Eine Nacht im Schlaflabor

November 2006 | Medizin & Trends

Wie der Schlaf gemessen wird: Ein Selbstversuch
 
Jeder dritte Österreicher schläft schlecht und wacht am Morgen wie gerädert auf. Das ist unangenehm – und unter Umständen gefährlich: Bestimmte Schlafstörungen können das Risiko eines Herzinfarktes oder Schlaganfalls um das Zehnfache steigern! In hartnäckigen Fällen, wenn die Qual über mehrere Wochen anhält, ist eine Untersuchung in einem Schlaflabor die einzige Chance zur Klärung der Frage, an welcher der mehr als 90 verschiedenen Schlafstörungen die Patienten leiden. Dort stehen ausgeklügelte Methoden zur Verfügung, um den Schlaf zu messen und spezifische Probleme festzustellen, die dann gezielt behandelt werden können.
MEDIZIN populär-Chefredakteurin Mag. Karin Kirschbichler hat die Probe aufs Exempel gemacht und sich dienstlich schlafen gelegt, überwacht von aufmerksamen Helfern, speziellen Messgeräten und Computern. Hier ihr Bericht.

Mein Selbstversuch wird von Univ. Prof. Dr. Bernd Saletu ermöglicht, dem Leiter des Bereichs für Schlafforschung der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie, der mit einem einfachen Beispiel erklärt, warum eine Untersuchung im Schlaflabor so wichtig ist: „Bluthochdruck wird schließlich auch erst therapiert, nachdem man den Blutdruck gemessen hat. So ähnlich ist es auch beim gestörten Schlaf: Man muss der Ursache auf die Spur kommen, um dagegen wirkungsvoll vorgehen zu können.“ Ich habe seinen Rat befolgt und 6,8 Stunden lang im Labor geschlafen, geträumt, gestrampelt und Wellen geschlagen – akribisch aufgezeichnet vom Computer und sorgsam überwacht von einem Nachtassistenten.

Vergoldet und verkabelt

Damit das funktioniert werde ich im Schlaflabor regelrecht verkabelt. Dadurch kann man die Hirnströme im so genannten Elektroenzephalogramm (EEG) darstellen. Das Ankleben von Elektroden an bestimmten Stellen der Kopfhaut ist aufwändig und dauert fast zwei Stunden, hat aber überhaupt nichts Unangenehmes an sich. Auch vor der Spritze, mit der eine leitfähige Flüssigkeit in die kleinen Goldplättchen gefüllt wird, braucht sich niemand zu fürchten. Die dicke, stumpfe Nadel dringt nur in die Elektrode, nicht in die Haut ein.

Nicht nur Hirnstromkurven, auch Muskelspannung, Bein- und Augenbewegungen sind Messgrößen des Schlafs. Entsprechend werden für das Elektromyogramm (EMG) weitere Elektroden angebracht, welche die elektrischen Ströme der Kinn- und Beinmuskeln zu den Messgeräten leiten. Und für das Elektrookulogramm (EOG) klebt man Plättchen im Bereich der Augenwinkel fest, um die bei Augenbewegungen entstehenden elektrischen Signale aufzuzeichnen.

Derart „vergoldet und verkabelt“ geht’s ab ins Bett, wo die Prozedur fortgesetzt wird. Um etwaige Atmungsstörungen abzuklären, bekomme ich einen so genannten Atemthermistor unter die Nase gesetzt, der Nasen- und Mundatmung aufzeichnet. Am Hals wird ein kleines „Schnarchmikrofon“ angebracht, dem kein Geräusch entgehen wird. Um Bauch und Brust schnallt mir der Nachtassistent des Labors so genannte Atemgurte, die Atemanstrengungen und etwaige Atemstillstände registrieren sollen. Die Sauerstoffsättigung des Bluts und der Puls werden über ein mit einem Fingerclip befestigtes Pulsoximeter gemessen. Und auch die Herzaktivität wird die ganze Nacht mittels Elektrokardiogramm (EKG) überwacht, um etwaigen Herzrhythmusstörungen auf die Spur zu kommen.

Licht aus – Strom fließt!

17 dünne Kabel baumeln jetzt an meinem Körper. Damit sie ihre Funktion erfüllen können, werden sie zu einer Art Zopf gebündelt und mit der Elektrodenbox neben dem Bett verbunden. Von dort führt ein Kabel in den Nebenraum, wo die elektrischen Wellen, die ich schlagen werde, die ganze Nacht von einem Computer aufgezeichnet und von „meinem“ Nachtassistenten beobachtet werden.

Um 22.48 Uhr wird das Licht ausgeschaltet, die Aufzeichnung beginnt. 24 Minuten später stört mich der Kabelsalat nicht mehr. Ich sinke ins erste Schlafstadium, in den Dämmerschlaf, nach 96,5 Minuten habe ich Schlafstadium 4, den so genannten Tiefschlaf erreicht, nach 135,5 Minuten die erste REM-Phase (siehe Kasten: Die Bausteine des Schlafs). Ich träume viel, sagt mir der Nachtassistent am nächsten Morgen um 6.57 Uhr, aber ich kann mich an nichts erinnern. Auch nicht an die 410,5 erholsamen Minuten, die ich insgesamt geschlafen habe, nicht an die 102 Beinbewegungen, die der Computer ebenso präzise registriert hat wie jedes andere elektrische Signal meiner Nacht im Schlaflabor.

Schlaf ist Architektur

Anhand der Daten erklären mir die Fachleute, wie die Polysomnographie funktioniert. So nennt sich das aufwändige Untersuchungsverfahren, das seitenweise Datenmaterial über den Schlaf liefert. Sie ist der Höhepunkt der Schlafmessung im Labor, der ausführliche Gespräche mit dem Arzt, verschiedene Tests und Befragungen zur eigenen Einschätzung der Schlaf- und Aufwachqualität vorausgehen und nachfolgen. Alle Ergebnisse der Untersuchung werden mit Normdaten, die an gesunden Schläfern erhoben wurden, verglichen. Etwaige Abweichungen erlauben eine genaue Diagnose der Schlafstörung, der dann eine gezielte Behandlung folgen kann. Um die Ergebnisse der Messung und den Erfolg der Therapie überprüfen zu können, sollten die Patienten jeweils im Abstand von einer Woche zwei bis drei Nächte im Schlaflabor verbringen.

Ein Herzstück der Polysomnographie ist die Erstellung eines Schlafprofils, das die Abfolge und Dauer der einzelnen Schlafstadien zeigt. Denn der Schlaf, das weiß man längst, ist alles andere als ein passives Geschehen. Vielmehr gehorcht er den eisernen Gesetzen einer Architektur, die aus bestimmten Bausteinen aufgebaut und in verschiedenen Ausprägungen von elektrischen Wellen sichtbar wird. Die Schlafforschung unterscheidet zwischen so genanntem Non-REM-Schlaf- und REM-Schlaf-Phasen, die einander während der Schlafenszeit immer wieder abwechseln. Die Non-REM-Phase wird außerdem in vier Schlafstadien unterteilt, die vom leichten Dämmerschlaf bis zum Tiefschlaf reichen.

Entgegen der landläufigen Meinung ist der Tiefschlaf nicht der „bessere“ Schlaf. „Jedes einzelne Schlafstadium hat seinen Sinn“, erklärt Prof. Saletu, der auch das Schlaflabor im Rudolfinerhaus in Wien leitet. „Gut ist der Schlaf dann“, so der Experte, „wenn er eine regelrechte Architektur aufweist, wenn jedes Schlafstadium zu einem bestimmten prozentuellen Anteil gegeben ist.“

Ist das nicht der Fall, so kann der Schlaf seine wichtigen Aufgaben für Körper und Geist nicht erfüllen. Auf die lange Bank geschobene Schlafstörungen beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit, sie machen mit der Zeit krank. Dasselbe gilt für „irgendwie“ behandelte Schlafstörungen. Nicht jedes Medikament, nicht jede Therapiemethode ist für jedes Problem gleichermaßen geeignet.

Die richtige Behandlung hängt von verschiedenen Kriterien ab. Bei den meisten Patienten genügen vergleichsweise einfache klinische Maßnahmen, in hartnäckigen Fällen kommt man aber um eine Untersuchung im Schlaflabor nicht herum. Prof. Saletu: „Bei länger dauernder Krankheit und erfolgloser Therapie muss man beim Schlafgestörten das messen, was gestört ist, nämlich den Schlaf selbst. Das ist so ähnlich wie die Blutzuckerbestimmung bei der Einstellung eines Diabetes mellitus.“

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Die Bausteine des Schlafs

Der gesunde Schlaf folgt einem bestimmten Schema. Non-REM-Schlaf (Schlafstadium 1 bis 4) und REM-Schlaf bilden zusammen einen Schlafzyklus, den wir vier- bis fünfmal pro Nacht durchlaufen. Ein Schlafzyklus dauert rund 90 bis 110 Minuten. Die Zusammensetzung der Schlafzyklen ändert sich im Lauf der Nacht: Während anfangs noch die Tiefschlafphasen überwiegen, nehmen in der zweiten Nachthälfte die REM-Stadien zu.

Wachstadium
In der Zeit bis zum Einschlafen, aber auch in Wachzeiten während der Nacht signalisiert das EEG mit entsprechenden raschen Wellen (Alpha und Beta), dass das Gehirn recht aktiv ist. Die Augen sind in Bewegung, die Muskeln gespannt.

Schlafstadium 1
Die langsameren (Theta- und Delta-) Wellen des EEG zeigen, dass die Aktivität des Gehirns abnimmt, die Augen rollen hin und her, die Spannung der Muskeln ebbt allmählich ab. Auch Atmung und Herzschlag senken ihre Frequenz. In diesem Dämmerschlafstadium, dem ersten der vier Schritte auf der Treppe des Non-REM-Schlafes, können wir noch leicht geweckt werden. Anteil pro Nacht: 5 – 10 %

Schlafstadium 2
Jetzt beginnt eine Art Filter zu wirken, der nur noch jeden vierten Außenreiz ans Gehirn weiterleitet. Wir sind deutlich weniger leicht zu wecken als im ersten Stadium, die Augen sind ruhig, der Muskeltonus nimmt weiter ab. Anteil pro Nacht: 50 – 56 %

Schlafstadium 3
Die Tiefschlafphase beginnt, nur noch sehr laute, ungewohnte Geräusche setzen einen Weckreiz. Das EOG zeigt keine Augenbewegungen, die Muskulatur entspannt sich noch mehr, Herzschlag und Atmung schalten auf Schongang. Anteil pro Nacht: 10 – 12 %

Schlafstadium 4
Auf dem tiefsten Punkt der Schlaftreppe sind die Körperfunktionen noch weiter gebremst, die Augen stehen weiter still, der Muskeltonus ist gering. Wir befinden uns im tiefsten Schlaf, sind äußerst schwer zu wecken. Und wenn es doch gelingt, so reagieren wir verwirrt und finden uns nicht gleich zurecht. Anteil pro Nacht: 5 – 10 %

REM-Stadium
In dieser Phase träumen wir am meisten, das EEG zeigt wieder verstärkte Hirnaktivität. Zugleich sind die Muskeln wie gelähmt (was uns daran hindert, unsere Träume in die Tat umzusetzen). Besondere Kennzeichen dieses fünften Schlafstadiums sind die schnellen Augenbewegungen (Rapid Eye Movements = REM), die in den Non-REM-Schlafstadien weitgehend fehlen. Wird ein REM-Schläfer geweckt, kann er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von seinen Träumen berichten. Anteil pro Nacht: 18 – 20 %

Kontakttipp
Österreichische Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung: www.schlafmedizin.at 
Dort finden Sie auch eine Liste der Schlaflabors in Österreich.

Buchtipp
Bernd Saletu, Gerda M. Saletu-Zyhlarz: Was Sie schon immer über Schlaf wissen wollten. Ueberreuter Verlag, 2001, ISBN 3-8000-3816-1

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