Migräne beeinträchtigt das Leben Betroffener stark. Die gute Nachricht: Auch wenn die Erkrankung nicht heilbar ist, lassen sich durch Lebensstilanpassungen und Therapien in vielen Fällen die Häufigkeit der Attacken senken und die Schmerzen lindern.
Von: Sandra Lobnig
War der Schmerz einmal da, das wusste Evelyn Schlapfer, würde er nicht so schnell verschwinden. Er nistete sich hinter ihrem rechten Auge ein, dumpf und bohrend. Zum extremen Kopfweh kamen Lichtempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen und das starke Bedürfnis, sich in einem abgedunkelten Raum auszuruhen. Seit ihrer Jugend ist Evelyn Schlapfer Migränepatientin. Jahrzehntelang setzten sie heftige Schmerzattacken außer Gefecht, anfangs alle paar Wochen, später bis zu zweimal wöchentlich. „Besonders schlimm war, dass kaum jemand nachvollziehen konnte, wie es mir ging“, erzählt die 52-Jährige. Denn Migräne ist mit herkömmlichem Kopfschmerz nicht vergleichbar. Wenig Verständnis, starke Schmerzen und Verzweiflung darüber, dass man dem Schmerz kaum etwas entgegenzusetzen hat: Wie Evelyn Schlapfer ergeht es vielen Migränepatientinnen und -patienten. In Österreich sind das Schätzungen zufolge immerhin eine Million Menschen.
„Hilfreich sind meist Triptane, Schmerzmittel,
die direkt auf das Gehirn wirken.“
Keine Verbesserung durch Bewegung
Mit einseitigen Kopfschmerzen, Erbrechen und ausgeprägtem Ruhebedürfnis entspricht Evelyn Schlapfer dem typischen Bild einer Migränebetroffenen. Aber nicht immer äußert sich die Erkrankung auf dieselbe Weise. „Deshalb kommen viele gar nicht auf die Idee, dass sie Migräne haben könnten, auch wenn sie häufig unter starken Kopfschmerzen leiden. Das ist leider ein Problem, weil sie sich keine ärztliche Hilfe suche“, sagt Dr. Nadine Vavra. Die Neurologin hat sich in ihrer Praxis in Wien auf Kopfschmerzen und Migräne spezialisiert. Die Symptome ihrer Patientinnen und Patienten sind sehr unterschiedlich. Ein Kernsymptom, das die allermeisten von ihnen aufweisen, nennt Vavra dennoch: Bewegung bringt bei Migräne keine Verbesserung, im Gegenteil. Gut gemeinte Ratschläge, man solle doch eine Runde laufen gehen, das würde die Schmerzen schon lindern, helfen deshalb kaum weiter. Und: Anders als manchmal auftretende Kopfschmerzen, die zwar lästig sein können, beeinträchtigt Migräne das Leben der Betroffenen stark.
Genetisch bedingt
Auf der Suche nach den Ursachen von Migräne liefert die Forschung bisher keine absolut gesicherten Antworten. Unbestritten ist, dass es sich um einen sogenannten primären Kopfschmerz handelt. Das bedeutet: Migräne tritt nicht als Begleiterscheinung einer anderen Krankheit auf, Migräne selbst ist die Erkrankung. Entzündungsprozesse im Gehirn dürften für die Schmerzen verantwortlich sein. Die Genetik spielt dabei eine große Rolle. Das erklärt, warum in manchen Familien Migräne gehäuft auftritt. Wobei: Möglich ist auch, dass die Krankheit aufgrund untypischer Symptome in der Familiengeschichte gar nicht diagnostiziert wurde – und niemand ahnte, was hinter den Beschwerden von Groß- oder Urgroßmutter wirklich steckte. Ist die genetische Veranlagung gegeben, lösen sogenannte Trigger die Schmerzattacken aus. Das können Hormonschwankungen, etwa in der Pubertät, im Verlauf des weiblichen Zyklus oder in den Wechseljahren, sein. „Das Migräne-Hirn ist nämlich ein kleiner Monk – es liebt Regelmäßigkeit“, sagt Nadine Vavra. Hormonelle Befindlichkeiten oder Wetterumschwünge – ebenfalls häufige Trigger – lassen sich zwar kaum beeinflussen. Die Gestaltung des eigenen Alltags hingegen hat man in der Hand, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Nadine Vavra empfiehlt deshalb, auf einen geordneten Schlaf-Wach-Rhythmus und regelmäßige Mahlzeiten zu achten, um Schwankungen des Blutzuckerspiegels zu vermeiden.
Den Schmerz abfangen
In einem „Triggertagebuch“ persönliche Auslöser für eine Migräneattacke zu identifizieren, hält die Neurologin nicht für zielführend. „Viele Menschen kommen dadurch in ein Vermeidungsverhalten, das sie noch mehr stresst. Besser ist ein Kopfschmerztagebuch.“ Wer sich über zwei, drei Monate notiert, wann wieder einmal ein Kopfschmerz aufgetreten ist, kann im Nachhinein möglicherweise Muster erkennen und dadurch bestimmte Auslöser ausmachen. Neben vorbeugenden Maßnahmen gibt es verschiedene akute, schmerzlindernde Behandlungsmöglichkeiten. Eine Migräneattacke bahnt sich manchmal in einer Vorbotenphase an, die von erhöhter Gereiztheit, Heißhunger und Müdigkeit gekennzeichnet ist. In manchen Fällen geht den Schmerzen eine sogenannte Aura voraus, damit sind neurologische Phänomene wie Seh- oder Gefühlsstörungen gemeint. „Merkt man, dass etwas kommt, kann es helfen, Koffein und Zucker zuzuführen. Denn das gleicht den Energiemangel im Gehirn aus“, rät Vavra. Auch das Kühlen von Kopf und Nacken kann Linderung verschaffen. „Und dann sollte man großzügig und rechtzeitig Schmerzmittel einnehmen, um den Schmerz abzufangen.“ Herkömmliche Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Aspirin sind eine Möglichkeit, sie sind aber oft nicht spezifisch genug und schlagen sich bei vielen auf den Magen. „Hilfreich sind meist Triptane, das sind Schmerzmittel, die direkt auf das Gehirn wirken.“
Nicht heilbar, aber gut behandelbar
Seit einigen Jahren sind Migränespritzen auf dem Markt, die monatlich injiziert werden und der neurogenen Entzündung entgegenwirken. „Für welche Form der Therapie man sich entscheidet, ist sehr individuell. Nicht bei allen Patientinnen und Patienten wirkt dasselbe.“ Alle Behandlungsmöglichkeiten setzen bei der Symptomlinderung an, denn Migräne selbst ist nicht heilbar. „Was aber nicht bedeutet, dass man nichts machen kann“, betont Nadine Vavra. „Im Gegenteil, es ist vieles möglich, und die Länge und Schwere der Attacken können meist stark eingeschränkt werden.“ Bei Evelyn Schlapfer war es schließlich die Behandlung durch Botoxinjektionen, die eine starke Verbesserung mit sich brachte. Heute kann sie anbahnende Schmerzen meist rechtzeitig abfangen. Was ihr außerdem geholfen hat, ist der Austausch mit anderen. Deshalb hat sie vor zwanzig Jahren eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Migräne und Kopfschmerzen gegründet. Denn neben vorbeugenden Maßnahmen und der Suche nach geeigneten Therapiemöglichkeiten ist eines besonders wichtig: Im Schmerz nicht allein gelassen zu werden und sich verstanden zu fühlen.
Fotos: © zvg, istock NickyLloyd, Gleb Kosarenko