Weihnachten naht! Das Fest der Liebe nehmen viele zum Anlass, mit Geschenken auszudrücken, wie viel ihnen Partner, Familie und Freunde bedeuten. Lesen Sie, was bei der Wahl des richtigen Geschenks zu beachten ist und welche Rolle das Schenken für unser soziales Miteinander spielt.
von Mag.a Alexandra Wimmer
Aufsteigen bitte! Einmal im Leben nimmt das Rollwespen-Männchen das Weibchen mit auf einen Freiflug: Das flügellose Weibchen klammert sich am Rücken fest und kann die Welt zur Abwechslung von oben betrachten. Ganz selbstlos ist das Geschenk des Männchens nicht: Es nutzt den Flug zur Paarung. Pinguinpaare wiederum beschenken einander mit Nistmaterial, das dem gemeinsamen Nachwuchs zugutekommt. Die vielleicht am wenigsten eigennützigen Geschenke machen Süßwasserdelfine: Sie präsentieren ihren Partnern schöne Kieselsteine, die sie vom Flussgrund aufgesammelt haben. Was für die Tierwelt gilt, trifft umso mehr auf uns Menschen zu: „Der Mensch ist ein soziales Wesen“, erklärt Dr. Anton Tölk, Facharzt für Psychiatrie und Jung’scher Psychoanalytiker. Aus diesem Grund wollen, ja müssen wir einander beschenken: In der sozialen Gemeinschaft ist das Handlungsmuster des Schenkens ein zentrales und vermutlich angeboren. Das heißt, wir tun es, selbst wenn wir keine entsprechende persönliche Erfahrung gemacht haben.
Teilen, um zu überleben
Mit anderen zu teilen, war in der Vorzeit Voraussetzung, um einer sozialen Gruppe das Überleben zu erleichtern oder überhaupt zu ermöglichen. Mit Geschenken wurde soziale Benachteiligung ausgeglichen. Eine lange Tradition findet sich diesbezüglich bei den nordamerikanischen Ureinwohnern: Beim Potlatch, dem Fest des Schenkens, haben die Stammeshäuptlinge ihren Gästen mit großen Geschenken aufgewartet. Entsprechend häuften in der indianischen Gesellschaft nur selten einzelne Personen oder Familien dauerhaft Reichtümer an.
Das uralte Ritual des Opferns habe ebenfalls mit Schenken zu tun, ergänzt Tölk. „Man opfert einem Gott oder den Göttern, um sie positiv zu stimmen oder nach dem Tod für das Opfer belohnt zu werden.“ Seit jeher dienten Geschenke auch dazu, Frieden zu bewahren und Freundschaft zu stiften. „Wird jemand aus der Gruppe beschenkt, besiegelt das die Freundschaft“, betont der Psychotherapeut.
Nicht ohne Erwartungen
Nicht nur in der Tierwelt, auch beim Menschen sind Geschenke so gut wie immer an Erwartungen geknüpft. „Selbst der Altruist erwartet sich irgendeine Gegenleistung, auch wenn es eine immaterielle wie Wertschätzung, Anerkennung oder Dankbarkeit ist“, erklärt Tölk. Wie der französische Soziologe Marcel Mauss 1925 feststellte, dürfte Schenken eine Art Geschäft sein, die Gabe muss erwidert werden. „Ein Geschenk impliziert, dass es in irgendeiner Weise ein Gegengeschenk gibt – das verbindet.“
Dabei lassen sich mit Geschenken Beziehungen im Positiven gestalten, sie könnten aber auch Abhängigkeiten schaffen. Negative Gefühle wie Neid lassen sich damit ebenfalls schüren. Man kann andere mit einem Präsent vor den Kopf stoßen und in Verlegenheit bringen. Oder sogar ins Unglück stürzen, wie man aus der griechischen Mythologie weiß: Als Pandora – in dem Namen steckt das griechische Wort für Geschenk (= doron) – die Büchse, ein Geschenk des Göttervaters Zeus, öffnete, entwichen alle den Menschen bis dahin unbekannten Übel wie Krankheit und Tod. Wie berechnend Präsente sein können,verdeutlichen die Gastgeschenke von Politikern, die etwa dazu dienen, einen politischen Gegner positiv zu stimmen.
Stellten Geschenke ursprünglich den Fortbestand der Gemeinschaft sicher, hat sich seine Bedeutung in der heutigen Überflussgesellschaft drastisch verändert.
Dass Weihnachten mittlerweile auch die „Hochzeit des Handels“ ist, geht manchen gegen den Strich: Sie wollen nicht „auf Knopfdruck“ kaufen, fünf Prozent der Österreicher verwehren sich dem Geschenkerummel. Andere vereinbaren, statt einander zu beschenken einer wohltätigen Organisation Geld zu spenden. Sich selbst beschenken die Spender mit dem guten Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. „Ich halte das für eine sehr reife Form des Gebens“, betont Tölk.
Präsente an die Beziehung
Jenen, die das Ritual des Schenkens hochhalten, empfiehlt der Experte, dieses zu steuern, um Stress zu minimieren: Man könnte vorab festlegen, dass das Geschenk beispielsweise nicht mehr als 30 Euro kosten und überhaupt nur eine Geste sein soll.
Neben Stress könnten dem gelungenen Geben und Nehmen überhöhte Erwartungen im Weg stehen, bergen sie doch das Risiko für Enttäuschungen. Doch selbst, wenn man mit einem Geschenk daneben liegt, muss das in keine Katastrophe münden. Sowohl Geber als auch Empfänger sollten diese Chance zur Kommunikation nutzen: Hat der Schenker etwa den Eindruck, sein Geschenk kommt nicht gut an, sollte er dies ansprechen. Gerade in nahen Beziehungen sei es auch nicht empfehlenswert, ein Geschenk anzunehmen, obwohl man es ablehnt oder sich innerlich darüber ärgert. „Das sollte angesprochen werden“, rät Tölk. „Wenn man darüber spricht, wird die Beziehung dadurch sogar besser. Man lernt einander besser kennen und kommt sich näher“, ist der Psychiater überzeugt. Das Präsent wird dann jedenfalls eines: ein Geschenk an die Beziehung. Schenken ist schließlich ein kommunikativer Prozess.
Bitte mit Augenmaß
Was macht nun ein gutes Geschenk aus? Nach dem Motto „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“, rät der Linzer Psychologe Dr. Klaus Gasselsberger, mit Augenmaß zu schenken. „Bei kleinen Geschenken freut man sich spontan und fühlt sich nicht besonders verpflichtet“, erklärt er. „Bekommt man ein großes, teures Geschenk, hat man nachher das Gefühl, irgendetwas etwas schuldig zu sein. Man fühlt sich verunsichert.“ Oft sei mit solchen Geschenken auch eine manipulative Absicht verbunden. Dies gelte besonders für Geschenke im Bekannten- und Freundeskreis. „Auch Paaren empfehle ich, es mit Geschenken nicht zu übertreiben“, ergänzt der Psychologe.
Die Freude ist auch nicht automatisch größer, wenn das Geschenk besonders teuer war: In einer Studie konnten Forscher der kalifornischen Stanford University zeigen, dass ein iPod und eine CD für den Beschenkten gleichwertig empfunden wird. Psychologe Gasselsberger empfiehlt außerdem, bei der Wahl des Geschenks pragmatisch zu sein: „Man sollte etwas schenken, das der andere tatsächlich brauchen kann.“ Bei Kindern sollte außerdem darauf geachtet werden, dass das Geschenk – zum Beispiel das beliebte elektronische Gerät – dem Alter entspricht. Das Handy für Kinder unter zehn Jahren sollte ein einfaches Mobiltelefon sein, ein Smartphone mit seinen vielen Funktionen wäre überfordernd. Auch mit der Anzahl der Geschenke sollte man es nicht übertreiben. Hat man zu viele Geschenke besorgt, könnte man ein paar für den nächsten Anlass, etwa den Geburtstag, zurückhalten.
Verpackte Wertschätzung
Um das richtige Geschenk zu finden, genügt es meist aufmerksam zu sein: Hören Sie hin, wenn Ihr Kind oder Partner einen Wunsch äußert. Sie könnten auch einfach nachfragen oder bei Kindern einen Brief ans Christkind anregen. „Die meisten Wünsche, die Kinder äußern, sind altersgemäß“, beobachtet Gasselsberger.
Nicht nur der Nachwuchs, auch Erwachsene freuen sich, wenn sie unter dem Christbaum ein Geschenk von ihrer Wunschliste finden. Dies werde deutlich mehr geschätzt als ein Überraschungsgeschenk, wie ein Experiment der Harvard University bestätigt.
Geschenke unter Zeitdruck zu kaufen, ist keine gute Basis für einen „Treffer“. Besonders in Partnerschaften gilt die Auswahl auch als Gradmesser für die Qualität der Beziehung. Wie kanadische Wissenschaftler um die Psychologin Elisabeth Dunn von der University of British Columbia herausfanden, löst ein falsches und ungeliebtes Geschenk ein Gefühl des „Einander-unähnlich-Seins“ aus. Es führt zu Distanz und mitunter sogar in eine Krise. Männer reagieren auf unpassende Geschenke noch deutlich empfindlicher als Frauen. Von „Appell-Geschenken“ ist besonders abzuraten. Wird der Partner oder die Partnerin mit XS-Unterwäsche oder einem Sportgerät quasi dazu aufgefordert, sich zu ändern, sorgt dies eher für Verdruss als Freude. Solche Wünsche sollte man besser offen ansprechen.
Was man vor „Schenkanlässen“ wie Weihnachten nicht vergessen sollte: Materielles ist nicht die einzige Möglichkeit, um Liebe und Wertschätzung auszudrücken, im Gegenteil: Mehr als jedes materielle Geschenk zählen die Aufmerksamkeit und die Zeit, die man seinen Kindern, dem Partner, Eltern oder Freunden das Jahr hindurch widmet.
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