Wenn der Körper überreagiert

April 2020 | Medizin & Trends

Endlich Frühling, doch der Start in die Pollensaison ist bei Allergikern gefürchtet.
 
– Von Wolfgang Kreuziger

Eine harmlose kleine Stubenfliege vermag es ebenso wie Gräser, Äpfel, Erdnüsse oder das Handy: eine Allergie bei uns auszulösen. Mit 37 Prozent der Bevölkerung ist laut einer Langzeitstudie der Ludwig Boltzmann Gesellschaft mehr als jeder Dritte in Österreich von Allergien betroffen, die Erkrankungsfälle haben alleine in den letzten acht Jahren um zwölf Prozent zugenommen. Doch ganz besonders jetzt im Frühjahr schrillen die Alarmglocken, wenn sich eine leidgeprüfte Armada von Pollenallergikern fürs kollektive Niesen und Schnupfen rüstet, das zu allem Überdruss jedes Jahr früher beginnt. „Hasel und Erle werden heuer voraussichtlich eine überdurchschnittliche Belastung zeigen“, prognostizierte Mag. Maximilian Bastl vom Pollenwarndienst der Medizinischen Universität Wien nach den warmen Temperaturen schon Ende Februar. Denn mit ein Grund für das Chaos im Allergiekalender ist der Klimawandel, der mit immer milder werdenden Wintern die Blütezeiten der Pflanzen vorverlagert.

Luftverschmutzung belastet doppelt

Bastl weiß aber auch durch seine Studien, dass die Ozonbelastung sowie die zunehmende Luftverschmutzung immer mehr zu Schlüsselfaktoren werden. „Die Luftverschmutzung belastet uns sogar doppelt“, warnt er. „Zum einen düngt und stresst das durch KFZ oder Industrie freigesetzte Kohlenstoffdioxid die Pflanzen, wodurch eine hohe Pollenproduktion und besonders unangenehme Pollen entstehen. Zum anderen schwächt die Luftverschmutzung aber auch unsere Körper. Die Schleimhäute werden durchlässiger und die Allergene besser aufgenommen.“ Ein aktueller Forschungsschwerpunkt des Pollenwarndienstes ergab zudem, dass Ozon bisher als Allergiefaktor unterschätzt wurde. „Wir konnten zeigen, dass Ozon unter allen anderen Faktoren wie etwa Feinstaub, Schwefeldioxid oder Nitrate für die Symptomlast von Allergikern am bedeutsamsten ist“, berichtet Bastl. Damit wird die Ozonbelastung künftig bei der Voraussage der Pollenbelastung einen deutlich größeren Stellenwert erhalten.

Der Körper trickst sich aus

Warum Allergien viele überhaupt quälen, ist wohl auf ein großes Missverständnis zurückzuführen. Unser Körper trickst sich selbst aus, weil er glaubt, gegen harmlose Erreger wie Pollen vorgehen zu müssen. „Er hält diese Allergene für eine Bedrohung, warum er sich so verhält, ist bis heute nicht wirklich geklärt“, rätselt auch Univ. Doz. Dr. Felix Wantke, Leiter des Floridsdorfer Allergiezentrums. „Im Grunde ist jede Allergie eine Überreaktion des Immunsystems auf Umweltstoffe. Bei Kontakt der Allergene mit Haut oder Schleimhaut werden sie von Immunzellen erkannt. Bei Allergikern bilden sich Immunglobuline, die sie bekämpfen.“ Um sich vermeintlich besser zu schützen, aktiviert der Körper unter anderem die sogenannten „Mastzellen“ der körpereigenen Immunabwehr. Sie setzen Botenstoffe wie Histamin frei, welche die Schleimhäute anschwellen lassen, die Nasensekretion fördern und eventuell die Bronchien zusammenziehen – die allergische Reaktion ist perfekt.

Auslöser Pollen und Milben

„Mit Abstand am häufigsten leiden die Menschen hierzulande an allergischem Schnupfen“, verrät Wantke. „Bei Pollen sind es vor allem Gräser und Birke, die ihn auslösen, des Weiteren auch die Hausstaubmilbe und die Katze.“ Schon deutlich weniger oft kommen Allergien gegen Beifuß, Ragweed, den Schimmelpilz Alternaria oder Brennnessel vor. Inhalative Allergien gegen chemische Bestandteile sind äußerst selten, häufig gibt es aber nicht allergische, sondern durch Reizungen hervorgerufene Reaktionen auf Parfums oder Zigarettenrauch.

Wo sich Allergien bemerkbar machen

Übergreifend betreffen die Symptome von Allergien vor allem vier große Bereiche des Körpers:


1. Nase, Augen, obere Atemwege

„Läuft dem Betreffenden saisonal die Nase, sind statistisch gesehen Pollen die Verdächtigen Nummer eins“, weiß Wantke, oft sind gleichzeitig die Augen betroffen. Aber auch Tierhaare oder Schimmel können der Auslöser dafür sein. Rinnt das Riechorgan vor allem morgens, geraten Hausstaubmilben in den Fokus, die sich gerne im Bett aufhalten. Juckt es nach dem Essen von Obst in Mund oder Rachenraum, ist zumeist eine Birkenpollenallergie schuld daran.
   
2. Lunge, Bronchien, untere Atemwege
Kurzatmigkeit, Husten oder rasselnde Atemgeräusche sind in der Regel erste Symptome eines allergischen Asthmas. „Dies geht am häufigsten von der Hausstaubmilbe und Katze, aber auch von Pollenallergien aus“, so Wantke.
„Häufig liegen zuerst Reaktionen der oberen Atemwege vor, die sich dann durch starke Exposition oder mangelnde Therapie in die Lunge verschieben. Hier spricht man von Etagenwechsel.“

3. Haut
Pollen können bei manchen Patienten mit Neurodermitis zu einer Verschlechterung der Hautekzeme führen. Nesselsucht oder Urtikaria kann einerseits durch ein Allergen – etwa ein bestimmtes Nahrungsmittel oder Insektenstiche – ausgelöst werden, ist aber häufig eine nicht allergische Begleitreaktion bei Infekten.
Anders verhält es sich mit der Kontaktallergie, die mit einer Pollenallergie nichts zu tun hat. Von Popstar „Lady Gaga“ etwa weiß man, dass sie an einer seltenen Ammonium-Allergie leidet. Statt sich mit Chemie die Haare zu färben, muss die Sängerin zur Perücke greifen. Diese überschießende Reaktion gehört wie etwa jene etwa gegen Metalle, Acrylate oder Farbstoffe zum Spektrum der heute rund 4.000 bekannten mög­lichen Kontaktallergieauslöser.


4. Verdauungstrakt

Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen oder Atemnot nach dem Essen können auf eine Nahrungsmittelallergie deuten. Nahrungsmittelallergien sind weit seltener als angenommen und bedürfen insbesondere bei Kindern einer genauen Abklärung. Die klassischen Nahrungsmittelallergien bei Kindern betreffen zumeist Milch und Ei, verschwinden aber meist im Vorschulalter wieder. Nuss- und Erdnussallergien können bereits im Kindesalter gefährlich sein und vergehen meist nicht (siehe auch Interview oben). Nahrungsmittelallergien sind bei Er­wach­senen sind eine Rarität. Bei erwachsenen Pollenallergikern finden sich häufig pollenassoziierte Nahrungsmittelallergien wie die klassische „Apfelallergie“ bei Birkenallergikern.

Haut und Blut geben Auskunft

Um im „Dschungel“ der möglichen Auslöser zu erfahren, welche Allergie wirklich vorliegt, greift die Medizin auf ein standardisiertes Diagnoseverfahren zurück. „Eine gründliche Anam­nese, also das Gespräch darüber, wie und wann die Krankheit auftritt, klärt bei Allergien schon viele Fragen“, sagt Wantke. Danach werden Haut und Blut getestet. „Beim sogenannten ,Pricktest’ bringt man Allergene auf die geritzte Haut auf und dokumentiert die Reaktionen“, schildert der Mediziner. Beim Bluttest wiederum wird analysiert, ob sogenannte allergierelevante IgE-Antikörper vorhanden sind und gegen welche Stoffe eine Sensibilisierung vorliegt.
In seltenen Fällen, etwa bei unklarem Verdacht auf Nahrungsmittelallergie, kann der „Provokationstest“ hinzugenommen werden, wobei kontrollierte, oft steigende Dosen des verdächtigten Allergens verabreicht und die Reaktionen gemessen werden. Eine Allergie liegt dann vor, wenn der Betroffene auf das gefundene Allergen mit Beschwerden reagiert. Von den immer beliebter werdenden Selbsttests, die in der Apotheke erhältlich sind, rät Wantke ab. „Allergietests gehören in die Hände von Fachleuten. Selbst wenn das Messergebnis stimmt, braucht der Betroffene jemanden, der ihm seine Bedeutung erklärt.“

Sofort behandeln

Erkannte Allergien sollten stets sofort behandelt werden. „Ein harmloser Heuschnupfen kann sonst zu Asthma werden. Starke Allergien gegen Nahrungsmittel oder Insektenstiche können einen anaphylaktischen Schock auslösen“, warnt Wantke. Behandelt werden akute Beschwerden mit Antihistaminika und lokalen Kortisonsprays. Auch in der Schwangerschaft können und müssen Allergien mit speziellen Antihistaminika ohne Gefahr für das Ungeborene therapiert werden.
Eine „Vorab-Impfung“ gegen Heuschnupfen gibt es nicht. „Die einzige Therapie, die an der Wurzel des Problems ansetzt, ist die allergenspezifische Immuntherapie, wobei der Körper mit kleinen, regelmäßigen Dosen des Allergens als Tropfen, Tabletten oder in Spritzenform über drei Jahre daran gewöhnt wird“, weiß der Experte. Die Erfolge sind gut und halten über mehrere Jahre an, auch wenn eine völlige Heilung nicht zu erwarten ist. „Immerhin klingen bei den meisten Allergien 50 bis 70 Prozent der Beschwerden ab, bei Reaktionen auf Insektenstiche sind es sogar bis zu 95 Prozent.“ Insektengiftallergien betreffen etwa drei Prozent der Bevölkerung, wobei die meisten Reaktionen harmloser Natur sind, allerdings kann eine Insektengiftallergie lebensbedrohlich sein und muss daher behandelt werden.

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„Allergikerkinder tragen ein hohes Risiko“

Wie häufig sind Allergien bei Kindern und wie erkennt man sie? OÄ Priv. Doz. Dr. Angela Zacharasiewicz von der Allergieambulanz für Kinder und Jugendliche des Wiener Wilhelminenspitals über die häufigsten Beschwerden:


MEDIZIN populär

Welche Allergien sind bei Minderjährigen besonders häufig anzutreffen?

OÄ Priv. Doz. Dr. Angela Zacharasiewicz
„Kinder und Jugendliche leiden oft an Allergien gegen Hausstaubmilben, Gräser, Beifuß oder Birke, aber auch solche gegen Nahrungsmittel wie Kuhmilch oder Eier sind häufig ein Thema. Dazu kommen oft noch Kreuzreaktionen, wenn Pollenallergiker zusätzlich beim Verzehr von Apfel oder etwa Sellerie Beschwerden verspüren. Generell ist das gesamte Spektrum möglicher Allergien vertreten, das auch bei Erwachsenen vorkommt. Leider nimmt die Zahl der Sensibilisierungen, also der genetischen Allergie-Bereitschaft, bei Kindern stetig zu. Laut einer Studie unter Beteiligung der Medizinischen Universität Wien leidet eines von zehn Babys an Neurodermitis und jeder vierte Teenager ist in irgendeiner Weise von Heuschnupfen betroffen.“

Sind beide Eltern Allergiker, wie hoch ist das Risiko des Kindes?

Dann trägt es ein Risiko zwischen 40 und 60 Prozent, auch Allergiker zu werden, wobei es auf die Details ankommt.

Wie unterscheidet sich der Allergieverlauf bei Kindern von jenem der Erwachsenen?
„Früher glaubte man an einen typischen zeitlichen Verlauf der Allergien: von ersten Hauterkrankungen im Säuglingsalter – einer Neurodermitis – bis hin zu späteren obstruktiven Bronchitiden, einer frühkindlichen Asthmaform, und dem allergischen Schnupfen. Heute weiß man, dass dies nur bei manchen Kindern so verläuft – im Gegenteil, auch der zeitlich umgekehrte Verlauf kommt vor, es treten zuerst die Atembeschwerden auf und dann die Neurodermitis. Die Pubertät ist ein besonders markanter Moment, in jede Richtung. Zu diesem Zeitpunkt können Allergien erstmals auftauchen. Es können aber auch Beschwerden, die seit frühester Kindheit bestehen, in der Pubertät deutlich abnehmen oder sogar verschwinden.“

Was bedeuten frühe Allergieanzeichen für die Entwicklung?
„Wenn Kinder zum Beispiel früh eine Nahrungsmittelsensibilisierung zeigen, ist etwa ihr Risiko höher, später weitere Sensibilisierungen und Allergien zu entwickeln. Bei einer Hühnereiweißsensibilisierung im Säuglingsalter kann das Kind unter Umständen völlig beschwerdefrei sein. Diese Sensibilisierung kann allerdings der erste Marker für eine spätere allergische Erkrankung sein. Leider gibt es nur wenige Maßnahmen, die Eltern treffen können, um das Risiko ihres Kindes klein zu halten. Dazu gehört Rauchverzicht, Müttern wird überdies empfohlen, lange zu stillen und ab dem vierten Monat Beikost zu verabreichen.“

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Die wichtigsten Allergien


Hausstaubmilbenallergie

Definition:
Überempfindlichkeit gegen den ­Panzer und die Ausscheidungen der Hausstaubmilbe.

Häufigste Symptome:
– Vor allem morgendliche Niesattacken
– Jucken in Mund und Rachen
– Dauerschnupfen
– Tränende, juckende und/oder ­geschwollene Augen
– Juckreiz in den Ohren
– Juckreiz auf der Haut
– Müdigkeit
– Schlafstörungen
– Husten, Atemnot

Diagnoseverfahren:
– Hautpricktest
– Bluttest (spezifische IgE-Antikörper)

Therapie:
– Allergenkarenz durch Sanierung der Wohnräume und Verwendung hochqualitativer, milbendichter Bettbezüge
– Medikamentöse Behandlung der Symptome durch Antihistaminika und kortisonhältige Nasensprays
– Spezifische Immuntherapie (Spritzen oder Tabletten)

Pollenallergie

Definition:
Sie löst Augen- und Nasenbeschwerden sowie – später – Asthma aus.

Häufigste Symptome:

– Niesreiz, Fließschnupfen
– Tränende und/oder geschwollene Augen
– Entzündungen oder Jucken im Hals
– Husten, Atemnot
– Müdigkeit
– Krankheitsgefühl

Diagnoseverfahren:

– Hautpricktest
– Bluttest (spezifische IgE-Antikörper)

Therapie:

– Pollenkarenz: Gemeint ist, dass man dem stärksten Pollenflug ausweicht.
– In den Morgenstunden sind weniger Pollen in der Luft, daher viel lüften. Dann steigt die Belastung langsam an.
– In den Nachmittags- und Abendstunden ist die Belastung sehr stark, Fenster geschlossen halten.
– Bei starker Pollenbelastung und Aufenthalt im Freien Haare waschen.
– Medikamentöse Behandlung der Symptome durch Antihistaminika und kortisonhältige Nasensprays, spezifische Immuntherapie

Nahrungsmittelallergie

Definition:
Primäre Lebensmittelallergie: Milch, Ei, Fisch, Erdnuss.
Pollenassoziierte, sekundäre Lebensmittelallergie (Kreuzreaktion)

Häufigste Symptome:
– Jucken oder Schwellungen im Mund und Rachenraum
– Quaddeln oder Ausschlag auf der Haut (Verschlechterung bei Neurodermitis)
– Übelkeit, Erbrechen
– Husten, Atemnot
– Bei schwersten Reaktionen auch allergischer Schock möglich
Unter einer Kreuzreaktion versteht man z.B. eine „Apfelallergie“ bei Birkenpollenallergikern.

Diagnoseverfahren:
– Hautpricktest
– Prick-to-Pricktest
– Bluttest (spezifische IgE-Antikörper)
– Eventuell Provokationstest

Therapie:
– Allergenkarenz, soweit möglich
– Abkochen von Lebensmitteln (Zerstörung hitzeempfindlicher Allergene)
– Bei schweren Reaktionen: Notfallmedikation bestehend aus Antihistaminikum und Kortison, mitunter Adrenalin-Pen
– Nach einer spezifischen Immuntherapie gegen Nahrungsmittel wird geforscht.

Schimmelallergie

Definition:
Das Immunsystem reagiert auf Sporen der Schimmelpilze, welche sowohl in Innenräumen als auch im Freien vorkommen können.

Häufigste Symptome:
– Niesattacken
– Jucken in Mund und Rachen
– Laufende Nase
– Augentränen
– Juckreiz
– Husten, Atemnot

Diagnoseverfahren:
– Hautpricktest
– Bluttest (spezifische IgE-Antikörper)

Therapie:
– Allergenkarenz soweit möglich
– Medikamentöse Behandlung der Symptome durch Antihistaminika und kortisonhältige Nasensprays
– Eventuell spezifische Immuntherapie (Alternaria)

Tierhaarallergie

Definition:
Allergie auf Speichel, Hautschuppen, Urin oder Kot von Tieren.

Häufigste Symptome:

– Niesreiz, Fließschnupfen
– Tränende und/oder geschwollene Augen
– Entzündungen oder Jucken im Hals
– Husten, Atemnot
– Müdigkeit
– Schlafstörungen
– Rötung oder Schwellung der Haut

Diagnoseverfahren:

– Hautpricktest
– Bluttest (spezifische IgE-Antikörper)

Therapie:
– Allergenkarenz
– Medikamentöse Behandlung der Symptome durch­ Antihistaminika und kortisonhältige Nasensprays
– Spezifische Immuntherapie bei Tierärzten

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