Die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tiermodellen auf den Menschen bleibt eine der größten Hürden in der medizinischen Forschung. Diese „translationale Lücke“ erschwert die Umsetzung präklinischer Erkenntnisse in erfolgreiche klinische Therapien.
Forschende der Universität Leipzig und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben nun mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) einen Ansatz entwickelt, der molekulare Mechanismen von COVID-19 bei Mensch und Tier systematisch vergleicht. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachjournal The Lancet – eBioMedicine veröffentlicht.
Tiermodelle sind essenziell für das Verständnis von Krankheiten und die Entwicklung neuer Therapien. Die Einzelzell-RNA-Sequenzierung eröffnet hierbei einzigartige Möglichkeiten, molekulare Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Mensch und Tier mit bisher unerreichter Präzision zu analysieren. Doch computergestützte Methoden, die diese Daten verlässlich abgleichen können, sind selten. Das Forschungsteam aus Leipzig und Berlin hat ein KI-Modell entwickelt, das neuronale Netze nutzt, um molekulare Daten von Menschen und verschiedenen Hamsterarten mit COVID-19 abzugleichen. Die Methode erlaubt es, Daten aus Tiermodellen quasi „zu humanisieren“ und so die Übertragbarkeit zu verbessern.
„Unser Ansatz zeigt, dass die translationale Lücke durch den Einsatz von Deep-Learning-Modellen in Kombination mit biologisch fundierten Analysen reduziert werden kann“, erklärt Dr. Holger Kirsten vom Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie der Universität Leipzig. „Die KI identifiziert systematisch molekulare Muster bei Tieren und überträgt diese auf den Menschen.“
Ergebnisse im Einklang mit Pandemiedaten
Die Analyse der molekularen Daten zeigte, dass das Immunsystem bei moderaten COVID-19-Verläufen von Syrischen Hamstern und Menschen ähnlich reagiert, insbesondere bei Monozyten – den Vorläuferzellen der Fresszellen des Immunsystems. „Für schwere Verläufe eignet sich die Untersuchung von Neutrophilen bei Roborovski-Hamstern besonders gut, da diese Immunzellen sich bei dieser Hamsterart und dem Menschen sehr ähnlich verhalten“, erläutert Dr. Geraldine Nouailles von der Charité.
Die Erkenntnisse stehen im Einklang mit klinischen Beobachtungen während der Pandemie und verdeutlichen, wie wichtig solche Vergleiche für die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung geeigneter Therapien sind. „Unsere Methode hilft dabei, die besten Tiermodelle für spezifische menschliche Erkrankungen zu identifizieren und gezielt einzusetzen“, betont Kirsten.
Anwendungen über COVID-19 hinaus
Die entwickelte Methodik hat das Potenzial, die Forschung weit über COVID-19 hinaus voranzutreiben. Geraldine Nouailles fasst zusammen: „Unser Ansatz erlaubt es, Krankheitsstadien zwischen Tier und Mensch besser abzugleichen, was die Entwicklung neuer Therapien und deren Übergang von präklinischen zu klinischen Studien erheblich beschleunigen kann.“
Das Forschungsteam plant, die Methodik künftig auf weitere Tiermodelle und Krankheitsfelder anzuwenden. Besonders im Fokus stehen Modelle für die CAR-T-Zelltherapie – eine innovative Krebsbehandlung, bei der Immunzellen gentechnisch verändert werden, um Tumore gezielt zu bekämpfen. Diese Forschung könnte helfen, die Sicherheit und Wirksamkeit solcher Therapien noch besser zu prüfen und so den Fortschritt in der personalisierten Medizin zu beschleunigen.
Fotos: © istock Akarapong Chairean