei Allergiker*innen für Ärger in den Schleimhäuten sorgen. „Die Nase läuft, Betroffene müssen vermehrt niesen und die Augen tränen oder jucken“, nennt OMR Dr. Johannes Neuhofer, Facharzt für Dermatologie und Venerologie in Linz, mögliche Beschwerdebilder – sie können sowohl einzeln als auch gemeinsam auftreten. „Allergien gegen Pollen, Hausstaubmilben, Insektengift und Tierhaare, aber auch solche gegen Nahrungsmittel sind Typ-I-Allergien“, sagt Neuhofer. Die Mehrheit aller Allergien gehören diesem Typus an, die Reaktion erfolgt dabei sofort nach dem Allergenkontakt.

Anders ist das bei Typ-IV- oder Spättypallergien: Bis zum Beschwerdebeginn können hier bis zu 48 Stunden vergehen. „Typ-IV-Reaktionen werden unter anderem bei Kontaktallergien ausgelöst“, erklärt Univ.-Prof. Dr.Dr. Wolfram Hötzenecker, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie und nennt ein Beispiel: „Wenn Nickel im Jeansknopf enthalten ist, dann kann der Kontakt mit dem Metall bei allergischen Personen zu Ekzemen auf der Haut führen.“ Auch Duftstoffe, Chemikalien in Reinigungs- bzw. Haarfärbemitteln sowie Medikamente, die auf die Haut aufgetragen werden, können das sensible Organ irritieren.

Heuschnupfen ist keine Lappalie

Wir sehen also: Allergien haben viele Gesichter. „Am häufigsten kommen Allergien der oberen Atemwege vor, zu denen der klassische Heuschnupfen, die Stauballergie und das allergische Asthma bronchiale zählen“, weiß Hötzenecker: „20 bis 25 Prozent der Bevölkerung leiden daran.“

Das war längst nicht immer so, sondern kommt einer gigantischen Zunahme an Betroffenen gleich. Zum Vergleich: „Um 1900 litten weniger als ein Prozent aller Menschen an einer Pollenallergie“, so der Vorstand der Klinik für Dermatologie und Venerologie am Linzer Kepler Universitätsklinikum.

Auf die leichte Schulter sollte man diese nicht nehmen: „Häufig beginnen die Probleme relativ harmlos – einen Schnupfen empfinden Betroffene meist nicht so tragisch“, berichtet Neuhofer aus der Praxis. „Jedoch können sich auch scheinbar geringe Belastungen über die Jahre summieren und Langzeitschäden verursachen. Im Alter werden die Reserven immer geringer und die Symptome schwerer“, führt er die Gefahr dabei an. Neuhofer rät dazu, bereits erste Anzeichen einer Allergie medizinisch abklären zu lassen, etwa mittels Hauttests (Skin-Prick-Test) oder Nachweis spezifischer IgE-Antikörper im Blut.

Das Immunsystem unterstützen

Während die symptomatische Behandlung mit antiallergischen Wirkstoffen nur die Beschwerden bessert, zielt eine Hyposensibilisierung (spezifische Immuntherapie) direkt auf die Erkrankungsursache ab. Mittels Spritze injiziert, oder als Tablette verabreicht, wird das körpereigene Abwehrsystem mit den Allergie-auslösenden Substanzen in Berührung gebracht. „Man beginnt mit einer kleinen Dosis, die sukzessive gesteigert wird“, sagt Neuhofer. „Das Immunsystem soll zur Umkehr bewegt werden“, nennt der Dermatologe das Ziel dabei.

Man kann sich das in etwa so vorstellen, als ob wir uns immer und immer wieder denselben Horrorfilm ansehen. Fallen wir anfangs noch panisch vom Sessel, so verlieren die furchteinflößenden Szenen mit der Zeit an Schrecken. Ähnlich verhält es auch sich bei unserem Immunsystem: Tritt ein Gewöhnungseffekt ein, werden Pollen, Hausstaubmilben und Co besser toleriert, die allergische Reaktion erfolgt dann weniger heftig. „In 40 bis 60 Prozent der Fälle lässt sich durch die Hyposensibilisierung eine Besserung erzielen, insofern, als dass Patient*innen weniger Medikamente benötigen“, spricht sich Hötzenecker für diese Therapieform aus: „So kann man das Risiko für einen Etagenwechsel – also den Übergang auf die unteren Atemwege – deutlich reduzieren.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Heuschnupfen zu allergischem Asthma auswächst, ist dadurch geringer. Laut dem Experten gilt das vor allem für Kinder.

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Welche SOS-Maßnahmen bringen Linderung, bei …

 … verstopfter Nase? Kurzzeitig angewandt sorgen abschwellende Nasensprays für Erleichterung. Dampfbäder mit Kochsalzlösung befeuchten die gereizte Nasenschleimhaut und können unangenehmen Juckreiz verringern. Nasenspülungen mit Kochsalz tragen dazu bei, die Pollenbelastung in der Nasenschleimhaut zu reduzieren. Generell lassen sich Heuschnupfen-Symptome durch Antihistaminika abmildern. Diese haben eine antiallergische, juckreizstillende und entzündungshemmende Wirkung und sind in verschiedenen Darreichungsformen verfügbar. Manche Mittel wirken lokal in der Nase oder im Auge, andere werden als Tablette eingenommen.

… juckenden, tränenden Augen? In der Bindehaut der Augen sitzen viele Zellen, die an der Immunabwehr unseres Körpers arbeiten und Allergene bekämpfen. Augentropfen mit Antihistaminika oder Kortison können übermäßige Reaktionen eindämmen. Mastzellenstabilisatoren verhindern den Austritt von Histamin aus bestimmten Körperzellen, den Mastzellen. Sie werden meist vorbeugend, zwei bis drei Wochen vor der Pollensaison angewandt.

… allergischem Asthma? Die Behandlung von allergischem Asthma stützt sich auf zwei Säulen: Einerseits gilt es, die Entzündung in den Atemwegen abzuschwächen und die Entzündungsbereitschaft der Bronchien zu dämpfen. Um das zu erreichen, kommt oft niedrig dosiertes Cortison (Glukokortikoide) zum Einsatz, das als Spray verabreicht wird. Cortison ist unserem körpereigenen Hormon Cortisol – dem Schalthebel unseres Abwehrsystems – sehr ähnlich. Andererseits stehen Medikamente zur Verfügung, die im Akutfall angewandt werden können, allen voran Mittel, die die Bronchien erweitern und die Atmung erleichtern.

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Allergien vorbeugen – von klein auf

 Es gibt keinen einheitlichen Auslöser für eine Allergie, vielmehr sind oft viele Faktoren an der Entstehung beteiligt. „Man kann sich das wie ein Fass voller Wasser vorstellen“, findet Hötzenecker ein passendes Bild: „Wenn zu bestehenden Risikofaktoren noch ein weiterer hinzukommt, dann kann das wie der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

Was können wir tun, um den Wasserstand – und damit das Allergierisiko – gering zu halten? 

  • Auf Kriegsfuß mit Schadstoffen und Chemikalien: Man weiß heute, dass in Städten mit verunreinigter Luft prozentual mehr Menschen mit Allergien leben als in Gebieten, in denen die Luft sauber ist. Insgesamt verbessert sich die Luftverschmutzung zwar, gleichzeitig erscheinen aber mehr ultrafeine Partikel – etwa von Dieselruß – mit gesundheitsschädlicher Wirkung. Auch Chemikalien, wie sie in Weichspüler und Klarspüler enthalten sind, stehen im Verdacht, Allergien zu begünstigen. „Zumindest in Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass diese Substanzen den Darm durchlässiger machen“, bezieht sich der Dermatologie-Primar auf Studien. Ihm zufolge könnten Allergene dadurch tiefer in die Darmschleimhaut eindringen. „Man geht davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, einer Nahrungsmittelallergie dadurch zunimmt“, so der Mediziner.
  • Startklar in Mamas Bauch: Hat man Frauen früher noch empfohlen, bestimmte Lebensmittel in der Schwangerschaft zu meiden, so raten Expert*innen heute dringend davon ab. Eine allergenarme Kost vermindert nicht das Allergierisiko bei kleinen Bauchbewohner*innen. Wichtig ist, dass sich werdende Mütter abwechslungsreich ernähren und dem Glimmstängel abschwören. Der Grund dafür: Raucht Mama in der Schwangerschaft, so haben ihre Kinder später ein höheres Risiko, Allergien, Asthma und andere chronische Atemwegserkrankungen zu entwickeln.
  • Schützende Untermieter: Wir alle beherbergen einen bunten Zoo aus Kleinstlebewesen in uns: das Mikrobiom. Ob im Darm, auf der Haut oder in der Lunge – der Mensch ist durch und durch von Bakterien, Viren und Pilzen besiedelt. Jeder Keim, mit dem wir im Laufe unseres Lebens in Berührung kommen, fördert die Vielfalt dieser mikrobiellen Wohngemeinschaft. Umgekehrt können übertriebene Hygienemaßnahmen, Kaiserschnitte (ohne medizinische Notwendigkeit) und Antibiotikagaben in frühen Lebensjahren zu einer nachteiligen Modulation unseres Mikrobioms führen. Die Folge kann ein erhöhtes Allergie-Risiko sein.
  • Auf der Welt! Sowohl bei der Entwicklung des Mikrobioms als auch bei der Allergieentstehung gelten die Geburt und Babys erstes Lebensjahr als besonders sensible Phasen. Vor allem Stillen wirkt sich protektiv auf das Allergierisiko aus. Jedoch können und wollen nicht alle Mamas stillen, was vollkommen in Ordnung ist. Bei allergiegefährdeten Säuglingen ist es ratsam, auf hydrolysierte Babynahrung auszuweichen. Zum besseren Verständnis: Wie alle Eiweiße besteht auch Kuhmilcheiweiß aus einem Buchstabencode, dieser ist aus Aminosäuren aufgebaut. Im Falle einer Allergie kann das Immunsystem mit dieser Kombination an Buchstaben so rein gar nichts anfangen. Durch Hydrolyse wird das Kuhmilcheiweiß dahingehend aufbereitet, dass es vom Immunsystem des Säuglings nicht mehr als fremd erkannt wird. „Nicht empfehlenswert ist es, milchbasierte Nahrung, z.B. Kuh-, Ziegen-, oder Schafsmilch, zu füttern“, informiert der Facharzt. Das Risiko einer Milchallergie sei dadurch erhöht.
  • Babys erste Löffelchen: Lange Zeit war man davon überzeugt, dass die Beikost sehr langsam aufgebaut werden müsse, um das kindliche Immunsystem nicht zu überfordern. Heute ist vielmehr „learning by doing“ angesagt. Durch die schrittweise Zufuhr von immer mehr Nahrungsmitteln wird das Immunsystem trainiert – es gewöhnt sich an die Speisevielfalt und lernt, nicht auf Abwehrkurs zu gehen.

 

Foto: (c) gettyimages_damiangretka

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