Beschwerden, vom Kopfschmerz bis zum Schwindel, sind ein Fall für die Medizin-Meteorologie, mit der sich immer mehr Ärzte professionell beschäftigen. Wetterfühligkeit ist als ernstzunehmende Befindlichkeitsstörung anerkannt, gegen die glücklicherweise so manches Kräutlein gewachsen ist.
Von Nicole Freytag
Wenn’s in Radio oder Fernsehen an den Wetterbericht geht, hält sich der News-Wert für viele Zuschauer in Grenzen. Aber tausende Menschen spüren, lange bevor der Wetterfrosch seine Prognose abgibt, klimatische Veränderungen am eigenen Leibe. Tatsächlich reagieren 30 bis 50 Prozent der Bevölkerung empfindlich auf atmosphärische Kapriolen, klagen über Migräne, Übelkeit, Kreislaufprobleme, Narbenschmerzen und vieles mehr. Ob sie sich ein Leben lang damit abfinden müssen, hängt davon ab, ob sie überhaupt Hilfe suchen – für viele Herren der Schöpfung gelten Wetterbeschwerden von vornherein als „unmännlich“ – und ob sie einen Arzt finden, der sie ernst nimmt.
Denn nach wie vor, sagt Univ. Prof. Dr. Wolfgang Marktl vom Institut für Physiologie der Medizinischen Universität Wien, steht die Schulmedizin den vom launischen Petrus ausgelösten Leiden skeptisch gegenüber. „Tatsächlich ist die Frage, was wirklich hinter der besonderen Sensibilität gegenüber dem Wetter steckt, noch nicht geklärt!“ so der Physiologe. Die Wissenschafter sind sich nicht einig, ob so genannte „Sferics“, das sind elektromagnetische Impulse in der Atmosphäre, eine Rolle spielen. Vermutlich aber irritieren diese Impulse das vegetative Nervensystem.
Doch wo immer die Forschung steht: Dass das subjektive Empfinden von Wind und Wetter abhängig sein kann, steht für Marktl außer Zweifel. „Man weiß, dass bestimmte Wetterlagen mit einer Häufung bestimmter Beschwerden einhergehen.“
Keine Simulanten
Wie sich das verhält, erfährt Prof. Dr. Peter Wallnöfer täglich aus erster Hand. „Manche haben bereits lange Leidenswege hinter sich“, so der Experte, der stolz darauf ist, dass die Beratungsstelle und somit das Fach der „Medizin-Meteorologie“ bereits vor 25 Jahren ins Leben gerufen wurden.
Der Überbegriff Wetterfühligkeit wird übrigens vom Experten nochmals unterteilt in Wetterreaktion, -empfindlichkeit und -fühligkeit. „Unter ersterer versteht man die physiologische Antwort auf atmosphärische Reize, zum Beispiel ,Es ist föhnig und ich hab Kopfweh’“, schildert Wallnöfer.
„Wetterempfindlich wiederum wird man im Laufe des Lebens durch Verletzungen und Krankheiten und als Wetterfühligkeit gilt das Phänomen, dass bereits 24 bis 28 Stunden vor Eintritt einer neuen Wetterlage Beschwerden auftreten. Man spürt das Wetter.“ Klare Grenzen sind nicht immer zu ziehen. Die Frage, warum der eine überhaupt unter Witterungen leidet und der andere nicht ist nur mit der unterschiedlichen Sensibilität unserer vegetativen Nervensysteme zu beantworten.
Beschwerdenkalender
Für den Experten ist eines völlig klar: „Wetterfühligkeit ist heute eine etablierte Befindlichkeitsstörung, allerdings keine Krankheit!“ Was für Betroffene wenig Unterschied macht. Mit Hilfe eines Beschwerdenkalenders, der sechs Wochen lang geführt wird, versucht jeder Patient seinen speziellen Wettereinflüssen auf die Spur zu kommen. „Wir unterscheiden“, erläutert Wallnöfer, „Bio-Wettter von A bis D. A ist etwa Hochdrucklage, D dominante Strömungslage.“ Als weitere Indizes kommen Temperaturänderungen, Frontannäherungen und Föhn dazu. Einströmende atlantische Kaltluft etwa kann den Blutdruck erhöhen, für Kopfweh und Gereiztheit verantwortlich sein, während Föhn und warm-feuchtes Wetter für niedrigen Blutdruck, Depressionen, Schwindel und Schlafstörungen sorgen können. Feuchtkühle Wetterlagen tun den Gelenken und Narben nicht gut und Tiefdruckgebiete können Herz-und Kreislaufbeschwerden auslösen.
Belastungen vermeiden
Weiß man einmal, welches Wetter sich auf die Befindlichkeit schlägt, kann man reagieren: „Belastungen meiden“, rät Wallnöfer, „also nicht mit der Schwiegermutter streiten oder den Großglockner besteigen!“
Grundsätzlich hilft alles, was das vegetative Nervensystem stützt und gegen Stress wirkt. „Autogenes Training nach I.H.Schultz“ oder das „Jakobson’sche Entspannungstraining“, stehen ganz oben auf der Liste, aber auch ein Achterl Wein kann gut tun. Kneipp-Kuren sind ebenfalls zu empfehlen, da sie gegen die Launen des Himmels abhärten – und dann gibt’s noch Heilkräutertees (Weidenrinde, Kamille, Baldrianwurzel), vor allem aber das ätherische Öl der Klostermelisse, das sich bewährt hat.
Wer unter ärztlich abgeklärten wetterbedingten Depressionen leidet, dem ist das Naturheilmittel Johanniskraut zu empfehlen. Und: Vitaminreiche Kost ist auf jeden Fall gut. Dass den Menschen insgesamt das Wetter heute mehr zu schaffen macht als unseren Vorfahren, ist für Prof. Marktl kein Mirakel.
Nur nicht stubenhocken
„Wir setzen uns den Klimaeinflüssen nicht mehr so aus wie früher. Leben in Räumen, die künstlich temperiert sind und haben dadurch verlernt, mit Klimareizen umzugehen“, so der Physiologe. Stubenhockertum ist in jedem Fall kontraproduktiv. Wer sich dazu aufraffen kann, sich mehr im Freien zu bewegen, egal bei welcher Witterung, ist bald wieder auf der Sonnenseite des Lebens. Bei jedem Wetter.
Stand 03/2006