Heilsamer Pedaltritt

April 2019 | Fitness & Entspannung

Niedrige Gänge für ein gesundes Herz: Warum Radfahren schlank, stark, und klug macht.
 
– Von Wolfgang Kreuziger

Die genialsten Geistesblitze kommen einem oft im Fahrradsattel: Physiker Albert Einstein erfand auf dem Fahrrad die Relativitätstheorie und Schriftsteller Henry Miller ersann strampelnd so manchen Roman.
Mittlerweile erfreuen sich stolze fünf Millionen Österreicher am regelmäßigen Tritt in die Pedale und haben in Summe sechseinhalb Millionen Fahrräder in ihren Radkellern geparkt – das sind mehr, als wir Autos haben. Dennoch radelt das rot-weiß-rote Sportlervolk laut Kuratorium für Verkehrssicherheit in der Häufigkeit der Rad-Nutzung dem EU-Schnitt hinterher, viele Gefährte rasten und rosten. „Das ist schade“, findet Univ. Prof. Dr. Christian Gäbler, Facharzt für Unfallchirurgie und Leiter des Sportambulatoriums Wien. „Denn in Kombination aus Trainingseffektivität und der gleichzeitigen Schonung empfindlicher Körperstellen ist Radfahren der wahrscheinlich gesündeste Sport überhaupt.“

Das Spiel mit der Gravitation

Was macht Radfahren so heilsam und gesundheitlich profitabel? Es punktet vor allem durch sein vorteilhaftes Spiel mit den Gravitationskräften: Während Volleyballer beim Sprung bis zum Siebenfachen ihres Körpergewichts abfedern müssen und Jogger im Wald eine Belastung bis zum Fünffachen ihres Gewichts erfahren, ist es auf dem Stahlross nur ein Bruchteil dessen. „Durch das Sitzen auf dem Sattel werden 70 bis 80 Prozent des Körpergewichts aufgefangen, und die Belastung der Gelenke ist daher ausgesprochen gering“, bringt es Gäbler auf den Punkt. Auch sei die Bewegungsform verglichen mit Ballsportarten viel gleichmäßiger. Auf dem Rad gibt es kein „Stop-and-go“, selbst bei Steigungen ist die Belastung durch die Wahl des richtigen Gangs gleichmäßig und kontrolliert. „Eigenschaften, die diesen Sport für ältere oder übergewichtige Menschen, aber auch für solche mit Vorerkrankungen und Opens external link in new windowGelenksschäden zum einzigen, rückhaltlos empfehlenswerten machen“, erklärt der Experte.

Super-Kardiotraining mit Adrenalinkick

Das große Schwitzen am Drahtesel offeriert so nebenbei immer auch ein kleines Abenteuer, 25 bis 30 Stundenkilometer erreicht auf ebener Straße selbst der Hobbyathlet, oder er genießt einen Frischluftkick in blühender Natur oder im Wald. Gäbler kennt das aus eigener Erfahrung: Nach der Arbeit radelt er gerne mit dem Mountainbike auf die Berge des Wienerwaldes. „Beim Anstieg absolviert man ein perfektes Kreislauftraining, das extrem effektiv auf den Herzmuskel und die Ausdauerleistung wirkt und genießt dann bei der Bergabfahrt den Adrenalinstoß“, schwärmt er. Womit die Liste der Vorteile dieses Sports noch lange nicht zu Ende ist. Sie reicht von der trainierten Muskulatur der Beine, des Rückens und der Hüfte bis hin zur Gleichgewichts- und Koordinationsschulung und der Stärkung des Immunsystems. „Wer regelmäßig radelt, wird seltener krank, verringert sein Herzinfarktrisiko um 60 Prozent und sein Krebsrisiko um 50 Prozent“, führt Gäbler aus, „das ist genial.“ Pedaltreten wirkt überdies nachweislich stimmungsaufhellend. „Es zählt zu den anerkannten Bestandteilen der Depressionstherapie“, versichert der Sportmediziner, „dabei fließen Hormone wie Serotonin, die uns froh und gut gelaunt machen.“

Niedrige Gänge fürs Opens external link in new windowgesunde Herz

Kein Wunder, dass Einstein auf dem Rad die besten Einfälle hatte: Studien zeigen, dass dabei neue Zellen im Gehirn entstehen, welche die geistige Leistungsfähigkeit steigern. Wenn die Radtour nicht die gewünschte Freude bringt, liegt dies wahrscheinlich an der falschen Technik. „Aus Sicht eines herzgesunden Trainings sollte konstant niedertourig gefahren werden statt dreimal fest in einen hohen Gang zu treten und dann auszurollen, wie ich es oft sehe“, rät Gäbler. Damit sich ein messbarer Trainingseffekt einstellt, empfiehlt er, mit einer Pulsuhr dreimal wöchentlich mindestens eine halbe Stunde im Bereich einer Herzfrequenz jenseits der 130 Schläge pro Minute zu radeln. Gesundheitliche Gründe, vom Radfahren abzuraten, gebe es nahezu keine. „Nur Patienten mit massiven Herzproblemen oder Gleichgewichtsstörungen dürfen nicht auf den Sattel“, betont der Arzt. Vom Diabetiker bis zum Schlaganfallpatienten gibt er grünes Licht für das Radsportabenteuer, bei gesundheitlichen Problemen rät er zu einer ärztlichen Untersuchung vor dem Trainingsstart.

Achtung bei Rahmen, Sattel und Vorbau    

Die Neueinsteiger unter den Pedalrittern feiern den Startschuss ins neue Hobby gerne mit dem Kauf eines schneidigen Zweirad-Flitzers. Die Typenwahl ist dabei Ansichtssache: Sportliche Fahrer tendieren zum Mountainbike, BMX- oder Straßenrennrad, gemütlichere eher zum City- oder Trekkingbike. „Kauf und Einstellung sind im Radsport das Um und Auf, trotzdem werden gerade dabei die größten Fehler gemacht“, beobachtet Lukas Pöstlberger, der amtierende heimische Straßenrad-Staatsmeister und 2017 Etappengewinner beim Giro d’Italia. „Ich rate grundsätzlich dazu, ein kompetentes Fachgeschäft aufzusuchen“, betont der 27-Jährige. Besonders auf drei Komponenten solle beim Kauf geachtet werden: Auf den Rahmen, den Vorbau und den Sattel. „Diese müssen in ihrem Zusammenspiel der Ergonomie des Fahrers perfekt angepasst sein.“ Pöstlberger kennt die gebräuchlichen Formeln zur Errechnung der korrekten Rahmenhöhe, etwa das Maß der Beinlänge vom Schritt bis zum Boden in Zentimetern, welches mit dem Faktor 0,226 multipliziert wird. „Auch der Sattel spielt eine große Rolle“, ergänzt der Oberösterreicher. „Er muss passend zum individuellen Körperbau des Fahrers garantieren, dass die ganze Last auf den zwei Knochen des Gesäßes, den Sitzhöckern, ruht.“ Eine Aussparung für den Genitalbereich empfiehlt er. Sein Tipp: „Weiche Sättel sind kurzfristig angenehm, harte machen langfristig weniger Probleme.“

Bei der Einstellung zählt jeder Millimeter

Stimmt erst mal die „Hardware“, so sorgt die richtige Feineinstellung aller Komponenten laut Pöstlberger erst für den entscheidenden Schliff. „Als Faustregel für die Sattelhöhe gilt, dass bei unterster Pedalstellung das Bein nicht ganz durchgestreckt sein sollte“, erklärt der Radprofi. Er weiß aus langjähriger Erfahrung, dass der Sattel angepasst an das persönliche Fahrgefühl waagrecht oder bis maximal zwei Grad abwärts geneigt zu montieren ist. Hier zählt wahrlich jeder Millimeter, um Schmerzen und Fehlbelastungen zu verhindern. Der richtige Neigungswinkel des Oberkörpers zum Rad ist ebenfalls ein entscheidender Faktor und von Lenker und Vorbau abhängig. „Daher sollte auf einer gedachten horizontalen Linie zwischen Sattel und jenem Rohr, auf dem der Vorbau montiert ist, eine Armeslänge vom Ellbogen bis zu den Fingerspitzen Platz haben“, so der Oberösterreicher. „Zur perfekten Kraftübertragung sollte bei waagrechter Pedalstellung die Kniespitze exakt über dem Fußballen sein.“
              
Schmerzen nur bei falscher Ausrüstung  

Sind auch die allerletzten unverzichtbaren Requisiten rund um das Stahlross besorgt, steht der ersten Ausfahrt nichts mehr im Wege. Dazu zählen der Profisportler und der Sportarzt den Radhelm, eine Radbrille zum Schutz gegen Staubpartikel und Sonne, Handschuhe sowie eine Radhose mit wattiertem Gewebe zum Schutz der Genitalien. „Viele Männer machen sich Sorgen um ihre Manneskraft, weil sich mitunter durch falsche Haltung oder Ausrüstung ein Taubheitsgefühl in den Genitalien einstellt“, weiß Sportmediziner Gäbler. Mit dem richtigen Sattel und dem passenden Rad sei diese Gefahr ebenso gebannt wie jene, dass Schmerzen und Fehlbelastungen am Ende des Tages noch den Spaß verderben.
„Ich denke, man kann faktisch alle Wehwehchen und körperlichen Beschwerden auf Fehler beim Material zurückführen“, fasst Pöstlberger zusammen. Und der Sportarzt ergänzt: „Wer ein richtig gekauftes, gut eingestelltes Rad fährt, sitzt automatisch in der richtigen Position und wird nie Schmerzen und Beschwerden haben.“

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Drahtesel unter Strom:
E-Bikes erobern den Zweiradmarkt   

Befeuert durch die Kraft aus der Steckdose fahren sie bis zu 45 Stundenkilometer schnell und unterstützen den Sportler, wenn ihm die Puste ausgeht: elektro­getriebene Fahrräder. Laut Verband der Sportartikelerzeuger (VSSÖ) lag ihr Anteil am Gesamtradverkauf in Österreich zuletzt schon bei einem Viertel, rund eine halbe Million E-Bikes gibt es in Österreich bereits. „Aus ärztlicher Sicht befinde ich das Elektrofahrrad für eine tolle Sache“, urteilt Sportmediziner Dr. Christian Gäbler. Er bevorzugt „Pedelecs“ (Pedal Electric Cycle) – Elektrofahrräder, die nur die Tretkraft unterstützen – gegenüber jenen, die auf Knopfdruck ohne menschliches Zutun weit über 25 Stundenkilometer fahren können. „Senioren oder Menschen mit Vorerkrankung können damit Strecken bewältigen, die ihnen ohne Elektrounterstützung nicht möglich wären. Mir ist vor allem wichtig, dass der Fahrer selbst die maximal mögliche Tretarbeit leistet und nicht passiv wie auf einem Mofa dahinflitzt.“    


Webtipp:

Der kleine Fahrrad-Guide: Opens external link in new windowwww.bmvit.gv.at
In dem Pocket-Guide des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie finden Sie die wichtigsten Informationen für sicheres und freudvolles Radfahren (zum Download unter Menü „Verkehr“ – „Fuß- und Radverkehr“ – „Publikationen“).

Stand 04/2019

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