Neugier

August 2014 | Leben & Arbeiten

Warum Lernen glücklich macht
 
Es ist eine bedeutende Erkenntnis der Wissenschaft und ein echter Trost für alle, denen es schwer fällt: Lernen macht glücklich! Warum das so ist, womit wir unserem Gehirn mehr schaden als nützen – das und mehr erläutert der bekannte Hirnforscher Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer im Gespräch mit MEDIZIN populär.
 
Von Wolfgang Kreuziger

MEDIZIN populär
Herr Prof. Spitzer, Lernen – dabei denken wir vor allem an große Anstrengung und stressige Prüfungen. Muss Wissenserwerb mühsam sein?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer
Leider nennen wir die Schule den „Ernst des Lebens“, und leider denken wir beim Lernen zunächst an „Pauken“ – beides ist nicht gut und entspricht eigentlich nicht dem menschlichen Wesen. Eigentlich macht Lernen Spaß!

Laut jüngsten Erkenntnissen macht lernen sogar glücklich. Wie das?
Der Zusammenhang zwischen Lernen und Glück ist in der Tat sehr eng. Was sich bei Glücksgefühlen im Gehirn abspielt, wissen wir durch die moderne Bildgebung von Gehirnfunktionen sehr genau: Aus dem Zwischenhirn wird der Botenstoff Dopamin in das Glückszentrum, den sogenannten Nucleus accumbens, ausgeschüttet, der Endorphine ins Frontalhirn schickt. Das passiert vor allem dann, wenn wir etwas erleben, das besser ist, als wir erwartet hatten. Das heißt: Unser Belohnungssystem wird immer dann aktiviert, wenn wir etwas Neues, Positives lernen. Dies wiederum bewirkt, dass gerne und rasch gelernt wird.

Heißt das, wir sollten akzeptieren, dass Glück in erster Linie übers Lernen zu finden ist?
Unsinn! Niemand muss akzeptieren, dass er zwei Beine zum Laufen hat, man könnte sie sich auch abschneiden. Ähnlich absurd wäre es aber, nicht zu akzeptieren, dass das Gehirn so funktioniert, wie es eben funktioniert. Es ist doch so: Wenn man die Funktion von beispielsweise einem Fahrrad verstanden hat, dann kann man es besser verwenden. Nicht anders ist es beim Gehirn.

Wie funktioniert denn nun das Lernen im Gehirn?
Die rund 100 Milliarden Nervenzellen im Gehirn verarbeiten Informationen dadurch, dass sie sich diese gegenseitig in Form elektrischer Impulse zuspielen. Durch diese Impulsströme verändern sich die Verbindungen zwischen den Nervenzellen: Die Synapsen werden stärker. Und die Stärkung der Synapsen wiederum ist nichts anderes als Lernen. Das erklärt auch, warum die Verarbeitung von Informationen immer besser funktioniert, je mehr schon verarbeitet wurde – durch Lernen eben.

Funktioniert das bei Kindern noch anders als bei Erwachsenen?
Kleine Kinder lernen mit unglaublicher Geschwindigkeit Laufen, Sprechen und was es in der Welt alles gibt – ganz ohne jede Unterweisung, einfach so, durch Erfahrung in und mit der Welt und natürlich vor allem auch mit anderen Menschen. Durch viele unterschiedliche Erfahrungen vernetzen sich wie beschrieben die Nervenzellen untereinander. Das muss in der Kindheit und Jugendzeit erfolgen! Wer mit 17 dann schon drei Instrumente kann, lernt das vierte schnell; und wer schon mit vielen Werkzeugen umgehen kann, lernt ganz leicht die Handhabung eines neuen. Das Gehirn ist also kein Schuhkarton, in den nur noch die Hälfte hineinpasst, wenn er schon halb voll ist. Das Gehirn ist vielmehr ein paradoxer Behälter von Informationen, in den umso mehr hineinpasst, je mehr schon drinnen ist. Richtig schlechte Karten hat jedoch derjenige, der mit 20 noch nichts gelernt hat: Da passt dann nichts mehr hinein! Denn der Erwachsene lernt eben nicht mehr durch rasche, große Änderungen von Synapsen, sondern durch „Anhängen“ von Neuem an bereits Bekanntes.

Wie können wir unserem Gehirn das Lernen leichter machen?
Je aktiver jemand mit den Lerninhalten umgeht, desto besser. Eine Vokabel gelangweilt vor sich hinzubrabbeln, ist das dümmste, was man tun kann. So lernt man nicht! Wer sich hingegen über das Wort Gedanken macht oder sich selbst Eselsbrücken baut, bei dem wird es leichter hängen bleiben. Neueste Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass Aufschreiben besser ist als das Tippen am Computer. Groß ist auch die Bedeutung von Bewegung, etwa in Lernpausen oder direkt während des Lernens.

Und was erschwert das Lernen?

Negative Emotionen beispielsweise. „Das kannst du sowieso nicht“, ist so ziemlich das Schlimmste, was ein Lehrer sagen kann – und das kommt in unseren Schulen leider oft genug vor. Immer nur mit dem konfrontiert zu sein, was man nicht kann, hält niemand lange aus. Es gilt vielmehr, die Stärken zu betonen.

Sie gelten als harter Kritiker der zunehmenden Informationstechnologie, die dem Menschen im Allgemeinen und dem Gehirn im Besonderen Arbeit abnimmt. Schaden uns Handy, PC und Navi tatsächlich?
Ja, definitiv! Die Sache ist doch ganz einfach: Wenn Sie Ihr Gehirn nicht benutzen, dann verkümmert es, nicht viel anders als ein Muskel, der nicht gebraucht wird. Dies ist ja gerade die wichtigste Erkenntnis der Forschung aus den letzten 30 Jahren: Das Gehirn ändert sich mit seiner Benutzung; man nennt diesen Vorgang Neuroplastizität.

Wie verändert denn die Nutzung digitaler Medien unser Gehirn?
Es geht mir vor allem um die Gefahren der immensen Nutzung digitaler Medien durch junge Menschen, deren Gehirn sich noch ausbildet. Kinder und Jugendliche brauchen die reale Welt und keinen faden digitalen Abklatsch davon, damit sich ihre Gehirne richtig entwickeln.
Siebeneinhalb Stunden Bildschirmmediennutzung pro Tag – das sagen aktuelle Daten über unsere Jugend – können in Anbetracht der Erkenntnisse zu Neuroplastizität eines nicht haben: keine Auswirkungen auf das Gehirn! Wenn sich das Gehirn aber in Kindheit und Jugend nicht entsprechend entwickelt, erreicht es nie das eigentlich mögliche Funktionsniveau und baut später schneller ab. Ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von „Digitaler Demenz“.

Das dicke Ende kommt also dann im Alter?
Demenz heißt ja zunächst nichts anderes als „geistiger Abstieg“, und wie bei jedem Abstieg dauert auch er umso länger, je höher das Ausgangsniveau ist. Ein Beispiel: Im Vergleich zu Menschen, die nur ihre Muttersprache sprechen, bekommen jene, die eine Fremdsprache beherrschen und auch gelegentlich verwenden, die Symptome der Alzheimer-Demenz gute fünf Jahre später, wie gleich mehrere Studien aus den letzten Jahren zeigen. Dabei verhindert die zweite Sprache keineswegs das Absterben von Nervenzellen im Gehirn. Vielmehr bewirkt die Zweisprachigkeit eine Erhöhung der Gehirnvernetzung und der sogenannten „kognitiven Reserve“ und damit auch einen höheren Ausgangspunkt beim Abstieg.

Welche Erkenntnisse der Gehirnforschung können wir noch ins reale Leben umsetzen?
Ich hoffe, dass wir mit mehr Freude viel mehr lernen werden. Und den Älteren sei gesagt: Das beste Gehirnjogging im Alter ist Jogging! Denn bei sportlicher Betätigung wachsen auch im Gehirn des älteren Menschen Nervenzellen nach. Diese neuen Zellen müs­sen allerdings gebraucht werden, um sich mit den bereits vorhandenen zu verbinden. Und dazu braucht es Neugier! Denn dazu muss das Gehirn neue Inhalte bearbeiten, also nicht einfach nur wie etwa beim Lösen von Kreuzworträtseln bekannte Inhalte abrufen. Aus dieser Sicht ist ein Enkel das Beste, was einem im Rentenalter passieren kann! Das ist keine Sozialromantik, nein, das sagt die Gehirnforschung!    

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Nucleus accumbens: Das Genusszentrum

Es wird Glücks-, Lust-, Belohnungs- und neuerdings auch Lernzentrum genannt: jene Stelle im Gehirn, an der Freude ihren Ausgangspunkt hat. Erst 1997 wurde der „Nucleus accumbens“ beim Menschen entdeckt. Dieses Bündel von Nervenzellen im Vorderhirn wird etwa beim Essen, beim Sex und – wie man seit einigen Jahren weiß – beim Lernen aktiv. Dann sorgt es dafür, dass Endorphine ins Frontalhirn abgegeben werden, die ein Gefühl der Freude und Zufriedenheit auslösen. Mit diesem Genusszentrum hat uns die Natur deswegen ausgestattet, damit wir voller Motivation jenen Tätigkeiten nachgehen, die in erster Linie der Fortpflanzung und Weiterentwicklung unserer Art dienen. Da auch Drogen, Zigaretten und Alkohol das Genusszentrum aktivieren, ist Sucht so tückisch – und schwierig loszuwerden.

Stand 07/2014

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