Ein Bienen- oder Wespenstich kann einem den schönsten Sommertag vermiesen und im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden. Welche Reaktionen des Körpers nach einem Stich „normal“ sind, wann man an eine Insektengiftallergie denken sollte und wie Betroffenen im Ernstfall und langfristig geholfen werden kann.
Von Natascha Gazzari

„Wer auf gut Glück testet, obwohl keine entsprechenden Symptome vorliegen, läuft Gefahr, sich von einem womöglich positiven IgE-Ergebnis verunsichern zu lassen.“
Ich hatte doch noch nie Probleme nach einem Stich!“ oder „Als Kind bin ich jeden Sommer mehrmals gestochen worden – nach ein, zwei Tagen war die Rötung wieder weg!“ – Sätze wie diese hört OA Dr. Thomas Hawranek, Leiter der Allergieambulanz an der Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie am Uniklinikum Salzburg, sehr häufig: „Dass sich eine Allergie in jeder Lebensphase entwickeln kann, wird vielen erst dann bewusst, wenn sie selbst davon betroffen sind.“ Insektengiftallergien gehören – so wie die Gräserpollen-, die Hausstaubmilben- und die meisten Nahrungsmittelallergien – zu den sogenannten „Typ-I-Allergien“. Sie werden auch als Allergien vom „Sofort-Typ“ bezeichnet, weil sie innerhalb kurzer Zeit nach dem Kontakt mit dem Allergen zu allergischen Beschwerden führen. So wie andere Allergien dieses Typs entwickelt sich auch die Insektengiftallergie in zwei Phasen. Wird ein Kind zum ersten Mal in seinem Leben von einer Biene oder einer Wespe gestochen, kann es zu keiner allergischen Reaktion kommen. Der Erstkontakt mit dem Insektengift kann jedoch der Startschuss für die sogenannte Sensibilisierungsphase sein, in der das Immunsystem spezifische Antikörper (IgE) gegen das an sich harmlose Gift bildet, ohne dass Beschwerden auftreten. Diese Phase kann sich über Wochen bis viele Jahre erstrecken. Erst bei einem erneuten Stich reagiert das Abwehrsystem überschießend und typische allergische Beschwerden – von Schwellungen über Nesselsucht, Übelkeit, Schwindel und Benommenheit bis hin zu einem lebensgefährlichen anaphylaktischen Schock – können die Folge sein. „Häufig berichten Betroffene, dass sie über viele Jahre hinweg gar nicht und dann innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums zweimal hintereinander gestochen worden sind. Dieser erneute Kontakt mit dem Insektengift kann dann eine allergische Reaktion auslösen“, berichtet Hawranek.
Obwohl die Bienengiftallergie am bekanntesten ist, ist sie nur die zweithäufigste Form der Insektengiftallergie. In zwei Dritteln der Fälle löst Wespengift die Reaktion aus. Anders als Bienen lassen Wespen ihren Stachel üblicherweise nicht in der Haut zurück. Stiche von Hummeln, deren Gift jenem von Bienen sehr ähnlich ist, kommen kaum vor, öfter jene von Hornissen, deren Gift ähnliche Allergene enthält wie das der Wespen.
Welche Reaktion ist „normal“, was spricht für eine Allergie?
Woran erkennt man als Laie, ob eine Reaktion normal oder allergisch ist? „Normal ist keine bzw. eine leichte lokale Reaktion, die nach 24 Stunden wieder abklingt. Ein unmittelbar nach dem Stich spürbarer Schmerz, eine Schwellung, die nicht größer als zehn Zentimeter ist, Juckreiz und eine Rötung zählen zu den normalen Lokalreaktionen“, erläutert der Allergologe. Einen in der Haut verbliebenen Stachel sollte man sofort entfernen. Wichtig ist es, dabei den Stachelapparat nicht mit den Fingern zusammenzupressen, sondern mit dem Fingernagel zur Seite wegzukratzen.
Zur Linderung gilt: „kühl, hoch, ruhig“. Kühlende, feuchte Umschläge sollten etwa 20 Minuten auf der Einstichstelle belassen und im Abstand von mehreren Stunden ein- oder zweimal wiederholt werden. Helfen können laut Hawranek auch überlieferte Hausmittel wie aufgeschnittene Zwiebel, Zitrone, Topfen oder Essigwasser. Um das Abschwellen zu unterstützen, sollte die betroffene Körperstelle hochgelagert und wenig bewegt werden.
Geht die Reaktion über eine Lokalreaktion hinaus und erfasst den gesamten Körper, handelt es sich um eine allergische Reaktion. Anaphylaktische Symptome entwickeln sich innerhalb kürzester Zeit und reichen von Schwellungen und Nesselsucht (Urtikaria) über Magen-Darm-Beschwerden bis hin zu Kreislauf- und Atembeschwerden. Besonders gefährlich wird es, wenn Kreislaufprobleme, asthmaähnliche Beschwerden und Schwellungen der oberen Atemwege mit schwerer Luftnot und Bewusstlosigkeit dazukommen. Bei Schwindel oder Atemnot sollte immer sofort der Notarzt oder die Notärztin verständigt werden.
Wie wird getestet?
Rund drei Prozent der Europäerinnen und Europäer reagieren allergisch auf Bienen- oder Wespengift. Bei Risikogruppen wie Imkerinnen und Imkern, Gärtnerinnen und Gärtnern, Obst- oder Bäckereiverkäufern, Bauarbeitern oder Feuerwehrleuten ist der Anteil höher. Gehen die Beschwerden nach einem Insektenstich über eine leichte Lokalreaktion hinaus, sollte man sie ärztlich abklären lassen. In einem ausführlichen Gespräch werden die aufgetretenen Symptome erfasst und zur weiteren Abklärung eine Blutuntersuchung und ein Hauttest durchgeführt. Finden sich im Blut spezifische Antikörper, ist das allerdings noch kein Beweis dafür, dass man tatsächlich allergisch ist, wie der Mediziner erklärt: „Etwa 40 Prozent der Gesamtbevölkerung weisen im Serum spezifische Antikörper auf, aber nur bei einem Bruchteil davon gibt es Hinweise für eine tatsächlich krankmachende, sprich allergische Reaktion.“ Entscheidend sind also immer die tatsächlich auftretenden Symptome, um eine endgültige Diagnose stellen zu können. Hawranek warnt daher vor unbegründeten Allergietests: „Wer auf gut Glück testet, obwohl keine entsprechenden Symptome vorliegen, läuft Gefahr, sich von einem womöglich positiven IgE-Ergebnis verunsichern zu lassen.“
Bei bestätigter Allergie wird ein Notfallset verordnet, um für einen zukünftigen neuerlichen Stich gerüstet zu sein. „Das Notfallset besteht meist aus Kortison- und Antihistamin-Tabletten. Am wichtigsten ist jedoch der enthaltene Adrenalin-Autoinjektor-Pen, der den Kreislauf und die Atmung stabilisiert und dessen Gebrauch geübt werden sollte.“
Wie funktioniert die „Allergie-Impfung“?
Neben vorbeugenden Maßnahmen (siehe Infobox) steht Insektengiftallergikerinnen und -allergikern eine spezifische Allergen-Immuntherapie (Hyposensibilisierung) in Form von Injektionen zur Verfügung. Diese Therapieform reduziert das Risiko einer erneuten, potenziell lebensbedrohlichen Reaktion deutlich und ist besonders bei Wespengiftallergien hochwirksam: „Bei Wespengift liegt das Restrisiko für eine Anaphylaxie nach erfolgter Hyposensibilisierung bei 0 bis 5 Prozent, was annähernd einer Heilung entspricht. Bei Bienengift reduziert die Impfung das Restrisiko auf immerhin 5 bis 15 Prozent“, berichtet der Allergologe. Trotz dieser guten Wirksamkeit nehmen nur etwa zehn Prozent der Betroffenen die Möglichkeit der Hyposensibilisierung wahr. Hier sieht Hawranek Aufholbedarf, ist die Impfung doch hochwirksam, gut verträglich und selbst bei Kindern ausdrücklich empfohlen.
Die Hyposensibilisierung, bei der das Immunsystem in langsam ansteigenden Mengen mit dem Insektengift konfrontiert wird, erfolgt in zwei Phasen. In der sogenannten „Aufdosierungsphase“ wird das Allergen in langsam ansteigenden Mengen verabreicht, während in der „Erhaltungsphase“ eine konstante Dosis des Insektengifts beibehalten wird. Dadurch sollen nicht nur die allergischen Beschwerden gelindert, sondern auch die Überreaktion des Immunsystems langfristig behandelt werden. Um schnell einen Grundschutz zu erreichen, kann die Aufdosierung als stationäre Kurzzeittherapie durchgeführt werden. So wird die wirksame Erhaltungsdosis bereits nach wenigen Tagen erreicht und das Anaphylaxie-Risiko deutlich reduziert. Bei einer ambulanten Behandlung wird die Dosis wöchentlich gesteigert, sodass die Erhaltungsdosis erst nach vier bis fünf Monaten erreicht wird. Um eine dauerhafte Wirkung zu gewährleisten, wird die Behandlung drei bis fünf Jahre lang durchgeführt: „In dieser Zeit erhalten die Betroffenen alle vier bis acht Wochen eine Impfung, um die Immunantwort zu boostern“, so Hawranek. Bei Menschen mit einem erhöhten Risiko schwerer Reaktionen (z. B. bei Mastozytose) wird die Therapie oft auf vorerst unbestimmte Zeit fortgesetzt, um den bestmöglichen Schutz zu erhalten. Die Kosten für die Hyposensibilisierung werden bei entsprechender Indikation von den Krankenversicherungsträgern übernommen.
Sicher durch den Sommer: So vermeiden Sie Stiche
- Essen & Trinken: Verzehr von Speisen oder Getränken im Freien vermeiden, nicht aus Flaschen oder Getränkedosen trinken, Trinkgläser abdecken, Trinkhalme verwenden, nach dem Essen Hände waschen und Mund abwischen.
- Kleidung: Die Haut durch Kleidung weitgehend bedeckt halten, nicht barfuß gehen, kein offenes Schuhwerk, ungünstig sind lose sitzende, leichte Bekleidungsstücke, z. B. weite Röcke oder
Kleider. Bei der Kleidung auf helle Farben setzen. - Meiden Sie den Aufenthalt in der Nähe von Mülleimern,
Tiergehegen oder Fallobst. - Verzichten Sie im Freien auf die Verwendung von Parfüm und parfümierten Kosmetika.
- Insekten nicht von Futterquellen verscheuchen, bei Annäherung von Insekten hastige oder schlagende Bewegungen vermeiden, langsam zurückziehen.
- An Tagen mit schwülheißer Witterung besonders vorsichtig sein.
- Wohnung: Fenster tagsüber geschlossen halten oder durch Insektennetze sichern, abends kein Licht bei geöffneten Fenstern, da Hornissen nachtaktiv sind und dann bevorzugt Lichtquellen anfliegen.
Fotos: zvg, istock daren woddward