Was lange als gesundes Lebensmittel schlechthin galt, ist zuletzt in Verruf geraten. Viele haben die Kuhmilch inzwischen gänzlich von ihrem Speiseplan gestrichen – der Rest ist verunsichert: Wie viel Milch darf, soll man trinken? Für MEDIZIN POPULÄR informiert ein Experte über die guten – und für manche schlechten – Besonderheiten der Milch.
von Mag. Alexandra Wimmer
Ein Schuss davon in den Frühstückskaffee, ein Kakaodrink in der Schulpause, ein Joghurt zum Nachtisch oder ein Glas pur vor dem Schlafengehen: Kuhmilch gehört für viele zum täglichen Speiseplan. Andere wieder haben sie aus ihrem Leben verbannt, denn ihr Körper reagiert rebellisch auf so manchen ihrer Inhaltsstoffe. Und so ist die Milch, die lange Zeit als gesundes Lebensmittel schlechthin galt, in jüngster Zeit etwas in Verruf geraten. Zu Recht? Für Ernährungsexperten wie den Linzer Diätologen Klaus Nigl, M. A., ist das schneeweiße Lebensmittel weder „Superfood“ noch „No-Go“, sollte aber maßvoll genossen werden. Denn auch wenn es zu fast 90 Prozent aus Wasser besteht, hat es dem Körper einige Besonderheiten zu bieten:
Milchfett
„In der Molkerei wird der Fettgehalt exakt auf 3,5 Gramm pro 100 Gramm eingestellt; und in diesen 3,5 Gramm sind ungefähr zwei Gramm gesättigte Fettsäuren enthalten“, weiß Klaus Nigl. Speziell der Gehalt an gesättigten Fettsäuren ist ein Grund, Milch maßvoll zu konsumieren. „Die qualitative Zusammensetzung von Milchfett ist extrem stark abhängig von der Fütterung“, ergänzt Nigl, der zum Lehr- und Forschungspersonal der „Fachhochschule Gesundheitsberufe OÖ“ gehört. „Milchkühe, die den Sommer auf der Weide verbringen und Grünfutter fressen, weisen einen höheren Anteil an einfach oder mehrfach ungesättigten Fettsäuren, den sogenannten CLA-Fettsäuren, auf als jene Kühe, die mit Maissilage und Kraftfutter gefüttert werden. Auch die Kuhrasse spielt eine wesentliche Rolle.“ Diesen CLA-Fettsäuren werden „positive gesundheitliche Wirkungen“ nachgesagt: Maßvoll konsumiert, könnte das leicht verdauliche Milchfett sogar vor Atherosklerose und Diabetes Typ 2 schützen.
Expertentipp: Gesunde Menschen können in Maßen gern zu normalfetter Milch greifen. Wer mit dem Körpergewicht oder Blutfettwerten Probleme hat, steigt jedoch besser auf Produkte mit niedrigerem Fettgehalt um. Milch mit nur 0,9 Prozent Fett enthält schließlich bedeutend weniger gesättigte Fettsäuren. Dem Genuss tut es kaum einen Abbruch.
Milchzucker
„Herkömmliche Kuhmilch hat einen Kohlenhydratanteil von knapp fünf Prozent. Dieser Anteil besteht ausschließlich aus Milchzucker“, erläutert Nigl. Die Kohlenhydrate liefern uns nicht nur Energie, der Milchzucker kurbelt obendrein die Verdauung an und wirkt sogar Verstopfung entgegen. Ob Milch, Buttermilch, Sauer- oder Acidophilusmilch: „Milchzucker hat eine abführende Wirkung und erleichtert damit den Stuhlgang.“
Zum Problem wird er für jene, die unter einer Milchzuckerunverträglichkeit leiden und „nur wenig oder überhaupt kein Enzym bilden, das den Milchzucker spalten kann“, so Klaus Nigl. „In Mitteleuropa ist dieses Enzym bei 15 bis 25 Prozent der Bevölkerung nicht oder nicht ausreichend vorhanden.“ Die Folgen der Laktose-Unverträglichkeit: „Milchzucker wird nicht verdaut, er gelangt in tiefere Dünndarmabschnitte und in den Dickdarm und wird dort von Darmbakterien quasi weiter verarbeitet“, erläutert der Experte. „Es entstehen zum einen Gase, was sich in Form von Blähungen bemerkbar macht. Der nicht verdaute Milchzucker kann aber auch zu Durchfall führen.“
Expertentipp: Für jenes Viertel der Bevölkerung mit Laktoseintoleranz gibt es zum einen laktosefreie Milch und Milchprodukte (z. B. Topfen). Selbst Joghurt kann probiert werden: Einige Arten von Milchsäurebakterien unterstützen die Spaltung von Milchzucker.
Vitamine
Auch in Sachen Vitamine hat Milch einiges zu bieten – insbesondere, was den Gehalt einiger B-Vitamine angeht: Milch und Milchprodukte liefern etwa Vitamin B2, das Riboflavin. Mangelt es an dem Vitamin, kann dies nicht nur zu eingerissenen Mundwinkeln, sondern bei Kindern sogar zu Wachstums-störungen führen.
Auch vermag Milch einen Beitrag zur Versorgung mit Vitamin B12 zu leisten, „vorausgesetzt die Magenfunktion ist intakt“, so Nigl. Nur so kann das Vitamin nämlich optimal aufgenommen werden. „Vitamin B12 ist für den Fettsäurestoffwechsel und den Abbau von bestimmten Fettsäuren erforderlich“, so der Experte. „Ein Mangel an Vitamin B12 kann in eine Blutarmut oder Anämie münden.“
Expertentipp: B-Vitamine sind unter anderem wertvolle Radikalfänger, sie sind bedeutsam für die Blutbildung und regulieren den Zucker-, Fett- und Eiweißstoffwechsel. Da Milch und Milchprodukte einen wichtigen Beitrag zur Versorgung mit diesen wertvollen Vitaminen leisten, sollten wir sie uns nicht entgehen lassen!
Milcheiweiß
„Der Eiweißgehalt der Milch liegt ungefähr bei 3,3 Gramm pro 100 Gramm“, kennt Klaus Nigl auch hier die Zahlen. Die Eiweißstoffe werden für unterschiedliche Körperfunktionen benötigt, z. B. für den Aufbau der Skelettmuskulatur und den Aufbau und Erhalt der Körperzellen. Milcheiweiß gilt als besonders wertvoll, da die biologische Wertigkeit von tierischem Eiweiß hoch ist, d. h. dass es unser Körper besonders gut verwerten kann.
Für Menschen jedoch, die allergisch gegen Milcheiweiß sind, kann der Milchkonsum gefährlich oder gar lebensbedrohlich sein. „Der Körper richtet sich dabei gegen bestimmte Eiweißbestandteile der Milch, was neben Magen-Darm-Beschwerden auch Hautreaktionen oder Kreislaufprobleme nach sich ziehen kann“, verdeutlicht Diätologe Nigl. „Das kann letztlich bis zum anaphylaktischen Schock führen und tödlich enden. Milch und Milcherzeugnisse müssen ab Dezember 2014 auch in unverpackten Erzeugnissen als Allergene gekennzeichnet werden.“
Expertentipp: Durch den hohen Konsum an tierischen Lebensmitteln, insbesondere an Fleisch, müssen wir keinen Mangel an tierischem Eiweiß befürchten. Gut für den Körper ist eine Mischung aus tierischen (z. B. Milch) und pflanzlichen Eiweißquellen (z. B. Hülsenfrüchte).
Milchsäure
„Milchsäure entsteht zum Beispiel als ein Abbauprodukt von Milchzucker durch die Milchsäurebakterien – etwa bei der Herstellung von Joghurt“, erläutert Klaus Nigl. „Sie kommt in allen Sauermilcherzeugnissen, aber auch im Sauerkraut oder Sauerteig vor.“ Milchsäure hat einen besonders günstigen Effekt auf unsere Verdauung – egal ob links- oder rechtsdrehend: „Diese Unterscheidung wird auf Grund der optischen Aktivität der Milchsäure getroffen“, so Nigl. Mit einer Portion Joghurt z. B. kann man dem Darm etwas Gutes tun.
Expertentipp: Wenn man Antibiotika nehmen muss, kann man die Darmflora positiv beeinflussen, indem man zum Beispiel Joghurt regelmäßig in den Speiseplan einbaut.
Mineralstoffe
Viel Kalzium in relativ kleinen Portionen: noch ein Pluspunkt von Milch und Milchprodukten. Dies kommt speziell Schulkindern zugute, wenn sie in der Pause zur Jause außerdem eine 200 Milliliter-Packung Schulmilch oder Schulkakao trinken. Damit werden sie nicht nur mit Energie, sondern auch mit dem für sie so wichtigen Mineralstoff versorgt: Da sich Körper und Knochen im Wachstum befinden, ist der Kalziumbedarf von Kindern und Jugendlichen besonders hoch. „In Milch oder Joghurt stecken rund 120 Milligramm Kalzium pro 100 Gramm“, erläutert der Diätologe. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene tun gut daran, sich diese Kalziumquelle öfter zu erschließen: „Bei mehr als einem Fünftel der österreichischen Bevölkerung wird die Kalziumzufuhr als kritisch eingestuft“, warnt Nigl.
Daneben leistet Kuhmilch einen wichtigen Beitrag zur Versorgung mit dem Mineralstoff Phosphor – ein für den Knochenhaushalt ebenso wichtiges Salz wie Kalzium: „Milch und Milchprodukte enthalten rund 120 Milligramm Phosphor in 100 Gramm Milch“, sagt Klaus Nigl.
Expertentipp: Heute wird z. B. in der österreichischen Ernährungspyramide empfohlen, täglich rund 700 Milligramm Kalzium aus Milch und Milchprodukten aufzunehmen. Das entspricht zwei Portionen „weiß“ wie Milch, Buttermilch oder Joghurt und einer Portion „gelb“ wie Käse pro Tag. Damit hat man bereits den Großteil der empfohlenen 1000 mg Kalzium zugeführt.
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