Wie sich die unterschiedlichen Erkrankungsformen in Schach halten lassen.
von Mag. Wolfgang Bauer
An Rheumatismen und an wahre Liebe glaubt man erst, wenn man davon befallen wird.“ An diesem Ausspruch der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) ist was Wahres dran. Denn lange Zeit war man in der Medizin der Ansicht, dass Rheuma nur alte Menschen betreffen und Jüngere verschonen würde. Ein Irrtum, wie man heute weiß. Rheuma kann jeden treffen, selbst Kinder.
Ob rheumatoide Arthritis, Gicht, Morbus Bechterew oder Fibromyalgie – die Liste der rheumatischen Erkrankungen erstreckt sich über 400 verschiedene Formen. Die sich zum Teil massiv unterscheiden, was die Beschwerden, ihre Diagnostik und ihre Behandlungsmöglichkeiten anbelangt. Dennoch lässt sich diese Vielzahl an Krankheiten auf einen gemeinsamen Nenner bringen. „Bei Rheuma handelt es sich um Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates. Also um schmerzhafte Veränderungen an den Gelenken, Muskeln, Knochen, Sehnen sowie im Bindegewebe“, sagt Dr. Rudolf Puchner, Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie in Wels. Er ist auch Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation.
Die Schmerzen am Bewegungsapparat werden von den Betroffenen als ziehend, reißend oder fließend beschrieben – das altgriechische Wort „rheuma“ bedeutet übersetzt „Strömung“ oder „Fluss“. Häufig führen sie zu einer Bewegungseinschränkung. „Die genauen Ursachen vieler Rheumakrankheiten liegen im Dunkeln, bei so mancher Erkrankung wie bei der rheumatoiden Arthritis steckt ein fehlgeleitetes Immunsystem
dahinter, es handelt sich also um eine Autoimmunerkrankung“, so Puchner. In diesem Fall richten sich Antikörper gegen das eigene Gewebe, was zu bleibenden Schäden an den Gelenken führen kann. Aber auch Organe wie die Augen oder das Herz können in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn das Immunsystem verrücktspielt.
Rasche Diagnose wichtig
„Was die Diagnose betrifft, so wenden Sie sich mit rheumatischen Beschwerden zunächst an Ihren Hausarzt, der Sie bei Verdacht auf eine entzündliche Erkrankung rasch an einen Facharzt für Rheumatologie weiter verweist“, empfiehlt Rudolf Puchner. Im Allgemeinen ist bereits die Schilderung der Beschwerden durch die Patienten für den Arzt sehr aufschlussreich. Im Falle einer rheumatoiden Arthritis sind dies eine unbegründete Morgensteifigkeit, beidseitige Schmerzen und Schwellungen an den Gelenken, etwa den Fingergelenken beider Hände. Dazu kommen noch Laborbefunde, manchmal sind auch bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder selten sogar eine Magnetresonanztomographie zur Diagnose nötig. „Wichtig ist bei einer rheumatoiden Arthritis, dass die Diagnose in den ersten drei Monaten nach Auftreten der Symptome erfolgt. Denn bereits in der Anfangsphase können sich als Folge der Entzündung irreversible Schäden an den Gelenken einstellen“, so der Rheumatologe.
Individuell angepasste Therapien
In der Behandlung von Rheumapatienten geht man sehr zielgerichtet vor. Bei den entzündlich rheumatischen Erkrankungen steht die sogenannte Basistherapie im Vordergrund. Damit sind Medikamente gemeint, die den
Entzündungsprozess stoppen und das Fortschreiten der Krankheit verhindern sollen. Dazu zählen vor allem Methotrexat und bei unzureichender Wirkung die schon genannten Biologicals, das sind biotechnologisch hergestellte Medikamente, die seit bald 20 Jahren in der Rheumatherapie zur Anwendung kommen. Basistherapeutika sollten auch bei erreichter Symptomfreiheit noch über einen Zeitraum von sechs Monaten eingenommen werden.
Führen sie allerdings nach einer Behandlung von zumindest drei Monaten zu keinem Erfolg, muss man andere Medikamente aus dieser Gruppe in Erwägung ziehen. Vor allem zu Beginn der Erkrankung und in Schubsituationen sind Glukokortikoide („Cortison“) zur raschen Abschwellung entzündeter Gelenke sehr wichtig. Außerdem kommen Schmerzmittel, die so genannten nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) zum Einsatz. Diese Schmerzmittel stellen wiederum bei Morbus Bechterew die erste Wahl in der Therapie dar. Bechterew-Patienten profitieren überdies von einer regelmäßigen zielgerichteten Gymnastik.
Bei der Stoffwechselerkrankung Gicht kann man bereits durch Umstellung auf eine purinarme Ernährung Erfolge erzielen. Fleisch, Innereien, Hülsenfrüchte, Meeresfrüchte oder Alkohol enthalten die Substanz Purin, bei deren Abbau im Körper Harnsäure entsteht, die wiederum in zu großen Mengen Gicht auslösen kann. Zusätzlich können bei einem akuten Gichtanfall Schmerzmittel sowie in der Folge als Dauertherapie Medikamente, die den Harnsäurespiegel im Blut senken, eingenommen werden.
„Jeder Patient erhält eine individuelle Behandlung. Unter erfolgreicher medikamentöser Dauertherapie können Rheumapatienten ein weitgehend normales Leben führen, also ihrem Beruf nachgehen, reisen sowie an die Erkrankung angepassten Sport betreiben“, fasst Rheumatologe Rudolf Puchner zusammen.
Rheuma im Überblick
Die Erkrankungen des so genannten rheumatischen Formenkreises werden in folgende Gruppen eingeteilt:
ENTZÜNDLICHE RHEUMATISCHE KRANKHEITEN.
Die bekannteste und häufigste ist die rheumatoide Arthritis (auch von der rund ein Prozent der Bevölkerung betroffen
ist. Entzündliche rheumatische Krankheiten können in jedem Alter auftreten.
DEGENERATIVE ERKRANKUNGEN.
Das sind die so genannten Arthrosen. Von den Abnützungen des Gelenksknorpels – etwa im Knie oder im Hüftgelenk – sind vor allem ältere Menschen betroffen.
FUNKTIONELLE RHEUMATISCHE ERKRANKUNGEN.
Sie werden auch rheumatische Schmerzkrankheiten genannt. Diese weisen weder eine Entzündung auf, noch sind sie
abnützungsbedingt. Zu dieser Gruppe zählt etwa die Fibromyalgie.
STOFFWECHSELBEDINGTE ERKRANKUNG GICHT.
Sie ist im Grunde ebenfalls eine entzündliche rheumatische
Erkrankung. Gicht-Patienten haben einen erhöhten Harnsäurespiegel, der schmerzhafte Anfälle auslösen kann.
Rheumakrankheiten im Kurzportrait
RHEUMATOIDE ARTHRITIS
Die rheumatoide Arthritis oder chronische Polyarthritis ist eine entzündlich-rheumatische Erkrankung, die häufig in Schüben verläuft. Sie ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Steifigkeit am Morgen, die oft Stunden andauern kann. Typisch ist auch die beidseitige Entzündung der kleinen Gelenke an den Fingern, die aber auch größere Gelenke betreffen kann. Insgesamt leiden in Österreich zwischen 70.000 und 80.000 Menschen an Rheumatoider Arthritis.
MORBUS BECHTEREW
Bei Morbus Bechterew handelt es sich um eine Entzündung der Lendenwirbelsäule mit Schmerzen, die vor allem bei langem Stehen oder in Ruhe auftreten. Diese Krankheit beginnt zumeist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr und tritt nicht selten mit anderen Krankheiten wie Augenentzündungen, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Schuppenflechte auf. Morbus Bechterew zählt ebenfalls zu den entzündlich rheumatischen Erkrankungen.
GICHT
Die Stoffwechselerkrankung Gicht (auch Arthritis urica genannt) entsteht, weil Harnsäurekristalle in den betroffenen Gelenken einen so genannten Gichtanfall auslösen.
Vor allem zu Beginn ist zumeist das Großzehengrundgelenk betroffen, das anschwillt und stark schmerzt.
Die Harnsäurekristalle können sich bilden, wenn über lange Zeit der Harnsäurespiegel im Blut erhöht ist, etwa aufgrund purinreicher Ernährung. Die Gicht ist aufgrund der Ernährungsgewohnheiten europaweit im Vormarsch.
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„Plötzlich waren die Beschwerden da“
Gertraud Schaffer aus Maria Alm im Salzburger Pinzgau war ungefähr 30 Jahre alt, als sie mit Beschwerden Bekanntschaft machte, die fortan ihr Leben verändern sollten. Sie kam eines Morgens kaum aus dem Bett, so schmerzhaft und steif waren ihre Hand- und Fußgelenke. Es folgten Therapien mit Schmerzmitteln und Kortison, mit nur mäßigen Erfolgen, aber zahlreichen Rückschlägen. Es dauerte rund sechs Jahre, bis die richtige Diagnose feststand: rheumatoide Arthritis. „So richtig geholfen hat dann ein Medikament aus der Gruppe der Biologicals, danach stellte sich eine nachhaltige Besserung ein“, sagt Schaffer, die seit Jahren als Präsidentin der Österreichischen Rheumaliga – das ist die bundesweite Selbsthilfeorganisation für Rheumakranke – den Betroffenen Mut macht, aktiv mit der Krankheit umzugehen. „Ich habe zu Beginn die Krankheit verdrängt, nicht wahrhaben wollen. Das bringt aber nichts. Erst wenn man die Krankheit annimmt und bereit ist, gewohnte Lebensweisen zu ändern, wenn man außerdem die Therapieziele einhält, die mit dem behandelten Ärzteteam besprochen wurden und sich auch mit anderen Betroffenen austauscht, steigt auch die Lebensqualität“, so Schaffer.
Ähnlich argumentiert auch Markus Korn. Der Landesleiter der Selbsthilfegruppe Morbus Bechterew Tirol empfiehlt Betroffenen, Beschwerden wie starke Schmerzen in der Lendenwirbelsäule möglichst rasch abklären zu lassen, damit die nötigen Therapien eingeleitet werden können. „So vermeidet man, dass die Versteifung der Wirbelsäule voranschreitet und dass auch innere Organe befallen werden“, sagt Korn.
Aktiv sein – trotz Rheuma
Noch etwas ist wichtig: Rheumapatienten sollen in Bewegung bleiben. Hielt man früher Ruhe und Schonung bei Rheuma angezeigt, so verhält es sich heute umgekehrt. Darum verweisen Rheumaliga-Chefin Gertraud Schaffer und Markus Korn von Bechterew-Tirol auf das breite österreichweite Angebot an Aktivitäten auf ihren Websites (siehe Webtipps).
Sie reichen von Wandern, Schwimmen und Yoga über Turnen bis hin zum Tanzen. Diese Bewegungsformen können an den individuellen Gesundheitszustand der Patienten angepasst werden und ermöglichen darüber hinaus, dass die Gelenke beweglich bleiben. „Wer trotz Rheuma aktiv ist, zeigt, dass er nicht im Schmerz gefangen bleibt“, sagt Gertraud Schaffer. Und Markus Korn ergänzt: „Ganz wichtig ist, dass Betroffene auch lernen, Stress zu bewältigen. Denn Stress kann die Entzündung im Organismus anfachen.
Meditation, Yoga oder Qi Gong sind bewährte Techniken zur Stressreduktion, auch und vor allem für Rheumapatienten“.
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