Von Wolfgang Kreuziger
Auf dem Datenhighway ist die Hölle los – und wir finden die Ausfahrt nicht: 95 Prozent aller Österreicher sind heute mobil erreichbar, per Anruf, Mail, Whatsapp, was auch immer. Und auch wenn immer mehr Menschen die piepsende Omnipräsenz digitaler Krachmacher als unerträglich empfinden, schwinden laut „Digital Consumer Report“ des Medienunternehmens Nielsen stets weitere analoge Bastionen dahin: Beinahe jeder Zweite unter 24 nimmt sein Handy mit aufs Klo; jede zweite Mutter vertieft sich noch während des Lenkens eines Pkw in Social Media-Plattformen am Smartphone; und sogar das Fernsehen klappt nicht mehr ohne Mobiltelefon: 84 Prozent geben an, es parallel dazu als zweite Unterhaltungsquelle zu nutzen. Mitunter freilich ist das Leben im Standby-Modus nicht ganz freiwillig: Viele Vorgesetzte erwarten inzwischen von ihren Mitarbeitern permanente Erreichbarkeit.
Ist es im Alltag gerade noch akzeptabel, ständig auf Draht sein zu müssen, spätestens im bitter nötigen Urlaub hört sich der Spaß auf. „Denn, wenn uns der Stress auch in den Ferien nicht mehr loslässt, ist nicht nur die Erholung, sondern auch unser Wohlbefinden bedroht“, warnt Mag. Dr. Gerhard Blasche, Erholungsforscher, Psychologe und Psychotherapeut am Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien. Wer selbst im Urlaub nicht mehr offline gehen kann oder darf, gilt bei Psychologen als hochgradig Burnout-gefährdet. Und die Workaholics werden immer mehr, wie eine Studie des Wiener Marktforschungsinstituts Mindtake zeigt: Zwei von drei Österreichern nehmen bereits Arbeit mit in den Urlaub, nur ein Drittel lässt den Job zur Gänze daheim.
Totalentzug hinter Klostermauern
Die religiöse Stille eines Schweigeklosters kann’s ebenso richten wie ein Urlaub vom Standby-Modus, den man neuerdings in immer mehr Hotels buchen kann. Mit solchen Angeboten lockt die Tourismusbranche jene Klientel, die das Abschalten verlernt hat. Damit er besser auftanken kann, werden dem Handymaniac schon am Empfang die Telekommunikationsgeräte abgenommen. Kein Internet, kein Mobiltelefon und kein PC, geht das nicht zu weit? „Durchaus nicht“, meint Blasche. „Man kann das Problem mit einer Drogensucht vergleichen. Wer von sich aus nicht mehr loskommt, der muss auf Totalentzug gehen.“
Läuft man selbst noch in der Klosterzelle Gefahr, schwach zu werden und ein geheimes Handy aus dem Kulturbeutel zu ziehen, dann bleibt sowieso nur ein Urlaub im Funkloch an einem der letzten wahren Offline-Refugien dieser Erde: In Namibia, auf der Insel Lombok bei Bali, in Australiens Outback oder in den großen netzfreien Teilen Kanadas und Islands sucht auch das teuerste Handy vergeblich nach den Balken, die die digitale Welt bedeuten.
Herz und Kreislauf sollten profitieren
Warum Handys, Laptops, Tablets unsere Gesundheit torpedieren, erklärt Blasche mit dem körperlichen Erholungsverhalten der Menschen: „Fast alle fühlen sich heute von beruflichen und privaten Bürden des Alltags gestresst und belastet. Wirkliche Erholung erleben sie dann, wenn sie möglichst an einem anderen Ort zusammen mit geliebten Menschen einem schönen Zeitvertreib nachgehen.“ Wobei Stress nicht nur vom Job, sondern auch von sich türmenden Rechnungen, schlechten Zeugnissen der Kinder oder etwa vom Kontakt mit nervigen Bekannten verursacht werden kann. Nur wenn sie sich davon loseisen können, werden die Urlaubenden ausgeglichener und entspannter, und ihre Erholung lässt sich sogar messen. Blasche: „Es konnten in der Folge verbesserte Werte bei Blutdruck und Herzfrequenz aufgezeigt werden. Ständige Erreichbarkeit für den Arbeitgeber etwa bremst hingegen die Erholung oder lässt sie gar nicht stattfinden.“ Im schlimmsten Fall steigen wir nach den Ferien aus dem Flugzeug und sind so urlaubsreif wie vor dem Abflug.
Wenn der Chef die Erholung bremst
Zumindest aber verzögert ein im Urlaub eingeschleuster Stressfaktor jenen Punkt, an dem die Erholung beginnt. „Früher propagierten die Erholungsforscher lange Urlaube von mindestens zwei Wochen. Jüngste Studien zeigen aber, dass eine Woche schon reicht und sich ab dem achten Tag der Erholungseffekt kaum mehr vertieft“, erläutert der Experte. Die entscheidende Schwelle wird nach zwei, drei Tagen überschritten; dann hat der Erholungsuchende seine Belastungen abgeschüttelt. Entspannung kann aber nur dann eintreten, wenn man nicht permanent in die Stress auslösende Welt, die Arbeitswelt, zurückgeholt wird: „Ein aufreibendes Telefonat in der Früh hängt uns bis Mittag nach“, hält Blasche nichts davon, berufliche Kurzkontakte schönzureden. „Spukt uns das Arbeitsproblem gar mehrere Tage im Kopf herum, kommt es viel später als nach den üblichen drei Tagen zur Erholung – oder überhaupt nicht.“ Die Rechnung dafür wird uns Jahrzehnte später präsentiert: Laut Statistik sind psychische Krankheiten in Österreich heute die häufigste Ursache für vorzeitige Alterspensionen (vgl. Seite 6 „Immer länger arbeiten“).
Entspannt durch mehrere Rollen
Trotz dieser drohenden Spätfolgen schwört so mancher Stein und Bein, dass ihn der Standby-Modus im Urlaub weder stört noch unglücklich macht. Laut Blasche wird die Erholung trotzdem vergiftet: „Es ist gesund und schützt unsere Psyche vor Stress, wenn wir in mehrere Rollen wechseln können. So kann ein Mann etwa Vater, Ehegatte und Hobbysportler sein. Wer nur in einer einzigen Rolle aufgeht, nämlich der des brav Arbeitenden, sollte dringend auch andere Rollen annehmen, um besser vor den negativen Folgen von Stress geschützt zu sein.“
Ein zusätzliches Problem haben Nachrichten-Junkies und Jugendliche, die im Urlaub statt in der Disco oder am Pool in der Hotellobby anzutreffen sind – wo freies WLAN lockt. Blasche: „Sie kontrollieren zigmal pro Tag ihren Status: Bin ich noch Teil meiner Clique, kriege ich die nötigen Nachrichten, um noch in zu sein? Auch das ist eine Form von Stress, der man sich im Urlaub nicht aussetzen sollte.“ Eines gilt sowieso für alle: Intensives Betrachten eines Bildschirms ist nie gut für die Augen, Licht und freie Natur hingegen sind durch viele Studien bestätigte Stimmungsaufheller.
Digitaler Aufmerksamkeitskiller
Für den Erholungsforscher liegt in Handy und Internet ein zusätzlicher bedrohlicher Faktor als „Aufmerksamkeitskiller“ unserer Zeit: „Wir können kaum mehr die Gegenwart wahrnehmen, kaum mehr riechen, sehen und schmecken, was aktuell und tatsächlich um uns herum passiert“, kritisiert Blasche. „Ob im Urlaub, beim Essen oder selbst beim Fernsehen, mit dem Smartphone in der Hand sind wir ständig woanders – bei anderen Menschen, an virtuellen Orten.“
Um der auf uns einstürzenden Nachrichtenflut insbesondere im Urlaub Herr zu werden, gebe es laut dem Wiener Psychologen keine Patentlösung. „Wir bräuchten zum einen mitarbeiterfreundlichere Betriebsvereinbarungen, so wie etwa VW seine Mitarbeiter eine halbe Stunde nach dem Arbeitsende offline stellt.“ Andererseits wäre aber auch mehr Selbstdisziplin und Offenheit für das Thema vonnöten: „Früher ist Erholung quasi von selbst passiert. Heute müssen wir sehr genau darauf achten, was wir im Urlaub planen und brauchen. Das kann bei selbstauferlegten Offline-Phasen in der Freizeit beginnen und darin enden, dass man das Handy überhaupt daheimlässt. Ich persönlich bin für letzteres.“
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Studie: Zwei Drittel arbeiten im Urlaub
Von wegen raus aus dem Alltag und weg vom Stress: Eine unter 500 Österreichern durchgeführte Umfrage des Wiener Markt- und Meinungsforschungsinstitutes Mindtake ergab, dass sich mit 33 Prozent nur jeder Dritte im Urlaub völlig von der Arbeit abschottet. Während zwölf Prozent angaben, im Urlaub stets zu arbeiten, tun dies weitere zehn Prozent zu speziellen mit dem Arbeitgeber abgesprochenen Zeitpunkten. Die größte Gruppe (46 Prozent) arbeitet zwar grundsätzlich nicht im Urlaub, gab aber zu, dass das immer wieder vorkommt.
Als Hauptgrund für den Arbeitseinsatz im Urlaub wurden Kollegialität und Hilfe für andere Mitarbeiter (33 Prozent) genannt, jeder Vierte tut es auf Verlangen eines Vorgesetzten. Fast ein Drittel (27 Prozent) ruft im Urlaub dienstliche Mails ab, um diese nicht erst nach der Rückkehr abarbeiten zu müssen. Durch die Arbeitsstunden im Urlaub fanden sich 54 Prozent unterm Strich weniger erholt, 42 Prozent immerhin aber genauso erholt wie sonst. Erstaunlich: Vier Prozent fühlen sich durch berufliche Tätigkeiten in den Ferien hinterher sogar entspannter.
Stand 06/2014