Verkehr: Der hohe Preis der Mobilität

Juni 2012 | Leben & Arbeiten

Noch nie war der Mensch so mobil, und noch nie hat er sich so wenig bewegt wie heute. Die verschiedenen Belastungen durch den Auto- und Flugverkehr setzen der Gesundheit und der Umwelt massiv zu. Allein auf das Konto von Feinstaub gehen in Österreich pro Jahr 5600 Todesfälle.
MEDIZIN populär über den hohen Preis der Mobilität.
 
Von Bettina Benesch

4,5 Millionen PKW sind derzeit in Österreich zugelassen – 1980 waren es noch rund 2,2 Millionen, also etwa halb so viele. Auch beim Fliegen geht der Trend nach oben: Von 2000 bis 2010 stieg die Zahl der Flüge in Österreich um rund 18 Prozent. Ob Auto oder Flugzeug: Der motorisierte Verkehr hat den persönlichen Komfort und das Gefühl von Freiheit erhöht – mit ihnen stiegen aber gleichzeitig die Belastungen, mit denen unsere Gesundheit und unsere Umwelt nun zurechtkommen müssen: Der Verkehr zählt heute zu den größten Luftverschmutzern. PKW, LKW, Motorräder und Flugzeuge sind verantwortlich für erhöhte Feinstaub- und Ozonwerte und Hauptverursacher von Treibhausgasen. „All diese Schadstoffe haben deutlich messbare und gravierende gesundheitliche Auswirkungen“, sagt Assoz. Prof. DI Dr. Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der Medizinischen Universität Wien.

Staubpartikel dringen tief in den Körper ein

Feinstaub etwa, der über die Nase in den Körper gelangt, löst vielfältige Beschwerden aus; darunter verminderte Lungenfunktion, Asthmaanfälle, Mittelohrentzündungen und Herzrhythmusstörungen. Zudem verringert er die geistige Leistungsfähigkeit: Die kleinen Teilchen schaffen es über den Riechnerv sogar bis ins Gehirn, wo sie entzündliche Veränderungen der Gehirnnervenzellen auslösen können. Und so könnte Feinstaub sogar in Zusammenhang mit Demenzerkrankungen wie Alzheimer stehen. Sicher ist, dass die kleinen Partikel über die Atemluft in die Lunge und von dort in den Blutkreislauf gelangen. Dort können sie Entzündungen hervorrufen, die die Blutgefäße verengen, was wiederum das Risiko für Thrombosen, Schlaganfall und Herzinfarkt erhöht.
Betroffen von hohen Feinstaubbelastungen sind besonders ältere Personen, die bereits an Gefäßverengungen leiden oder durch andere Erkrankungen geschwächt sind. Auch Allergikern und Menschen mit akuten oder chronischen Atemwegserkrankungen machen die Partikel zu schaffen, da diese die Atemwege zusätzlich belasten. Durch die winzigen Staubteilchen kommt es hierzulande pro Jahr zusätzlich zu 48.000 Fällen von akuter Bronchitis und 35.000 Asthmaanfällen bei Kindern. 5600 Todesfälle jährlich gehen in Österreich auf das Konto sogenannter PM10-Partikel. So wird Feinstaub mit einem Durchmesser unter zehn Mikrometer bezeichnet, der auch ultrafeine Teilchen enthält, die kleiner sind als 0,1 Mikrometer. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist 1000 Mal dicker als diese ultrafeinen Teilchen.

Ozon schädigt die Atemwege

Nicht minder gefährlich ist der Luftschadstoff Ozon. Laut Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO ist das aggressive Reizgas verantwortlich für jährlich rund 21.000 vorzeitige Todesfälle und rund 14.000 Spitalseinweisungen in Europa – allesamt bedingt durch ozonbedingte Atemwegsprobleme. Ozon entsteht, wenn Verkehrsabgase (vor allem Stickstoffoxide oder flüchtige organische Verbindungen) mit intensiver UV-Strahlung zusammentreffen. Ozon ist also ein Problem des Sommers, während Feinstaub im Winter zum Thema wird.
Häufige ozonbedingte Beschwerden sind Husten, Kratzen im Hals, Augenbrennen, Engegefühl und Schmerzen beim tiefen Einatmen sowie eine verminderte Lungenfunktion. Das Gas dringt tief in die Lunge ein, und kann dort Zellen schädigen, was zu Entzündungen führt. Besonders gefährlich wird es, wenn Ozon mit anderen Substanzen, etwa Feinstaub oder Pollen, zusammentrifft, denn sie können die Effekte von Ozon noch verstärken. So schaffen es Feinstaub und Ozon sogar, die Eiweißstruktur von Pollen so zu verändern, dass sie aggressiver werden.

Verkehr stoppt nicht vor der Haustür

Die negativen Auswirkungen des Verkehrs liegen nicht nur in der Luft, sie zeigen sich mittlerweile in jedem Lebensbereich. So ist der Verkehr Lärmerreger Nummer 1 in Österreich, aber auch einer der Hauptverursacher von Treibhausgasen. Diese beeinflussen nicht nur die Luftqualität vor der eigenen Haustür, sondern das Klima auf der ganzen Welt – und das wirkt sich auf das Plankton in der Antarktis genauso aus wie auf den Elefanten in der Steppe. Denn Treibhausgase verändern den Energiehaushalt der Atmosphäre und führen so zur Erwärmung der globalen Temperatur.
Und nicht nur das: Der Klimawandel erhöht zudem die Belastung der Luft mit Schimmelsporen, er lässt die Werte des bodennahen Ozons weiter steigen, ermöglicht es neuen Pollen Fuß zu fassen und schafft vielen Krankheitserregern gute Wachstumsbedingungen. Österreich hat sich im Rahmen des Kyoto-Protokolls verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen um 13 Prozent gegenüber 1990 zu senken – ein Ziel, von dem wir weit entfernt sind. Denn derzeit stehen wir bei einem Emissionsanstieg von 8,2 Prozent gegenüber 1990.

Übergewicht als Folge der Motorisierung

Im Steigen begriffen ist auch die Leibesfülle der Österreicher – und der (Straßen)Verkehr ist laut Umweltmediziner Hans-Peter Hutter daran entscheidend beteiligt: Der fahrbare Untersatz hat das Bewegungsverhalten von Generationen beeinflusst – und damit auch das Körpergewicht. So paradox es ist: Wir sind heute so mobil wie nie zuvor – gleichzeitig bewegen wir uns so wenig wie nie zuvor.
Gründe für die steigende Zahl von übergewichtigen Menschen sieht Hans-Peter Hutter neben Fehlernährung auch in der Bequemlichkeit und der „Liebe“ zum Auto. Beide führen dazu, dass die Menschen sich nur selten aus eigener Kraft bewegen. Zudem seien „die Städte eben auto-, aber sicher nicht kinder- und mütterfreundlich“, konstatiert der Umweltmediziner. Körperliche Inaktivität wird laut Hutter stark gefördert – mit all ihren negativen Folgen wie motorische Ungeschicklichkeit und Übergewicht. Damit steigt auch die Zahl jener, die davon die verschiedensten gesundheitlichen Schäden davontragen: „Übergewicht bedeutet zum Beispiel ein um 50 Prozent erhöhtes Risiko für Herzinfarkt. Erleiden also zwei von zehn Menschen einen Herzinfarkt, dann sind es in der Gruppe der Übergewichtigen drei von zehn“, erklärt Hutter. Wer sich regelmäßig bewegt, kann dementsprechend das Risiko um 50 Prozent senken.

Verkehr bremsen, Gesundheit fördern

Egal ob Asthma, Augenbrennen oder Übergewicht: Jeder von uns zahlt einen hohen Preis für die eigene Mobilität. Viele Menschen haben sich zwar mit schlechter Luft und Lärm abgefunden – unser Körper und unsere Umwelt aber werden sich niemals daran gewöhnen können. Aus gesundheitlicher und umweltpolitischer Sicht muss der motorisierte Verkehr gebremst werden und durch „sanfte Mobilität“ ersetzt werden, fordert Hans-Peter Hutter. „Das nützt auch in vielen anderen Bereichen: Weniger Verkehr bedeutet weniger Lärm, vergleichsweise saubere Luft, mehr Raum für sichere Bewegung und soziale Aktivitäten in der Stadt – insgesamt also eine höhere Lebensqualität.“

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So kommen Mensch UND Umwelt gesund weiter

  • Täglich 30 Minuten Radfahren oder zu Fuß gehen senkt die Risiken für Herzinfarkt und Diabetes um 50 Prozent, jenes für Bluthochdruck um 30 Prozent und die Risiken für Darm- und Brustkrebs um 20 bis 30 Prozent.
  • Amerikanische Schätzungen zeigten, dass bis zu fünf Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben auf mangelnde körperliche Aktivität zurückzuführen sind. Für österreichische Verhältnisse würde das Kosten von bis zu 1,4 Milliarden Euro bedeuten.
  • Stresshormone verursachen hohe Cholesterin-, Blutzucker- und Blutfettwerte. Wer zu Fuß geht oder Rad fährt, baut diese Substanzen rascher ab als beispielsweise jemand, der mit dem Auto unterwegs ist – ganz abgesehen davon, dass Autofahren für viele Menschen erst recht Stress bedeutet.
  • Bewegung ist auch in der Stadt wichtig und sinnvoll – vorausgesetzt man trifft gewisse Vorsichtsmaßnahmen: Rad fahren auf möglichst von der Fahrbahn abgesetzten Radwegen, kein oder nur moderater Sport im Freien bei erhöhten Ozon- oder Feinstaubwerten.
  • Vor allem in der Stadt möglichst oft das Auto stehen lassen – davon profitieren nicht nur Mitbürger und Umwelt, sondern vor allem auch die Fahrer selbst. Schließlich lassen sich die meisten Schadstoffe im Wageninneren messen, wohin sie – selbst bei ausgeschalteter Lüftung – vom Auspuff des vorausfahrenden Autos aus geschleust werden.

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Luftverschmutzer Verkehr:  Die bedeutendsten Schadstoffe

Ozon schützt uns in höheren Luftschichten vor schädlicher UV-Strahlung, am Boden dagegen schadet es der Gesundheit: Hohe Ozonkonzentrationen in der Luft können Atemprobleme auslösen und führen zu einem Anstieg von Lungenerkrankungen, teilweise mit Todesfolge. Ozon entsteht, wenn Abgase aus dem Verkehr mit UV-Strahlen reagieren.

Feinstaub, der aus sogenannten PM10-Partikeln besteht, ist für die Gesundheit besonders gefährlich. Jedes dieser Teilchen misst weniger als 10 Mikrometer. Je kleiner die Partikel sind, desto tiefer können sie in den Körper eindringen. Der feinste Staub (sogenannter Ultrafeinstaub) gelangt in die Blutgefäße und sogar ins Gehirn. Hauptversursacher von Feinstaub sind Dieselmotoren und Holzöfen.

Stickstoffoxide wie Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2) werden ebenfalls hauptsächlich vom Verkehr verursacht. Für den Menschen gefährlich ist hauptsächlich NO2, da es die Lungenfunktion beeinträchtigen kann.

Kohlenmonoxid (CO) entsteht, wenn Brenn- oder Treibstoffe verbrannt werden. Hauptverursacher sind daher neben dem Verkehr auch landwirtschaftliche Maschinen, Kleinmaschinen wie Rasenmäher, aber auch die Industrie. Kohlenmonoxid beeinträchtigt die Aufnahme von Sauerstoff ins Blut, was beispielsweise dazu führt, dass Organe schlechter mit Sauerstoff versorgt werden. Kohlenmonoxid ist darüber hinaus an der Entstehung von bodennahem Ozon beteiligt.

Kohlendioxid (CO2) entsteht hauptsächlich beim Verbrennen fossiler Stoffe wie Erdöl, Erdgas oder Kohle. CO2 ist wie Methan oder Lachgas ein Treibhausgas und trägt somit zum Klimawandel bei.

Benzol ist ein Bestandteil von Kraftstoffen wie Benzin und gelangt dadurch via Verkehr in die Luft. Hausbrand ist eine weitere Quelle. Beim Menschen kann die Substanz krebserregend wirken.

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