Gegen Lärm am Arbeitsplatz gibt es effektiven Gehörschutz, damit die Ohren keinen Schaden erleiden. Was aber hilft bei Lärm im Wohnumfeld, der auf Dauer den gesamten Organismus stresst und krank machen kann?
Von Mag. Wolfgang Bauer
Aus der Sicht der Arbeitsmedizin ist der Umgang mit dem Problem Lärm klar geregelt: Ab einem Schallpegel von 80 Dezibel (dB), was in etwa dem Lärm an einer stark befahrenen Straße entspricht, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Gehörschutz zur Verfügung stellen, da das Gehör sonst Schaden erleiden kann. Ab einem Pegel von 85 dB muss der Arbeitnehmer diesen Gehörschutz unbedingt tragen, außerdem sind dann regelmäßige Überprüfungen des Hörvermögens vorgeschrieben. So sieht es das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) vor. Die Lautstärke, etwa auf einer Baustelle oder in einer Fertigungshalle, lässt sich relativ einfach messen. Somit ist sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer klar, welche Vorkehrungen an einem lauten Arbeitsplatz zu treffen und einzuhalten sind (siehe „So laut ist unsere Umgebung” ganz unten).
Wie laut ist Lärm?
Doch außerhalb der Welt der Arbeit ist die Lärmproblematik um einiges komplexer. Denn Lärm hat eine ausgeprägte subjektive Komponente, Lärm ist nicht nur eine Frage der gemessenen Lautstärke. Dr. Wolfgang Luxenberger, HNO-Arzt in Frohnleiten, der in der Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie die Arbeitsgemeinschaft Psychosomatik leitet, über ein Beispiel: „Ihre Lieblingsmusik beim Autofahren genießen Sie mit großer Lautstärke, während Sie einen tropfenden Wasserhahn kaum aushalten“. Dabei hat ein tropfender Wasserhahn gerade einmal eine Lautstärke von etwa 20 dB, die laute Musik aus dem Radio etwa 70 dB. Ein anderes Beispiel: Lärm durch Nachbarn. Wenn man selbst mit einem Rasenmäher (Lautstärke 70 dB) im Garten unterwegs ist, hat man das Gefühl, einer wichtigen und notwendigen Arbeit nachzugehen. Vielleicht ist sie auch noch entspannend. Von Lärmempfinden keine Spur. Doch wehe, der unliebsame Nachbar, der immer wieder nervt, startet seinen Mäher! Auch wenn sein Gerät gleich laut ist, wird aus dem simplen Geräusch ein massiver Störfaktor, und die inneren Alarmglocken beginnen zu läuten. Warum das so ist? Weil wir Geräusche bewerten.
Lärm = Alarm
Wir hören, weil Schallwellen aufs Ohr treffen, dort in elektrische Signale umgewandelt werden und über den Gehörnerv ins Gehirn gelangen (siehe „Wie wir hören” unten). Dort werden die elektrischen Signale interpretiert – als Geräusch, Klang, Sprache. Oder eben als Lärm, das ist Schall, der stört, der unerwünscht ist, der „auf die Nerven geht“. Die Herkunft des Begriffs Lärm sagt bereits viel über seine Bedeutung aus. Denn „Lärm“ ist eng mit „Alarm“ verwandt. Beide Begriffe stammen vom italienischen „all’ arme“, was nichts anderes heißt als „zu den Waffen!“. Man kann sich den Zusammenhang etwa so vorstellen: so wie die Soldaten nach Ertönen eines Alarmsignals zu den Waffen greifen und in die Schlacht ziehen, so reagiert auch unser Organismus bei Lärm. Da wird eine wahre Kaskade an Stressreaktionen in Gang gesetzt: der Blutdruck steigt, das Herz schlägt schneller, die Muskeln spannen sich an, das Denken und die Wahrnehmung kreisen fast nur mehr um diesen Einflussfaktor, man reagiert aggressiv. Was sich alles wieder beruhigt und entspannt, wenn der Lärm vorbei ist, wenn zum Beispiel der Nachbar den Rasenmäher wieder abstellt.
Dauerlärm schädigt
Wenn nun Lärm eine Dauerbelastung darstellt, weil man etwa an einer stark befahrenen Straße wohnt, dann kann es mit der Zeit zu ernsten gesundheitlichen Problemen kommen, sagt Luxenberger. Denn im Fall einer unerwünschten Dauerbeschallung herrscht ständig Alarm im Körper. Die so wichtige Entspannung bleibt aus, der Blutdruck jedoch oben. Die Muskulatur bleibt angespannt, die Wahrnehmung eingeengt, die Stimmung im Keller. Man reagiert zunehmend gereizter, hat einen schlechten Schlaf, ist weniger leistungsfähig, wird unkonzentrierter usw. Die Folgen der Stressreaktion hat das Umweltbundesamt zusammengefasst: Schlafstörungen, mit allen kurz- und langfristigen Konsequenzen, Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit in der Schule und am Arbeitsplatz, kreislaufbedingte Erkrankungen, aggressives Verhalten. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge ist Verkehrslärm gleich nach der Luftverschmutzung das Umweltproblem Nummer zwei, was die Auswirkungen auf die Gesundheit angeht. Jährlich würden in Westeuropa rund eine Million an gesunden Lebensjahren aufgrund von Umgebungslärm verloren gehen, so die WHO in einer Studie aus dem Jahr 2011.
Was besonders stört
Die Beeinträchtigung durch Lärm wird als groß empfunden,
- wenn der Schlaf dauerhaft gestört ist. „Die Ohren sind permanent aktiv. Sie können Ihre Ohren nicht schließen wie die Augen“, so Luxenberger.
- wenn das Gefühl besteht, dem Lärm hilflos ausgeliefert zu sein und nichts dazu beitragen zu können, damit es ruhiger wird.
- wenn man krank ist. Luxenberger: „Wer Kopfschmerzen hat oder an Migräne leidet, ist besonders lärmempfindlich.“ Ebenso Menschen mit Depressionen oder Tinnitus.
- wenn im Büro die Kollegen laut sind, also telefonieren, Gespräche führen, drucken, faxen etc.
- Die Lautstärke eines Büros kann 60 dB oder mehr betragen, doch bereits eine Lautstärke von 55 dB empfinden viele Personen als Lärm.
Was helfen kann
An Lärm kann man sich nur bedingt gewöhnen, sagt Luxenberger. Daher hält er es für ratsam, jede Möglichkeit zu nutzen, um die Lebensqualität zu verbessern. Was helfen kann:
- möglichst den ruhigsten Raum einer Wohnung als Schlafplatz wählen. Eventuell Ohrstöpsel zum Schlafen verwenden (es empfiehlt sich zu testen, ob man damit auch den Wecker am Morgen noch hört).
- das Gefühl der Hilflosigkeit verringern, indem man zum Beispiel mit dem Nachbarn redet und Vereinbarungen trifft, um geräuschintensive Tätigkeiten zu vermeiden.
- auch im Büro empfiehlt es sich, mit den Kollegen einen tragbaren Kompromiss in puncto Lärmvermeidung zu treffen.
- die Wahrnehmung ändern bzw. umdeuten. Also zum Beispiel die neu eingerichtete Baustelle in der Nähe der Wohnung nicht nur als Lärmquelle betrachten. Etwa so: „Wenn der Straßenabschnitt fertig saniert ist, werde ich als Autofahrer selbst davon profitieren“.
- regelmäßige Bewegung und sportliche Aktivitäten können nachweislich Stress abbauen, machen auch entsprechend müde und den Organismus schlafbereit.
- regelmäßig Orte der Stille aufsuchen, etwa einen Wald. So kann sich das Gehör erholen.
Ebenfalls wichtig: eine Portion Selbstkritik. Jeder von uns kann sehr schnell selbst zu einem Lärmverursacher werden und den Nachbarn Stress bereiten. Weil etwa spät abends noch der Müll in die Tonne vor dem Wohnhaus gekippt oder die Tür des Autos zugeknallt wird. „Sie können einiges dazu beitragen, dass andere Menschen nicht unter Lärm leiden müssen. Durch diese Rücksichtnahme schaffen Sie eine Basis für eine gute Nachbarschaft. Und dadurch vielleicht auch für mehr Ruhe im Wohnbereich“, sagt Luxenberger.
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So funktioniert unser Gehör
Wenn ein Geräusch auf das Ohr trifft, so werden die Schallwellen zunächst von der Ohrmuschel eingefangen, an das Trommelfell weiter geleitet und dort in Schwingungen versetzt. Die Schwingungen werden auf die kleinen Gehörknochen namens Hammer, Amboss und Steigbügel übertragen und an die sogenannte Schnecke, das eigentliche Hörorgan, weiter geleitet. Dort befinden sich winzige Haarzellen, die die Schallwellen in elektrische Impulse umwandeln, die über die Hörnerven zum Gehirn gelangen, wo sie bewertet und verarbeitet werden. Die Haarzellen der Schnecke sind es auch, die durch zu viel Lärm geschädigt werden. Und zwar nachhaltig. Die Zellen sterben ab und erneuern sich nicht mehr – der Beginn einer Schwerhörigkeit!
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So laut ist unsere Umgebung
Die Lautstärke – eigentlich als Schalldruckpegel oder Schallpegel bezeichnet –
wird in Dezibel (dB) gemessen. Die Skala reicht von angenehm empfundenen Naturgeräuschen bis zum Lärm eines startenden Flugzeugs nahe der Schmerzgrenze.
Stand 02/2017