Verdauung, Magen & Darm

Die Teilzeitvegetarier kommen!

Immer mehr Österreichern vergeht der Appetit auf Fleisch. Von BSE bis Vogelgrippe, vom Schummelschinken bis zum jüngsten Pferdefleischskandal: Immer mehr Österreichern vergeht der Appetit auf Schweinsbraten, Steak & Co. Viele greifen jetzt seltener zu Fleisch, legen dann aber Wert auf höchste Qualität. Teilzeitvegetarismus nennt sich der neue Trend, von dem die Umwelt genauso profitiert wie die Gesundheit. Vorausgesetzt, man macht es richtig.

Von Mag. Alexandra Wimmer

Lange Zeit war den meisten das Vorleben ihrer Fleischspeise buchstäblich wurst. Bis vor etwa 60 Jahren fand sich das Nahrungsmittel ohnedies nur als Sonntagsbraten oder Festtagsschmaus auf den Tellern. Ab den 1960-er Jahren rückte Fleisch zunehmend ins Zentrum der Ernährung, und so ist es bis heute geblieben. „Supermärkte und Discounter locken mit billigen Fleischangeboten, meistens auf Kosten der Qualität“, kritisiert die Ernährungswissenschafterin Mag. Gabriele Wittner von „die umweltberatung“ in Wien. Die Konsumenten greifen bereitwillig zu. Schließlich soll das Essen das Haushaltsbudget nicht allzu sehr belasten.
Doch all den Klagen über teure Lebensmittel zum Trotz – so wenig Geld wie heute haben wir noch nie für Nahrung ausgegeben. „Waren es vor rund 40 Jahren mehr als 40 Prozent des Einkommens, so sind es heute rund zwölf Prozent, die in Lebensmittel investiert werden“, weiß die Wiener Ernährungswissenschafterin Mag. Sabine Bisovsky. Der gedankenlose Griff zum billigsten Stück Fleisch aber macht die Konsumenten mitverantwortlich für die aktuellen Probleme, gibt Mag. Angelika Kirchmaier, Diaetologin und Gesundheitswissenschafterin  in Hopfgarten in Tirol, zu bedenken und nennt ein Beispiel: „Ein Kilo Fleisch um 2,50 Euro kann nicht qualitativ hochwertig sein und muss aus der Massentierhaltung stammen.“

Qualität statt Quantität

Die jüngsten Fleischskandale haben allem Anschein nach zum Nach- und Umdenken angeregt. Denn nun zeichnet sich ein neuer Trend ab: Immer mehr greifen seltener, dafür aber bewusster zu Fleisch. Teilzeitvegetarismus, auch Flexitarismus, wird diese Lebensweise genannt, die von Ernährungsexperten begrüßt wird. „Man versucht den Fleischkonsum aber nicht nur aus gesundheitlichen Gründen zu reduzieren“, ergänzt Internist und Ernährungsmediziner Prim. Univ. Doz. Dr. Raimund Weitgasser, Leiter der Abteilung für Innere Medizin der Klinik Diakonissen Salzburg. „Die meisten Teilzeitvegetarier legen Wert auf eine artgerechte Tierhaltung.“
Qualität statt Quantität, hochwertiges Fleisch statt minderwertiger Massenware – für Teilzeitvegetarier wird der Fleischkonsum zu einer Frage der Haltung. Vielen wird der hohe Preis des übergroßen Fleischhungers bewusst: Er schadet nicht nur der Gesundheit, sondern ist mitverantwortlich für Welthunger, Massentierhaltung und den hohen Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen. „Fleisch verliert zunehmend an Statussymbolkraft. Der Trend geht insbesondere von Kindern und Jugendlichen aus, in der Folge tendieren auch die Erwachsenen zu einem fleischärmeren Ernährungsstil“, beobachtet Sabine Bisovsky. „Teilzeitvegetarier sind bereit, mehr Geld für Fleisch auszugeben, weil sie zu besonderen Anlässen Wert auf ein hochwertiges Nahrungsmittel legen.“ Und wie können sie sich in Hinblick auf die Lebensmittelqualität sicher sein? „Bei österreichischer Bioware, die direkt bezogen wird, lässt sich genau zuordnen, aus welchem Betrieb das Fleisch stammt“, erklärt Angelika Kirchmaier. „Dass bei ausländischen Produkten diese Rückverfolgbarkeit in der Praxis nicht immer so genau überprüft wird, beweisen die zahlreichen Fleischskandale.“

Für wenig(er) Fleisch gebaut

Aus Expertensicht picken sich die Teilzeitvegetarier gleichsam die Rosinen aus dem Kuchen: „Wer zwei-, dreimal in der Woche ein kleines Stück Fleisch isst, kommt in den Genuss der wertvollen Inhaltsstoffe wie Eiweiß, Zink, Eisen und B-Vitamine, während die negativen Inhaltsstoffe wie Purine, gesättigte Fettsäuren oder Cholesterin in den kleinen Mengen kaum schaden können“, sagt Bisovsky. „Und Defizite hinsichtlich bestimmter Nährstoffe sind dabei keine zu befürchten“, ergänzt Raimund Weitgasser.
Schon die Anatomie gibt den Teilzeitvegetariern recht: Zieht man Parallelen zur Tierwelt, stellt man fest: Der Mensch ist kein Fleischfresser, sondern vielmehr ein Mischtyp mit Tendenz zu pflanzlicher Kost – ein Teilzeitvegetarier eben, sagt Angelika Kirchmaier. „Richtige Fleischfresser haben Reißzähne, die nachwachsen; anders bei Lebewesen, die vorwiegend Pflanzliches fressen. Bei ihnen ist auch der Darm – wie bei uns Menschen – länger“, so die Expertin.

Vorsicht, Puddingvegetarier!

Mutiert ein Fleischtiger allerdings zum „Puddingvegetarier“, lebt er damit nicht wirklich gesünder, sind sich die Experten einig. „Diese essen zwar wenig bis kein Fleisch, dafür aber häufig nährstoffarme süße Speisen und Weißmehlprodukte“, sagt Bisovsky und erklärt, worauf es ankommt: „Optimalerweise sollten Teilzeitvegetarier den reduzierten Fleisch- und Wurstanteil mit Gemüse, Hülsenfrüchten, Milchprodukten und Vollkorngetreide kompensieren.“ Wem es an Kochideen mangelt, könnte sich von alten Rezeptkreationen inspirieren lassen, regt Kirchmaier an. „Dabei handelt es sich um perfekte Kombinationen, die von den Eiweißstrukturen her jenen eines Stück Fleisches entsprechen.“ Beispiele: Kartoffeln mit Milch, Käse oder Ei (siehe Rezept); Bohnen und Mais; Hülsenfrüchte mit Kartoffeln; Weizen mit Milch. Und ab und zu isst man ein kleines Stück Fleisch.

Ein kostbares Lebensmittel

Maßvoll genossen, hat Fleisch schließlich einiges zu bieten, z. B. hochwertiges Eiweiß, wie es der Körper ganz besonders im Wachstum und höheren Alter benötigt, sowie weitere wertvolle Nähr- und Wirkstoffe, deren Anteile je nach Fleischsorte unterschiedlich hoch sind: Schweinefleisch ist besonders reich an Vitamin B1, auch Pute und Huhn haben sehr viele B-Vitamine. Wild- und Rindfleisch liefern viel Eisen, Rindfleisch enthält außerdem viel von dem für das Immunsystem wichtigen Mineralstoff Zink.
Wer zu Fleisch aus sogenannter extensiver Landwirtschaft, also möglichst artgerechter, naturnaher Haltung greift, wählt damit automatisch die fettärmere, gesündere Variante. Kirchmaier: „Das Fleisch von einem Almschwein beispielsweise enthält von Haus aus weniger intramuskuläres, also nicht-sichtbares Fett als ein Mastschwein. Auch Rindfleisch von einem österreichischen Jahrling, einem einjährigen Tier, enthält weniger intramuskuläres Fett, weniger gesättigte Fettsäuren und weniger Cholesterin.“

****************
Aktuelle Studie bestätigt: Zu viel Fleisch ist nicht wurst

Dem Trend zum Teilzeitvegetarismus zum Trotz: Insgesamt wird in Österreich nach wie vor viel zu viel Fleisch gegessen. Rund 66 Kilogramm Fleisch und Fleischwaren verspeisen wir durchschnittlich pro Jahr und damit etwas mehr als ein Kilogramm pro Woche. Im Rahmen einer gesunden Ernährung empfohlen werden aber 300 bis 450 Gramm Fleisch in der Woche. Schließlich weiß man längst, wie schädlich ein Zuviel an tierischen Fetten ist. Das hat jetzt eine aktuelle Studie der Universität Zürich wieder bestätigt: Den Schweizer Forschern zufolge haben jene, die täglich mehr als 40 Gramm verarbeitete Fleischprodukte (z. B. Wurstwaren) essen, ein erhöhtes Sterberisiko. „Verarbeitetes und rotes Fleisch im Übermaß erhöht das Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Gicht sowie einige Krebserkrankungen“, verdeutlicht der Salzburger Internist und Ernährungsmediziner Prim. Univ. Doz. Dr. Raimund Weitgasser. „Schon verarbeitungsbedingt sind etwa in Wurstwaren einige bedenkliche Inhaltsstoffe enthalten, beispielsweise Räucherstoffe, die in größeren Mengen kanzerogen, also krebserregend wirken können. Der hohe Salzgehalt wiederum wirkt sich auf den Blutdruck ungünstig aus.“

Foto: © istock fcafotodigital

Share

Das könnte Sie auch interessieren:

Logo medizinpopulär