Leben & Arbeiten

Arbeiten mit Hirn

So werden Sie mit den Anforderungen im Job besser fertig
 
In der Welt des Multitasking fällt es zunehmend schwer, sich voll und ganz auf eine Sache zu konzentrieren.
Das hat Auswirkungen – nicht nur auf die Leistung, sondern auch auf das Oberstübchen. Wer „hirngerecht“ arbeitet, sagt ein Hirnforscher, wird besser mit den beruflichen Anforderungen fertig. In MEDIZIN populär erklärt er, wie’s funktioniert.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Es sind die typischen Leiden der Arbeitswelt: Während Stress, Überforderung und Frust sich weiter ausbreiten, mangelt es zunehmend an Motivation, Leistungsbereitschaft und dem guten Gefühl, etwas Sinnvolles zu leisten. Am Ende des Arbeitstages fühlt man sich erschöpft und ausgelaugt, ohne genau zu wissen, warum. Aktuellen Daten zufolge ist ein Drittel der Beschäftigten nach der Arbeit nicht mehr in der Lage, noch etwas zu tun, was Freude macht. Ein weiteres Drittel kann nicht mehr abschalten. Und das, obwohl wir neuen Studien zufolge über mehr Freizeit verfügen als je zuvor.
Mögliche Gründe für die Misere? „Unsere Arbeitsweise entspricht nicht den Bedürfnissen unseres Gehirns“, betont Dr. Bernd Hufnagl, der sich als Neurobiologe und Hirnforscher intensiv mit hirngerechtem Arbeiten auseinandersetzt.

(Kein) Dopamin als Antrieb

Nur wer hirngerecht arbeitet, bleibt geistig fit, motiviert und leistungsbereit. Dann spielt der Organismus nämlich zuverlässig das entscheidende Ass aus: das „Belohnungshormon“ Dopamin, das dazu führt, dass wir Freude am Tun verspüren, uns wohl und zufrieden fühlen. „Die Arbeit wird als interessant empfunden und man erlebt Lust, die wiederum die Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit erhöht“, so Hufnagl, der im gesamten deutschen Sprachraum als Führungskräftetrainer und Managementberater tätig ist. Allerdings wird das Hormon nur in bestimmten Situationen ausgeschüttet, betont der Experte; dann nämlich, „wenn wir zeitnah sehen können, wofür wir uns angestrengt haben.“ Der Tischler, der abends die Sägespäne des fertigen Tischbeins wegfegt. Die Managerin, die zu Büroschluss den Entwurf für einen wichtigen Vortrag im Computer abspeichert: Im Optimalfall ernten wir jeden Tag Früchte unserer Bemühungen. Leider reiten viele sich immer weiter in die Misere: Es wird kein Dopamin ausgeschüttet – die Motivation sinkt, der Frust steigt. „Immer mehr Menschen kommen mit der gegenwärtigen Arbeitsweise nicht mehr zurecht und werden krank“, beobachtet der Experte.

Gedächtnisverlust

Die falsche Arbeitsweise beeinträchtigt den Denkapparat massiv, was sich auf die Konzentrationsfähigkeit auswirkt. „Wir schaffen es kaum mehr, uns konzentriert einigen wenigen Tätigkeiten pro Tag zu widmen“, betont der Neurobiologe. „Und wir alle leiden unter mehr oder weniger ausgeprägten Erinnerungslücken.“ Aufgrund einer biologischen Programmierung führen belastende bzw. Stresssituationen dazu, dass die Gedächtnisleistung nachlässt, man sich Dinge schlechter merkt bzw. sich nicht mehr an Details erinnern kann. Dies bestätigen die Untersuchungen des Hirnforschers: „Wir haben Teilnehmern nach Besprechungssituationen Prüfungsfragen gestellt. Die meisten hatten nicht einmal eine grobe Orientierung von dem, was besprochen wurde“, so Hufnagl. Den Gedächtnisverlust infolge von Stress dokumentiert auch eine neuere (Hirnscan-)Untersuchung deutscher Soldaten vor und nach einem Kriegseinsatz in Afghanistan: Nach vier Monaten war die Gedächtnisleistung um die Hälfte reduziert. Erinnerungslücken wieder zu schließen, dauert lang. „Zur völligen Regeneration des Gedächtnisses nach Stress braucht es zumindest mehrere Monate“, betont Hufnagl.    ‘

Überlastung

Auch wird die Lust an der eigenen Leistung(sfähigkeit) laufend untergraben, etwa durch die Rahmenbedingungen unserer virtuellen, digitalisierten Arbeitswelt. „Das verbreitete Gefühl von Hilflosigkeit ist eng mit der gefühlten permanenten Erreich- und Verfügbarkeit verbunden“, so Hufnagl. „Immer mehr Menschen haben den Eindruck, im Berufsleben von anderen gesteuert zu werden und selbst nichts mehr beeinflussen zu können.“ Der wachsende Druck führt außerdem dazu, dass man viele Projekte gleichzeitig bearbeitet, Multitasking betreibt. Die Folgen: Wir werden ungeduldiger und oberflächlicher. Speziell die Oberflächlichkeit belastet jene, die zu Perfektionismus neigen sowie jene, die es immer allen recht machen wollen: Sie sind besonders gefährdet, ein Überlastungs- oder Burnout-Syndrom zu entwickeln.

Süchte

Wird nicht hirngerecht gearbeitet, steigt obendrein das Risiko, ein Suchtverhalten – sei es nach Internet, Drogen, Shopping – zu entwickeln: Wenn Anstrengung von Lust entkoppelt wird, weil man in der Arbeit statt Freude nur Frust erlebt, werden andere „Lustquellen“ attraktiver. Durch das berauschende Gefühl beim Drogenkonsum lernt das Gehirn, „dass passiver Konsum auch Spaß machen kann“, so Bernd Hufnagl. „Die einfachen, raschen Belohnungen werden immer verlockender. Und je mehr wir uns passiv durch Konsum belohnen, als umso anstrengender wird die Arbeit erlebt.“

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Tipps für hirngerechtes Arbeiten:
So stärken Sie Ihr Denkorgan

Den vielen Leiden in der Arbeitswelt zum Trotz: „Ob wir unsere Arbeit als belastend empfinden, hängt zwar von den Arbeitsbedingungen, aber noch viel mehr von uns selbst ab“, ist der Neurobiologe und Hirnforscher Dr. Bernd Hufnagl überzeugt. Wie man die häufigsten Stolpersteine dank hirngerechtem Arbeiten umgeht:

Viele offene Baustellen:
Bringen Sie ein Projekt zum Abschluss!

Der Tischler, der einen Tisch nach dem anderen anfertigt – das war einmal. „Mittlerweile arbeiten Menschen im Durchschnitt an zwölf unterschiedlichen Themen oder Aufgaben pro Tag“, weiß Bernd Hufnagl. Meist haben wir alle Projekte gleichzeitig auf dem Radar und springen von einer Baustelle zur nächsten, ohne wirkliche Resultate zu erzielen. „Neueste Untersuchungen zeigen: Immer mehr Menschen ertappen sich beim Verlassen ihres digitalen Arbeitsplatzes dabei, dass sie im Hintergrund verschiedene  Programme, Dateien oder Mails geöffnet finden, die sie an dem Tag schon einmal bearbeitet haben, dann aber völlig darauf vergessen haben“, erzählt der Experte. Doch um in den Genuss einer „Dopamindusche“ zu kommen, muss erst eine Baustelle, wenn auch nur vorübergehend, geschlossen werden, bevor man etwas Neues beginnt.   
 
Multitasking im Kopf:
Machen Sie nur eine Sache auf einmal!

Während eines Telefonats werden E-Mails gecheckt, im Meeting bearbeitet man nebenbei am iPad ein anderes Projekt: „Multitasking im Kopf bedeutet Stress“, warnt der Hirnforscher. Anstatt alles Mögliche gleichzeitig zu machen, sollte man dem Denkorgan zuliebe nur an einem Projekt auf einmal arbeiten. Konkret liegen auf dem Schreibtisch am besten nur die Unterlagen zur aktuellen Aufgabe, am Computer sind nur die entsprechenden Programme und Dateien geöffnet. Auch müssen wir lernen, uns in Anbetracht der vielen To-Dos und Möglichkeiten gegen etwas zu entscheiden, „Nicht-Ziele“ zu definieren: Auf dem Tagesplan sollte also nicht nur notiert werden, was man erledigen möchte, sondern auch, worum man sich an diesem Tag nicht kümmern wird. „Man kann sich viel besser auf die Arbeit A konzentrieren, wenn man die Arbeit B explizit ausschließt“, veranschaulicht der Experte. Entscheiden Sie außerdem, welche Website Sie heute nicht besuchen, welche Blogs Sie nicht lesen werden.

Ständig abgelenkt:
Gewöhnen Sie sich an ungestörtes Arbeiten!

Eine Kollegin schaut auf einen Plausch vorbei, danach geht’s gleich in ein Meeting. Sich dann in die unterbrochene Arbeit wieder einzufinden, braucht viel Energie – und Zeit: „Aufgrund der ständigen Unterbrechungen brauchen wir für eine Aufgabe um rund 60 Prozent länger“, betont Bernd Hufnagl. Die Hälfte der Unterbrechungen kommen von außen: Laute Gespräche von Kollegen, E-Mail-Pop-Ups, klingelnde Telefonate etc. führen dazu, dass wir im Schnitt alle elf Minuten unterbrochen werden. Bei internen Störungen „unterbrechen wir uns einfach selbst mitten in der Arbeit“; dies vermutlich deshalb, weil wir uns an die Unterbrechungen gewöhnt haben. Stellen Sie sich der Hirngesundheit zuliebe (wieder) auf ungestörtes Arbeiten ein und schalten Sie, wenn möglich, Störquellen aus.

Frust durch Fremdbestimmtheit:
Machen Sie sich innerlich unabhängig!


Wer mit schwierigen Arbeitsbedingungen ohne Handlungsspielraum kämpft, neigt vielleicht zu Resignation oder dazu, sich als Opfer zu fühlen. Was tun? „Selbst dann ist es Studien zufolge das Beste, sich jeden Tag aufs Neue auf die eigenen kleinen Ziele zu konzentrieren“, betont der Hirnforscher. „Und anstatt über die Situation zu klagen, sollte man sich überlegen, was man selbst dazu beitragen kann, dass es am Arbeitsplatz besser läuft.“
Auch wenn viele Rahmenbedingungen sich nicht ändern lassen: Die wachsende Überzeugung, dass das eigene Handeln sich positiv auf das eigene Wohlbefinden auswirkt, macht innerlich frei und unabhängig.

Webtipp:
Weitere Informationen rund um hirngerechtes Arbeiten:
www.neurologik.cc

Stand 06/2015

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