Allergisch gegen Nahrung, Medikamente, Insektengift

Mai 2014 | Leben & Arbeiten

Alles über die „Feinde im Blut“
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Via Haut und Schleimhäute geraten sie ins Blut: Proteine, Ölderivate und chemische Stoffe aus Nahrungsmitteln, Medikamenten, Insektengift. Hat das fehlgeleitete Immunsystem eines Allergikers diese an sich harmlosen Substanzen einmal zu Feinden erklärt, geschieht prinzipiell dasselbe wie bei jeder Allergie: Antikörper, sogenannte spezifische IgE in Blut und Gewebe, die auf die Allergene angesetzt sind, binden sich an Immunzellen und sorgen dafür, dass Histamin freigesetzt wird. „Histamin wiederum setzt die Reaktionen in Gang, die der Abwehr der vermeintlichen Feinde dienen“, schildert Dr. Petra Zieglmayer, Leiterin der Forschungsabteilung des Allergiezentrums Wien West, den weiteren Verlauf.
Das Tückische an den Feinden im Blut: Beim Kontakt mit den Allergenen aus Nahrungsmitteln, Medikamenten und Insektengift wird das Histamin in besonders großer Menge ausgeschüttet. So kann es im Extremfall nach dem Essen, nach einer Tabletteneinnahme oder einem Insektenstich zu Gefäßerweiterungen, Blutdruckabfall, Schwindel, Übelkeit, Atemnot bis hin zu Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislaufzusammenbruch kommen. „Anaphylaktischer Schock wird diese schwere allergische Reaktion genannt, die tödlich enden kann“, warnt Zieglmayer.

Immer mehr Kinder betroffen

Wie viele Menschen an so einem Schock sterben, ist nicht erfasst. Laut einem Anaphylaxie-Register, das 2006 geschaffen wurde, weiß man nur, dass seither in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehr als 5600 Menschen eine derart lebensbedrohliche allergische Reaktion durchleiden mussten. Bekannt ist auch, dass offenbar immer mehr Kinder betroffen sind. Zumindest hat sich nach Angaben der Europäischen Akademie für Allergie und klinische Immunologie (EAACI) die Zahl der Kinder, die mit einer allergischen Schockreaktion in der Notaufnahme eines Spitals landeten, in den vergangenen zehn Jahren europaweit versiebenfacht.
Diese dramatische Zunahme, so meinen Experten, liege teils daran, dass die Zahl der Allergiker weiter gestiegen ist, teils aber auch an den besseren Diagnosemöglichkeiten. Zieglmayer: „Da hat sich zuletzt viel getan.“ So können Schockreaktionen heute schneller auf eine Allergie zurückgeführt werden, und in den Allergiezentren lassen sich die Auslöser leichter denn je enttarnen.
Wie vielen Österreichern die besonders gefährlichen Feinde im Blut zu schaffen machen, lässt sich nur schätzen. Vier bis zehn Prozent sollen von einer Medikamenten- oder Insektengiftallergie betroffen sein. Auch bei den Nahrungsmittelallergien liegen keine genauen Zahlen vor: „Aus Umfragen weiß man, dass 13 bis 20 Prozent der Menschen glauben, sie selbst oder ihre Kinder seien allergisch auf bestimmte Lebensmittel“, erzählt Zieglmayer aus der Praxis. „In Tests stellt sich dann aber heraus, dass nur ein bis drei Prozent tatsächlich eine Nahrungsmittelallergie haben.“ Dabei handelt es sich vor allem um Kinder, denn die teils heftigen Reaktionen auf Milch, Nüsse, Eier, Fisch & Co klingen bis zur Pubertät meist von selber ab. Bei den übrigen Patienten, die sich für Nahrungsmittelallergiker halten, weil sie nach dem Essen Beschwerden haben, wird oft nur eine Unverträglichkeit bzw. Intoleranz festgestellt. „Weil die Symptome ähnlich sind, kommt es hier oft zu Verwechslungen“, weiß Zieglmayer. „Doch Intoleranzen beruhen auf anderen Mechanismen als Allergien und sind weit weniger gefährlich.“

Ausschlag, Übelkeit, Asthma

Abgesehen vom Risiko des lebensgefährlichen anaphylaktischen Schocks bescheren Insektengift, Medikamente und Nahrungsmittel den Allergikern noch eine ganze Reihe anderer äußerst unangenehmer Beschwerden. „Die häufigsten Symptome sind Reaktionen der Haut“, informiert Priv. Doz. Dr. Fritz Horak, Ärztlicher Leiter des Allergiezentrums Wien West. So treten meist unmittelbar nach dem Kontakt mit dem Allergen Rötungen und Schwellungen am gesamten Körper auf. In der Folge können sich Quaddeln, Ausschläge und Ekzeme bilden. Manchmal gesellen sich Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen hinzu. Eher selten, aber doch können Niesattacken, Schnupfen, Husten, ja sogar Asthmaanfälle Reaktionen auf die vermeintlichen Feinde im Blut sein. Babys und Kleinkinder unter den Nahrungsmittelallergikern können sogar Beschwerden bekommen, ohne das entsprechende Lebensmittel gegessen zu haben: „Oft treten bereits Symptome nach dem Hautkontakt mit dem Allergen auf, also wenn zum Beispiel ein Tropfen Milch auf die Haut geraten ist“, so Horak.

Biene, Milch, Penicillin

Neben Milch sind es vor allem Erd- und Baumnüsse sowie Eier und Fisch, die häufig Nahrungsmittelallergien auslösen. Aber auch die Proteine und Ölderivate in Krustentieren (besonders Garnelen), in Getreide, Sojabohnen und Gewürzen zählen nach den Erfahrungen Zieglmayers zu den verbreiteten Feinden im Blut. Geht die Nahrungsmittel- auf eine Pollenallergie zurück, so handelt es sich dabei um eine sogenannte Kreuzreaktion: Dann verursachen pflanzliche Proteine in Obst und Gemüse, die den Proteinen in Pollen gleichen, die Beschwerden. Meist werden Äpfel, Birnen, Sellerie und Tomaten für die Betroffenen zum Problem. Unter den Medikamenten wiederum sind es häufig Antibiotika, die zu allergischen Reaktionen führen können, allen voran Bestandteile von Penicillin. Auch Inhaltsstoffe von Schmerzmitteln werden von so manchem Im­munsys­tem irrtümlich bekämpft. Und für Insektengiftallergiker können Bienen und Wespen gleichermaßen lebensgefährlich werden.

Hauttest, Bluttest, Provokation

Ob Milch oder Erdnuss, Antibiotika oder Wespenstich: Die Übeltäter so gut wie möglich zu meiden, ist der wichtigste ärztliche Rat für Allergiker. Doch um das überhaupt tun zu können, braucht es eine richtige Diagnose. Um eine Insektengiftallergie zweifelsfrei festzustellen, reicht ein Haut- bzw. Bluttest. Für die Diagnose einer Medikamenten- oder Lebensmittelallergie kann ein Provokationstest notwendig werden. „Dazu wird den Betroffenen unter ärztlicher Beobachtung im Krankenhaus das mutmaßliche Allergen verabreicht und beobachtet, wie sie darauf reagieren“, beschreibt Zieglmayer die Vorgangsweise.  
Stellt sich eine Allergie auf eine Substanz heraus, die in vielen Lebensmitteln enthalten ist, so empfiehlt es sich, nach Alternativen zu suchen, um Mangelerscheinungen zu vermeiden. „Wer auf Getreide allergisch reagiert, verträgt oft Reis oder Mais gut, wer Kuhmilch nicht verträgt, hat mit Schaf- oder Ziegenmilch wahrscheinlich kein Problem“, nennt Zieglmayer Beispiele. Erhitzen wiederum ist ein guter Trick, die Übeltäter unschädlich zu machen: „Beim Kochen oder Braten zerstört die Hitze die Struktur des allergieauslösenden Proteins, und die Allergiker bleiben beschwerdefrei.“ Für Medikamentenallergiker gibt es meist gut wirksamen Ersatz vom Arzt. Eine spezifische Immuntherapie hilft bei der Insektengiftallergie: Dabei werden die Allergene erst in kleinen, dann in größeren Dosen injiziert, und zwar so lange, bis sich das Immunsystem daran gewöhnt hat und nicht mehr dagegen ankämpft.

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Achtung, Lebensgefahr:
Ausweis & Notfallset mitführen!

Ob Nahrungsmittel-, Medikamenten- oder Insektengiftallergie: Betroffene sollten stets einen Allergieausweis mit sich führen. „Außerdem ist zu empfehlen, immer eine Notfallausrüstung dabei zu haben, mit der allergische Reaktionen  verhindert oder zumindest die Beschwerden gelindert werden können“, so der dringende Rat von Dr. Petra Zieglmayer vom Allergiezentrum Wien West. Das Set besteht aus einem schnell wirksamen Antihistaminikum, das die Ausschüttung von Histamin bremst, einem Glukokortikoid zur Eindämmung der Aktivitäten des Immunsystems und zur Linderung von Schwellungen, sowie einem Adrenalin-Präparat, das einem Kreislaufzusammenbruch und dem lebensgefährlichen anaphylaktischen Schock vorbeugen kann.

Buchtipp:
Schimmer
Allergien. Erkennen – behandeln – damit leben
ISBN 978-3-902552-39-6
126 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte

 

Stand 05/2014

 

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