Der lustlose Mann

Februar 2009 | Partnerschaft & Sexualität

Wenn Frauen wollen und Männer nicht
 
Nun ist endgültig Schluss mit alten Mustern. Denn während Frauen zunehmend lustorientiert leben und das auch zeigen, haben Männer häufiger mit Lustlosigkeit zu kämpfen und verweigern sich. Lesen Sie, warum das Ende der Rollenklischees der Beginn eines erfüllteren Sexuallebens sein kann – und warum Achtsamkeit dabei die Hauptrolle spielen sollte.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Ich kann längst nicht mehr sagen, dass es die Männer sind, die mehr Sex wollen“, räumt Dr. Elia Bragagna, Allgemeinmedizinerin, Psychotherapeutin, Sexualtherapeutin und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Sexualmedizin in Wien, gleich mit einem Vorurteil auf. „Ich habe jetzt sehr oft Paare in der Ordination, bei denen die Frau sehr körper- und  lustorientiert, der Mann wiederum sehr beziehungsorientiert ist.“ Dass der Mann (auch) in die Rolle des „Verweigerers“ bzw. die Frau in jene der Offensiven schlüpft, gab es laut Expertin immer schon. „Es wird jetzt nur offensichtlich und außerdem mehr gefördert, u. a. weil man heute andere Frauenbilder anbietet, man denke nur an die Fernsehserie ,Sex and the City‘,“, erklärt Bragagna. „Deshalb können auch umgekehrte Störungsbilder entstehen, indem immer häufiger auch Männer lustlos werden oder – und das vor allem – Erektionsstörungen entwickeln.“

Ich und meine Rolle

Das stereotype Sexualverhalten werde sich umso mehr ändern, je mehr man aus den überholten Rollenklischees aussteigt, ist die Expertin überzeugt. „Die Sehnsucht, herauszufinden, wer man ist, ist in Frauen wie Männern verankert – nur steht sie in starker Konkurrenz mit dem sozialen Rollenverhalten. Da­rum hätte ich gern, dass man sich von alten Mythen und Klischees löst“, erklärt Bragagna. „Wir müssen vor allem anerkennen, dass wir Individuen sind.“  

Drei Fragen an sich selbst

Anstatt einem Klischee zu entsprechen, sei es deshalb – für Frauen wie Männer – wesentlich, sich selbst kennenzulernen, zu entdecken, was erregt, was Lust macht und befriedigt. „Es kann Phasen geben, in denen man wild darauf ist, sich körperlich auszutoben. Dann ist es z. B. wichtig zu wissen, was der Körper braucht, damit er gut stimuliert ist“, erklärt die Therapeutin. „Manchmal ist es das Wichtigste, sich vom Partner angenommen zu fühlen und mit ihm zu verschmelzen. Und manchmal braucht man es vor allem, als erotische Frau, als erotischer Mann gesehen zu werden.“
Um die Beziehungsbedingungen zu schaffen, die diesen Bedürfnissen entsprechen, sollte man sich fragen: Was braucht mein Körper? Was braucht meine Psyche? Welche sozialen Umstände sind wichtig? „Auf diese drei Bereiche würde ich mich konzentrieren und in jedem dieser Bereiche Befriedigung suchen“, rät die Sexualtherapeutin.

Unlust als Wegweiser

Probleme wie sexuelle Unlust oder der Wunsch nach einer aufregenderen Liebesbeziehung können bei der Selbstfindung als wichtige Wegweiser dienen. Wesentlich sei, die Mängel zu erkennen und die Ursachen partnerschaftlich zu ergründen. „Wenn man z. B. schon beim Gedanken an Sex quasi einschläft, weil er so öde ist, fehlt es möglicherweise an Spontaneität oder Überraschungen“, gibt Bragagna ein Beispiel. Ein anderes Paar wiederum braucht genau diese Vorhersehbarkeit, z. B. indem es sich donnerstags fix Zeit für intime Zweisamkeit reserviert.

Selbst ein Seitensprung sei vor allem ein Hinweis, dass in der Beziehung etwas fehlt. „Ich betrachte ihn als Symptom, bei dem es dem Betreffenden selten um Sex geht, sondern vielmehr darum, (wieder) als sexuelles Wesen gesehen zu werden“, erklärt die Expertin. „Ich hoffe, dass ein Paar stark genug ist, gemeinsam zu hinterfragen, warum es dazu gekommen ist.“

Daneben gebe es aber auch jene, die – mangels anderer Inhalte – immer wieder den Kick durch einen Seitensprung suchen. „Als Partner oder Partnerin muss ich mich dann fragen, warum ich mir jemanden aussuche, der mich ständig irritiert“, erklärt Bragagna. Nicht das Bewerten, sondern das Hinterfragen eines Problems führe schließlich zu einer befriedigenden Lösung. Der wichtigste Rat für ein erfülltes Intimleben? Bragagna: „Menschen, die achtsam mit sich sind, die wissen, wer sie sind und was sie brauchen, die haben guten Sex.“

INTERVIEW

Sind Männer überfordert?

MEDIZIN populär
Frau Dr. Bragagna, sind Männer mit der neuen Lust der Frauen überfordert?

Dr. Elia Bragagna Durchaus. Ich habe mit etlichen Paaren zu tun, bei denen der Mann eine Erektionsstörung entwickelt, weil er sich nicht traut, nein zu sagen. Er will nicht so oft wie die Frau – und indem keine Erektion zustande kommt, entlastet der Körper diesen Mann.

Trifft das auch auf junge Männer zu?

Ja, viele junge Männer leiden unter sozialen Vorgaben, die besagen, dass ein Mann immer will oder One-Night-Stands liebt. Sehr viele entsprechen diesen Klischees überhaupt nicht. Sie bekommen Erektionsstörungen, weil ihr Körper überfordert ist.

Welche Vorurteile machen Männern besonders zu schaffen?

Wenn man die Männer so hinstellt, als ob sie ständig Sex wollten. Es stellt sich oft heraus, dass sie Nähe wollen, aber nicht gelernt haben, zwischen Nähe und Sex zu differenzieren. Oder sie drücken über Sex ihre Liebe aus – das ist einfach eine andere, schöne Ausdrucksform.

Welche Klischees sollten Frauen über Bord werfen?

Sie sollten aufhören, Männer ständig zu sexualisieren. Ein Mann, der sich fallen lässt, sich gut fühlt und schmust, bekommt eine Erektion, weil der Ruhenerv, der Parasympathikus, anspringt. Eine Frau fühlt dann sofort Stress, anstatt sich zu freuen, dass es dem Mann gut bei ihr geht.
 
Und was raten Sie den Frauen noch?

Sich mehr Zeit zu nehmen, um ihre individuellen Bedürfnisse zu entdecken. Eine Frau sollte herausfinden, ob sie eine vaginale oder – wie die meisten – eine klitorale Frau ist, also klitoral zum Orgasmus kommt. Viele bemühen sich immer noch, dem Mythos „vaginal ist ideal“ zu entsprechen, anstatt sich die richtige Stellung zu suchen oder für die richtige Stimulation zu sorgen.

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Respekt und Treue

Was Frauen und Männer wollen
 
Eine Umfrage des „market Instituts“ unter 500 Österreicherinnen und Österreichern belegt, dass die Wertvorstellungen von Frau und Mann in Sachen Partnerschaft und Sexualität gar nicht weit auseinanderliegen. Für 98 Prozent der Frauen und 97 Prozent der Männer ist es demnach sehr wichtig bzw. wichtig, immer an der Beziehung zu arbeiten. Den wichtigsten Stellenwert in einer Partnerschaft hat für Frauen der Respekt gegenüber dem Partner (82 Prozent), gefolgt von Treue (78 Prozent). Bei den Männern rangiert die Treue sogar an erster Stelle, sie wird von 77 Prozent als sehr wichtig eingestuft, gefolgt vom gegenseitigen Respekt (75 Prozent). Ein erfülltes Sexualleben wird von 42 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer als sehr wichtig bewertet.

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