Mütter & Töchter: Warum die Beziehung so schwierig ist

Juni 2006 | Gesellschaft & Familie

Freilich gibt es sie, die harmonische Mutter-Tochter-Beziehung, in der sich beide Seiten gleichermaßen wohl fühlen. In den meisten Fällen aber ist dieses Verhältnis gespickt mit enttäuschten Erwartungen, Kränkungen und Schuldgefühlen. Viele Töchter leiden unter ihren Müttern – und umgekehrt. Lesen Sie, warum das so ist und wie die Beziehung besser gelingen kann.

Von Mag. Karin Kirschbichler

Die Ansprüche sind hoch. Sehr hoch. Eine Mutter soll Wärme und Geborgenheit verströmen, sie soll die Tochter so akzeptieren, wie sie ist, sie ermutigen, den eigenen Weg zu gehen, und ihr schützend und leitend unter die Arme greifen, wann immer sie gebraucht wird. Eine Tochter will von ihrer Mutter Liebe, die höchste Form der Liebe, bedingungslose Liebe: Mutterliebe. Und bekommt sie nicht.

Warum nicht? Weil die Mutter auch nur ein Mensch ist. „Weil sie diese Liebe wahrscheinlich von ihrer eigenen Mutter nicht erfahren hat, weil sie kein Modell hatte, von dem sie lernen konnte“, sagt Mag. Sabine Standenat, klinische Psychologin mit Praxis in Wien. „Es wundert mich immer wieder“, fügt die Therapeutin hinzu, „dass man für alles und jedes eine Ausbildung braucht, nur für die Kindererziehung nicht. Darum geschieht auch so viel Schlimmes.“

Ich liebe dich, wenn…

Was viele Töchter stattdessen von der Mutter bekommen? „Kontrolle, strenge Regeln und einen Haufen alter Programme, die oft unbewusst vermittelt werden und die das komplette Gegenteil von bedingungsloser Liebe sind. Das äußert sich in meist nur indirekt ausgesprochenen Forderungen an die Tochter wie: Du wirst nur geliebt, wenn… Zum Beispiel: wenn du etwas leistest!“ Und schon beginnt der Teufelskreis, aus dem sich viele Töchter ein Leben lang nicht befreien können. Sie starten einen Kampf um diese Liebe, indem sie den Erwartungen der Mutter zu genügen suchen – und scheitern daran.

„Nichts, was ich mache, ist gut genug für sie.“ – „Was ich auch angehe, meine Mama hat nur Kritik für mich übrig.“ – „Sie geht überhaupt nicht auf mich ein. Das war schon in meiner Kindheit so, und das ist auch heute noch so.“ – „Meine Mutter macht mich krank. Sie will über jeden meiner Schritte Bescheid wissen.“ Das sind nur einige der vielen Töchter-Aussagen, mit denen sich Mag. Standenat in den Therapiesitzungen beschäftigt. „Bei 99 Prozent der Frauen, die zu mir kommen, geht es früher oder später um die schwierige Beziehung zur Mama“, erzählt Standenat aus ihrer Praxis.

Niemals so werden wie sie!

Das kommt nicht von Ungefähr. Schließlich hat das Verhältnis zur Mutter Einfluss auf viele Lebensbereiche der Tochter. Etwa auf die Partnerschaft. Frauen, die unter der Lieblosigkeit der Mutter gelitten haben oder leiden, überfordern oftmals ihren Partner mit der Erwartung, permanente Liebesbeweise erbringen zu müssen. Oder aber sie suchen sich unbewusst einen Partner, der sie genauso lieblos behandelt, wie es ihre Mutter getan hat. Die Beziehung zur Mama kann auch die Lebensgestaltung des Kindes beeinträchtigen. So kann es vorkommen, dass die Tochter in der Rolle gefangen bleibt, die ihr die Mutter vorgelebt hat, und sie sich immer wieder mit Unbehagen dabei ertappt, es dem Vorbild gleichzutun. „Du bist wie deine Mutter!“ – kaum eine Frau hört diesen Satz gerne. Es gibt aber auch viele Frauen, die in permanenter Opposition zur Mutter leben. „Niemals so werden wie sie!“ ist ein oft gehörter Satz aus Tochtermund. In jedem Fall lebt das Kind nicht sein eigenes Leben, sondern das seiner Mutter. „Und davon muss sich die Tochter befreien, um ihren eigenen Weg und inneren Frieden finden zu können“, so die Psychologin.

Wenn die Beziehung krank macht

Dr. Beate Schaffer, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin in Wien, erklärt, welche Erkrankungen aus einem belasteten Mutter-Tochter-Verhältnis entstehen können:

  • Funktionsstörungen des Magen-Darm-Traktes: häufig Gastritis, Colitis, Nahrungsmittelunverträglichkeiten (z. B. durch eine geduldig ertragene dominante Mutter, die die „Wut im Bauch“ zur Krankheit macht).
  • Funktionsstörungen der Atemwege: häufig Asthma (z. B. durch eine überängstliche, besitzergreifende Mutter, die die „Luft zum Atmen nimmt“).
  • Erkrankungen der Haut: häufig Neurodermitis, chronischer Juckreiz (z. B. durch eine ablehnende Mutter, deren Verhalten wirklich „unter die Haut geht“).
  • Neurotische Störungen: häufig Angststörungen, hypochondrische Störungen (z. B. durch eine überängstliche, besitzergreifende Mutter).
  • Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen: Anorexie, Bulimie (z. B. durch gestörte weibliche Identitätsfindung).

Der Ausweg aus dem Dilemma

1. Was Töchter für eine gesunde Loslösung von der Mutter tun können

Verabschieden Sie sich von dem Anspruch, dass Sie Ihre Mutter bedingungslos lieben muss. Gestehen Sie ihr zu, dass sie es vielleicht nicht kann.
Erkennen Sie die Realität. Sehen Sie die Mutter als die Person, die sie ist, und nicht als die, die sie sein soll. „Die befreiende Wirkung dieser Erkenntnisse ist nicht zu unterschätzen“, sagt Mag. Sabine Standenat. Diese Einsichten schärfen aber auch den Blick für die guten Seiten der Mutter, die man im Rausch des Konfliktes vielleicht übersehen hat.
Gestehen Sie sich alle Gefühle ein, die Sie Ihrer Mutter gegenüber empfinden. „Das kann von Zorn über Traurigkeit und Schmerz bis zum Hass reichen.“ Das lindert die oft quälenden Schuldgefühle, die viele Töchter ihren Müttern gegenüber haben.
Betrachten Sie Ihre Mutter nicht länger mit den Augen einer Vierjährigen, die verzweifelt um Liebe bettelt, sondern begeben Sie sich mit ihr auf eine Ebene als erwachsene Frau. „Damit durchbrechen Sie das Machtgefälle“, weiß die Psychologin.
Finden Sie eine Erklärung dafür, warum die Dinge in der Kindheit so und nicht anders gelaufen sind. Etwa indem Sie die Art der Erziehung berücksichtigen, die Ihrer Mutter zuteil wurde. Oder auch die anderen Zeitumstände, in denen sie aufgewachsen ist.
Vergeben Sie Ihrer Mutter, dass sie sich so und nicht anders verhalten hat. „Das bedeutet nicht, dass man wirklich schlimme Dinge der Kindheit, die einem die Mutter vielleicht angetan hat, entschuldigt. Es bedeutet nur, dass man der Mutter nicht länger die Macht gibt, über das eigene Leben zu bestimmen. Das ist der allerwichtigste Schritt zur gesunden Loslösung“, sagt Mag. Standenat.
Wenn das Gespräch nicht möglich ist: „Es gibt Mütter, die schon beim leisesten Hauch eines Versuchs, Dinge aus der Vergangenheit anzusprechen, in einen Weinkrampf ausbrechen, davonrennen und sagen: Was ich alles für dich getan habe – und jetzt das! In einem solchen Fall sollte sich die Tochter sagen: Ich kann sie nicht ändern, trotzdem bedeutet sie mir etwas, weil sie meine Mutter ist. Aber ich brauche Distanz, um gesunden zu können.“

2. Was Mütter zum Gelingen der Beziehung beitragen können

Hören Sie Ihrer Tochter zu, wenn sie über gemeinsame Erlebnisse der Vergangenheit mit Ihnen spricht – immer und immer wieder. Und erlauben Sie eine zweite Wahrheit. „Akzeptieren Sie, dass sie Dinge vielleicht ganz anders erlebt hat wie Sie selbst. Geben Sie eventuelle Fehler zu und sagen Sie zu Ihrer Tochter: Es war mir nicht bewusst, was ich getan habe. Ich habe es nicht böse gemeint, ich habe es nicht besser gewusst.“
Hinterfragen Sie sich selbst, statt sich in blinden Vorwürfen zu ergehen. Wenn sich Ihre Tochter kaum bei Ihnen blicken lässt, fragen Sie sich, ob es dafür einen bestimmten Grund geben könnte. Vielleicht neigen Sie dazu, sie zu sehr zu kritisieren, sie mit gut gemeinten, aber unerwünschten Ratschlägen zu überschütten?

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